BAD WALDSEE – Für viele Pflege­kräf­te ist der Beruf eine Leiden­schaft, mit Glück sogar eine gemein­sa­me. In der Serie „OSK, eine Familie“ stellen wir Paare und Famili­en aus der Oberschwa­ben­kli­nik vor, die sich im Medizin­be­reich gefun­den und lieben gelernt haben. Zum Auftakt: Tanja und Sven Winter aus Bad Waldsee.

Als sie 16 war, wusste Tanja Winter bereits, dass sie einmal eine Arbeit machen wollte, die Nähe bringt, Menschen, Gefüh­le. Die Biber­ache­rin dachte zunächst an Religi­ons­päd­ago­gik, an christ­li­che Erwach­se­nen­ar­beit. Als sie 19 war, kristal­li­sier­te sich ihr Wunsch heraus, Kranken­schwes­ter zu werden, wie es damals noch hieß. „Ich wurde von vielen belächelt: Du hast doch Abitur, warum studierst du nicht?“, hieß es. Auch ihre Eltern waren skeptisch. Aber Tanja Winter ging ihren Weg. Ausschlag­ge­bend war ein Lehrer, den sie bei einer Verab­schie­dung von Pflege­kräf­ten gehört hatte: „Euer Werkstück ist der Mensch“, sagte der. „Das hat mich nicht mehr losge­las­sen, das war wie eine Initialzündung.“

Die andere Initi­al­zün­dung hieß Sven Winter, damals 18, den Sie kennen und kurz darauf lieben lernte. Der Ummen­dor­fer arbei­te­te im zweiten Lehrjahr als Kranken­pfle­ge­aus­zu­bil­den­der in Laupheim, „war frech und humor­voll“ und ziemlich überzeugt von dem, was er da tat. „Ich hab schon mit 13 als Sonntags­mäd­le gearbei­tet, als einzi­ger Bub“, sagt er – Sonntags­mäd­le, so nannte man die Mädchen, die Sonntags ehren­amt­lich im Kranken­haus halfen. Vor allem von drei tüchti­gen Pflegern auf der Urolo­gie war Sven Winter begeis­tert, später machte er Zivil­dienst als Rettungs­sa­ni­tä­ter im Rettungs­dienst. „Es war eine sehr prägen­de und schöne Zeit“, sagt Sven Winter, „ich habe viele wunder­ba­re Menschen kennen­ge­lernt, zu denen ich teils heute noch Kontakt habe. Viele studier­ten Medizin oder gingen in die Pflege, für den sozia­len Bereich war der Zivil­dienst eine wichti­ge Rekru­tie­rungs­quel­le.“ Auch er entschied sich damals für die Pflege, Tanja Winter folgte ihm. Heute arbei­tet die 44-Jähri­ge in der Anästhe­sie des Kranken­hau­ses in Waldsee, während Sven Winter dort als Leitung Pflege- und Prozess­ma­nage­ment tätig ist und derzeit Gesprä­che führt, wie und wo es in der Oberschwa­ben­kli­nik für die einzel­nen Mitar­bei­ten­den nach der Schlie­ßung des Kranken­hau­ses 2023 weitergeht.

Tanja Winter, die der OSK erhal­ten bleiben wird, wird der Abschied nach 13 Jahren in der Kurstadt mehr als schwer­fal­len. „Ich habe von Pflege­kräf­ten gelesen, die sich nicht wertge­schätzt fühlen, aber auf mich traf das noch nie zu, und das liegt auch am Arbeits­platz. Ich habe hier in der Anästhe­sie seit Jahren jeden Tag tolle Menschen um mich herum und so viel positi­ve Resonanz von den Patien­ten erhal­ten, dass ich mir nie die Sinnfra­ge gestellt habe.“ In den oft nur wenigen Minuten, die sie mit den Menschen vor oder nach einer Opera­ti­on zusam­men ist, treffe sie auf das ganze Spektrum mensch­li­cher Gefüh­le: Angst, Trauer, Panik, aber auch Erleich­te­rung, Dankbar­keit und Humor. „Mal ein Witzle, Sekun­den später schon wieder ein Taschen­tuch, es ist oft ein Wellen­tal. Man braucht viel Intui­ti­on und Erfah­rung, um schnell einen Draht zu den Menschen aufzu­bau­en und ihnen die Sorgen zu nehmen“, erzählt Winter.

Sie liebt ihren Job, ein Medizin­stu­di­um drauf­zu­sat­teln, hat sie nie erwogen. „Da hätte ich nicht das, was ich gesucht habe. Ich wollte möglichst nah am Menschen sein.“ Nah an Sven Winter blieb sie auch. Nachein­an­der wechsel­ten die beiden 1998 nach München an die Unikli­nik, um tiefer in die Welt der spezi­el­len Pflege einzu­tau­chen. „Wir wollten mehr lernen, die wilde, bunte, vielfäl­ti­ge Pflege kennen­ler­nen“, sagt Winter. Das Kranken­haus in Fried­richs­ha­fen, wo sie damals ihre Ausbil­dung absol­vier­te, war ihr zu klein gewor­den. In München arbei­te­te das Pflege-Paar zwar auf verschie­de­nen Inten­siv­sta­tio­nen, zog aber gemein­sam in ein Klinik­wohn­heim. 40 Quadrat­me­ter zu zweit, das war aufgrund der verschie­de­nen Schich­ten nicht immer einfach. „Wenn der eine schlief, musste der andere ruhig sein. Das erfor­dert einiges an Diszi­plin, wenn man nur ein Zimmer hat“, sagt sie schmun­zelnd. Aber es war eine gute Zeit. 2001 wechsel­te Sven Winter — er hatte berufs­be­glei­tend die Ausbil­dung zum Rettungs­as­sis­ten­ten absol­viert — an den Flugha­fen, wo sie einen Pfleger mit seinem Profil suchten. Wieder bilde­te er sich berufs­be­glei­tend weiter und schloss ein Studi­um mit der Spezia­li­sie­rung Pflege- und Prozess­ma­nage­ment ab.

2007 wechsel­te er zurück in die Heimat und eröff­ne­te in Biber­ach als Pflege­dienst­lei­ter einen Ambulan­ten Inten­siv­pfle­ge­dienst, sie kam 2009 mit Verspä­tung nach. „Es ist kaum vorstell­bar, aber damals war es sehr schwer, in der Region einen passen­den Job zu finden“, sagt sie. Den fand sie dann in Bad Waldsee – und er später auch, weil sie ihm die Stellen­aus­schrei­bung für den LPPM-Posten zeigte.

Schicht­dienst haben die beiden dort zwar nicht mehr, dennoch sei das Leben als Pflege­dop­pel nicht immer ein Ponyhof, erzäh­len sie. „Man muss lernen, gemein­sam abzuschal­ten, seine Freizeit zu leben, und nicht die Sorgen von der Arbeit mitzu­neh­men, was manch­mal nicht so einfach ist. Kaum ist der eine entspannt, kommt der andere von der Arbeit zurück und bringt sie wieder mit“, sagt Tanja Winter. Was aber von unschätz­ba­rem Wert sei, sei das gegen­sei­ti­ge Verständ­nis für die Nöte und auch die Glücks­ge­füh­le des anderen. „Bei uns existiert ein bedin­gungs­lo­ses Verständ­nis für die beruf­li­chen und mensch­li­chen Themen, das ist für beide eine große Stütze.“ Dass beide Sinn in ihrem Beruf finden, hilft. Sven Winter übernimmt noch heute drei, vier Diens­te im Monat als Notfall­sa­ni­tä­ter im Rettungs­dienst. „Menschen sind mir wichtig“, sagt er, „sonst würde ich das nicht tun.“

Auch der Freun­des­kreis der Winters ist voll mit Kolle­gen. Das ging so weit, dass die Geschen­ke 2003 bei der tradi­tio­nel­len Hochzeit in Biber­ach doch etwas unortho­dox waren. „Wir bekamen einige mit Gel gefüll­te Urinbeu­tel und Redon­fla­schen, in denen sonst Wundflüs­sig­keit gesam­melt wird. Immer­hin war in den Beuteln Geld versenkt“, sagt Tanja Winter und lacht. Und immer­hin kann sie heute sagen: „Ich würde jedem jungen Menschen empfeh­len, Pflege­kraft zu werden.“