FRIEDRICHSHAFEN — Mit einem Augen­zwin­kern entschul­dig­te sich der neue Vorsit­zen­de des Fried­richs­ha­fe­ner Gestal­tungs­bei­rats, Profes­sor Jörg Aldin­ger, für den „sperri­gen“ Titel seines Willkom­mens­vor­trags am 21. Febru­ar im Graf-Zeppe­lin-Haus: „Die norma­ti­ve Kraft des Fakti­schen in Archi­tek­tur und Städte­bau“. Dahin­ter verbarg sich eine spannen­de Auswahl von Projek­ten aus seinem beweg­ten Berufs­le­ben mit rund 40 Jahren Erfah­rung als Architekt.

Im Titel griff Profes­sor Jörg Aldin­ger auf Thesen von Immanu­el Kant und Georg Jelli­nek zurück, um sie dann ganz praktisch auf Archi­tek­tur zu bezie­hen und die Grund­satz­fra­ge zu stellen: Kann quali­tät­vol­les Bauen einen Mindest­stan­dard errei­chen, wenn nur genügend Planen­de und Bauen­de einen bestimm­ten Anspruch fordern und umsetzen?

Als Rückblick und Ausblick – und damit auch als Antwort auf die Frage nach Standards und Anspruch – zeigte Aldin­ger dem Publi­kum sowohl geplan­te und gebau­te als auch aktuell in Planung befind­li­che Projek­te. Aber auch Entwür­fe, welche nie reali­siert wurden, stell­te er vor, denn der Anteil solcher „Gedan­ken­ge­bäu­de“ sei in Planungs­bü­ros nicht gering und die berech­tig­te Frage laute: „… was wäre wenn?“

Die Auswahl der vorge­stell­ten Projek­te traf Aldin­ger unter den „ihn emotio­nal am meisten berüh­ren­den Bauten“, hierun­ter finden sich eine Berufs­schu­le mit Gymna­si­um, die nach 30 Jahren „noch immer dasteht wie kurz nach dem Bau“ oder Projek­te, die es durch ihre Archi­tek­tur geschafft haben, unter­neh­me­ri­schen Teamgeist und Trans­pa­renz zu fördern. Ein auch das Publi­kum beson­ders berüh­ren­des Projekt stellt ein Hospiz dar, fertig­ge­stellt 2007 in Stutt­gart. Archi­tek­tur und Organi­sa­ti­on der Räume ermög­li­chen den dort ihre letzten Tage verbrin­gen­den Menschen, so viel wie möglich am Leben teilzu­ha­ben: Das zeigt das Poten­ti­al, die Archi­tek­tur entfal­ten kann, auf unser Leben einzuwirken.

Auch die weite­ren Beispie­le zeigten Bauten, die sich am Bedürf­nis Ihrer Bewoh­ner orien­tie­ren, wie beispiels­wei­se das Anna-Haag-Haus in Stutt­gart – Bad Cannstatt, welches demen­ten Bewoh­nern ermög­licht, ihren Bewegungs­drang auszu­le­ben, oder Bauten, die in respekt­vol­lem Umgang mit dem Bestehen­den neue Nutzun­gen ermög­li­chen, wie die Markt­platz Arkaden in Bietigheim-Bissingen.

Aldin­ger zeigte auch Planun­gen und Bauten, bei denen bestehen­de Gebäu­de eine neue Nutzung erhal­ten – und die rein rechne­risch durch den Erhalt der „grauen Energie“ zu einer CO2-Einspa­rung gegen­über Neubau­ten beitra­gen, wie etwa das Rathaus in Heiden­heim: Das Gebäu­de soll nicht abgeris­sen, sondern durch eine neue, gedämm­te Fassa­de neu gestal­tet werden. 

An den Beispie­len zeigte Profes­sor Aldin­ger ganz konkret: Das Fakti­sche hat die Kraft, unsere Norma­li­tät zu verän­dern – und warb damit zugleich für die Arbeit der Gestal­tungs­bei­rä­te, die dabei helfen und unter­stüt­zen. Und auch Fabian Müller, Erster Bürger­meis­ter der Stadt Fried­richs­ha­fen beton­te: „Diesen Anspruch, das Selbst­ver­ständ­nis in eine quali­tät­vol­len Baukul­tur umzuset­zen, dafür steht unser Gestal­tungs­bei­rat, der die Stadt, ihre Bauher­ren und Planer seit nunmehr fünf Jahren in Fragen der Archi­tek­tur und des Städte­baus unter­stützt und berät.“ Profes­sor Jörg Aldin­ger ist seit Anfang 2024 Vorsit­zen­der des Gestal­tungs­bei­rats der Stadt Friedrichshafen.

Weite­re Infos unter www.friedrichshafen.de/gestaltungsbeirat