REYKJAVIK (dpa) — Drei Spiele, neun Punkte, 12:0 Tore: Hansi Flick gelingt es, die Natio­nal­elf auf Anhieb zu vitali­sie­ren und auch mit den Fans zu versöh­nen. Sein Anfang erinnert an die glorrei­che FC-Bayern-Zeit.

Hansi Flicks sport­li­cher Neun-Punkte-Plan ging von vorne bis hinten rundum auf. Erst bei der chaoti­schen Rückrei­se aus Island mit einem notge­drun­ge­nen Zwischen­stopp in Schott­land wurde der Erneue­rer der Fußball-Natio­nal­mann­schaft unsanft ausgebremst.

Für den Großteil des DFB-Trosses wurden die Nacht und auch der Tag nach dem mit neuer Souve­rä­ni­tät erziel­ten 4:0 (2:0) gegen robus­te Islän­der zur Gedulds­pro­be mit Schreck­mo­men­ten. Der Verband beruhig­te aber: «Safety first. Siche­re Zwischen­lan­dung als Vorsichts­maß­nah­me in Edinburgh. Uns geht’s gut», hieß es auf dem Twitter-Konto des Nationalteams.

Zurück mit «breiter Brust»

Flick hatte seine Spieler beim gemein­sa­men Nacht­mahl nach den drei Siegen mit 12:0 Toren und dem bei seinem Bundes­trai­ner-Einstand im Blitz­tem­po einge­schla­ge­nen Weg zur WM 2022 in Katar noch dankbar und mit guten Wünschen in den Club-Alltag verab­schie­det. «Ihr könnt mit breiter Brust zu euren Verei­nen gehen. Versucht dort, genau­so die Leistung abzuru­fen», sagte der 56-Jähri­ge. Neben «Glück und Erfolg» in den natio­na­len Ligen oder der Champi­ons League wünsch­te er allen, «gesund zu bleiben». Das war aber keine böse Voraus­ah­nung für den Rückflug, der nach stunden­lan­gem Aushar­ren im wohl defek­ten Flieger in Edinburgh schließ­lich mit einer Ersatz­ma­schi­ne erfol­gen musste.

Nicht alle Spieler waren vom Reise­cha­os betrof­fen. Die England-Profis um Timo Werner und Ilkay Gündo­gan reisten indivi­du­ell nach Hause. Das Bayern-Trio Manuel Neuer, Joshua Kimmich und Serge Gnabry zog es vor, in Reykja­vik zu übernach­ten und frühmor­gens mit einer Linien­ma­schi­ne nach München zu fliegen und nicht über den Umweg Frankfurt.

«Für die Regene­ra­ti­on» sei es für ihn einfach angeneh­mer, nachts schla­fen zu können und erst morgens zu fliegen, sagte Torwart Neuer der Deutschen Presse-Agentur am Reykja­vík Airport. «Das war für uns besser», sagte der Kapitän, der über eine Chatgrup­pe der Mannschaft Kontakt mit den in Schott­land festsit­zen­den Kolle­gen hatte.

Zufrie­den mit der Entwicklung

Den Länder­spiel-Dreier­pack konnten Flick und sein Team sport­lich als einen wie gemal­ten Neuan­fang bewer­ten. «Wenn man die drei Spiele nimmt, können wir sehr zufrie­den sein mit der Entwick­lung. Es ist alles erfüllt worden», lobte Flick. Das 2:0 gegen Liech­ten­stein war ein zäher Beginn. Das 6:0 gegen Armeni­en begeis­ter­te und versöhn­te die Fans. Und dem 4:0 in Island hafte­te schon eine gewis­se Reife an.

Flicks Anfangs-Triple erinner­te an seinen Drei-Siege-Start als — später titel­ge­krön­ter — Chefcoach des FC Bayern vor knapp zwei Jahren. 2:0 gegen Olympia­kos Piräus, 4:0 gegen Borus­sia Dortmund und 4:0 in Düssel­dorf laute­te damals die fulmi­nan­te Start­pha­se. Der Rest von Flicks Sieben-Titel-Story beim Rekord­meis­ter ist bekannt.

Es ist kein Zufall, dass der DFB-Start einem «FC Bayern Deutsch­land» glich. Gleich sechs Münch­ner standen gegen Island erneut in Flicks Start­elf — und der verletz­te Thomas Müller fehlte noch. Die Vertrau­ten aus Bayern-Zeiten bilden das Gerüst eines in seinen drei Alters­grup­pen spannen­den Kaders, der die triste Sommer­lau­ne mit der EM-Enttäu­schung unter Vorgän­ger Joachim Löw prompt verscheuchte.

«Neuer Wind»

Die Zeiten­wen­de war überfäl­lig. Sie wirkt auf alle Betei­lig­ten beflü­gelnd. «Neuer Wind, neue Spiel­lau­ne — da fallen die Dinge momen­tan leicht», sagte Gnabry. Er erziel­te erneut das 1:0. Antonio Rüdiger, Leroy Sané und Timo Werner legten nach. Gnabry, Werner, Sané, das Null-Tore-Trio des EM-Sommers traf zusam­men achtmal und scheint sich unter Flick wieder zum Turbo-Sturm zu entwickeln.

«Zur Zeit machen wir einfach die Kisten», sagte Gnabry. Warum? Flick lässt offen­si­ver und risiko­be­rei­ter spielen. «Wir wollen Aktivi­tät auf dem Platz haben. Die Mannschaft hat die Idee, wie wir Fußball spielen wollen, hervor­ra­gend inter­pre­tiert», lobte der Trainer.

Und Flick schafft intern eine Atmosphä­re, die Leistung provo­ziert, auch von aufblü­hen­den Sorgen­kin­dern wie Werner oder Sané. «Hansi ist sehr kommu­ni­ka­tiv, nimmt alle mit. Es herrscht gute Stimmung», erzähl­te Vertei­di­ger Thilo Kehrer. Bezeich­nend: Flick vergaß nicht, auch die nicht einge­setz­ten Akteu­re expli­zit anzuspre­chen. «Sie sind vielleicht enttäuscht, aber das brauchen sie nicht zu sein, weil alle eine sehr gute Visiten­kar­te abgege­ben haben», sagte er: «Wir sind sehr happy mit der Entwick­lung, die wir jetzt genom­men haben.»

Flick mahnt

Die Fans dürfen schon mal von einer erfreu­li­chen Glühwein-WM in der Advents­zeit 2022 träumen. Das Ticket nach Katar scheint abhol­be­reit, nachdem aus drei Punkten Rückstand auf Armeni­en in Gruppe J in einer Woche vier Punkte Vorsprung gewor­den sind. Mit zwei Siegen gegen Rumäni­en am 8. Oktober in Hamburg und drei Tage später in Nordma­ze­do­ni­en könnte die WM womög­lich vorzei­tig gebucht werden.

«Da bleiben wir jetzt mal schön ruhig. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns von Spiel zu Spiel vortas­ten», mahnte Flick jedoch energisch. Kapitän Neuer, der noch vor Flicks Debüt­sieg davon sprach, in Katar «Weltmeis­ter mit dieser Mannschaft» werden zu wollen, sprach in Island von einem «positi­ven Zeichen», dass man gesetzt habe. Der 35-Jähri­ge bemerk­te aber auch: «Wir haben jetzt gegen Mannschaf­ten gespielt, die bei K.o.-Spielen bei einer WM keine Rolle spielen.»

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa