BAD WALDSEE — Landauf und landab werden Fachkräf­te in Pflege­be­ru­fen gesucht. Der Grund: Junge Menschen inter­es­sie­ren sich selte­ner für eine Ausbil­dung, und etablier­te Berufs­tä­ti­ge wenden sich anderen Aufga­ben zu. Nun hat der Mangel die Einrich­tun­gen der St. Elisa­beth-Stiftung erreicht – auch in der Behin­der­ten­hil­fe. „Wenn es so weiter­geht, steuern wir auf ein Versor­gungs­de­fi­zit zu“, prognos­ti­ziert Melanie Lenzen, Bereichs­lei­tung Wohnen Heggbach und beglei­ten­de Diens­te in Heggbach.

Seit 15 Jahren arbei­tet Melanie Lenzen nun bei der St. Elisa­beth-Stiftung und erinnert sich nicht ganz ohne Wehmut an ihre erste Zeit zurück. „Damals habe ich hier meine erste Ausbil­dung zur Heiler­zie­hungs­pfle­ge­rin gemacht, und nicht alle von uns Auszu­bil­den­den konnten von der Stiftung übernom­men werden.“ Im Jahr 2012 absol­vier­te sie ihre zweite Ausbil­dung und übernahm anschlie­ßend die Abtei­lungs­lei­tung, in deren Zustän­dig­keit auch Perso­nal­auf­ga­ben fielen. Damals bemerk­te Lenzen bereits eine Verän­de­rung: „Es war da zwar schon deutlich schwe­rer, Fachkräf­te zu bekom­men, aber es gab immer­hin noch ein paar Bewer­bun­gen auf eine Stellen­aus­schrei­bung.“ Vor fünf Jahren spitz­te sich die Situa­ti­on dann ziemlich zu. Zunächst habe es vielleicht noch eine Bewer­bung auf offene Fachkräf­te-Stellen gegeben, wenig später überhaupt keine mehr. „Der Markt an Fachkräf­ten ist leerge­fegt! Mittler­wei­le müssen wir auf Leihar­beits­fir­men zurück­grei­fen, um unseren Aufga­ben gerecht werden zu können“, sagt Lenzen und gibt zu beden­ken, dass dabei sowohl den Leihar­bei­ten­den wie auch dem angestell­ten Perso­nal viel abver­langt werde. Schließ­lich würden die Leihar­bei­ten­den nach recht kurzer Zeit als Fachkräf­te einge­setzt. Und die Mitar­bei­ten­den müssten sich oftmals auf neue Kolle­gen einstellen. 

Melanie Lenzen steht vor einem Rätsel. Wie konnte es nur soweit kommen in einem Beruf, den sie für so inter­es­sant und wertvoll hält? Auf der Spuren­su­che nennt sie beispiels­wei­se den Wegfall des Zivil­diens­tes, das Streben der jungen Menschen zu einer akade­mi­schen Ausbil­dung, einen verbes­se­rungs­wür­di­gen Verdienst und nicht gerade attrak­ti­ve Arbeits­zei­ten. Aber dafür arbei­te man mit Menschen, die einem ihre Dankbar­keit schen­ken, und stehe nicht nur an einer Maschi­ne herum. „Unseren Beruf macht man natür­lich vor allem aus innerer Überzeu­gung“, betont Lenzen und ist davon überzeugt, dass schon sehr helfen würde, wenn Jugend­li­che die sozia­len Berufe besser kennen­lern­ten. „Für nur fünf Tage im Rahmen eines Berufs­prak­ti­kums da reinzu­schnup­pern, reicht nicht, um sich ein kompe­ten­tes Bild von dem Beruf zu machen“, ist Lenzen überzeugt. 

So möchte sie gerade Jugend­li­che mit guten Angebo­ten wieder an sozia­le Tätig­kei­ten heran­füh­ren. Dazu gehen Mitar­bei­ten­de an Schulen und stellen die St. Elisa­beth-Stiftung mit allen ihren Arbeits­be­rei­chen vor. Natür­lich ist die Stiftung auch bei Job-Börsen und Messen vertre­ten. Und sie sucht nach Möglich­kei­ten, Jugend­li­che mit kleinen bezahl­ten Jobs, wie Spazier­gän­gen mit Menschen mit Behin­de­rung, zu gewin­nen. Die Idee dahin­ter: Wer einmal erlebt hat, wie dankbar die Hilfs­be­dürf­ti­gen für jede Aufmerk­sam­keit sind, sieht mehr hinter dem Beruf als nur den Verdienst und die Arbeits­zei­ten. Doch auch an diesen beiden letzt­ge­nann­ten Stell­schrau­ben müsse gearbei­tet werden. Schließ­lich sehe es beispiels­wei­se in der Alten­hil­fe auch nicht besser aus bezüg­lich Fachper­so­nal. Das sei auch eine gesell­schaft­li­che Aufga­be, dass Pflege­per­so­nal anstän­dig bezahlt werde und ähnli­che Arbeits­zei­ten bekommt wie Mitar­bei­ten­de in der Industrie. 

Bis es soweit ist, waren Lenzen und ihr Team kreativ mit einer Werbe­kam­pa­gne über die sozia­len Medien. Die Kommu­ni­ka­ti­ons­ab­tei­lung hat dafür einen Flyer entwor­fen, der über die Netzwer­ke der Mitar­bei­ten­den vertrie­ben wurde. Unter dem Titel „Gesucht sind helfen­de Hände“ wurde für die sozia­len Berufe gewor­ben und um Mitar­beit gebeten. „Darauf hatten wir mehr Resonanz als auf die meisten Stellen­an­zei­gen, die wir zuletzt geschal­tet haben“, freut sich Lenzen über den Erfolg dieser Kampagne.

Doch all die Kreati­vi­tät wurde durch Corona und die teilwei­se schwer nachvoll­zieh­ba­ren Verord­nun­gen der Politik konter­ka­riert. Lenzen beklagt dabei die politi­schen Unter­schie­de in Sachen Testpflicht, Masken­pflicht oder Sonder­bo­nus­zah­lun­gen. Dadurch dass die Bewoh­ner die Einrich­tung nicht verlas­sen durften, habe deren Anspan­nung natür­lich stark zugenom­men – was wieder­um zu einem Mehrauf­wand bei der Betreu­ung führte. „Die Arbeits­be­las­tung hat in dieser Zeit schon sehr zugenom­men“, blickt Lenzen auf die Pande­mie. Mit Kündi­gun­gen hatte sie aber erst so richtig ab dem Zeitpunkt zu kämpfen, als die Debat­te um die Impfpflicht für Pflege­be­ru­fe losge­bro­chen sei.

So befürch­tet Bereichs­lei­te­rin Melanie Lenzen über kurz oder lang ein Versor­gungs­de­fi­zit, wenn die derzei­ti­ge Entwick­lung so anhält. Das hätte zur Folge, dass es nicht mehr genug Hände gebe, um den Aufga­ben im Umgang mit den Menschen mit Behin­de­rung gerecht zu werden. So hält sie es nicht mehr für ausge­schlos­sen, dass dann manche Angebo­te wie bisher nicht mehr in diesem Umfang haltbar sind. Im schlimms­ten Fall drohten sogar Schlie­ßun­gen von Gruppen. Lenzen ist über dieses Fazit selbst erstaunt, denn „es ist absolut ein wertvol­ler Beruf – für den Mitar­bei­ten­den und für die Gesellschaft“.