BAD WALDSEE — Antide­mo­kra­ti­sche Kräfte versu­chen in Bad Waldsee Fuß zu fassen. Es wird Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen: 

In viele Brief­käs­ten wurden im Dezem­ber letzten Jahres Flyer einge­wor­fen vom „Vater­län­di­scher Hilfs­dienst“ (VHD). Diese „Bewegung“ gehört laut Bundes­amt für Verfas­sungs­schutz zur „Reichs­bür­ger“- und „Selbst­ver­wal­ter“- Szene, die in ihrer Gesamt­heit als staats­feind­lich einzu­stu­fen ist und deshalb unter Beobach­tung des Verfas­sungs­schut­zes steht. In diesem Zusam­men­hang distan­zier­te sich die Stadt­ver­wal­tung Bad Waldsee auf SZ-Nachfra­ge ausdrück­lich von der Reichs­bür­ge­rideo­lo­gie und erteil­te jegli­chem Fremden­hass eine klare Absage, wobei sie dazu riet, solche Flyer und Werbe­ma­te­ria­li­en am besten ungele­sen in den nächs­ten Papier­korb zu werfen (SZ berich­te­te am 21.01.2021).

Im Febru­ar gingen Broschü­ren mit dem Titel „Wie soll es weiter­ge­hen“ in den Brief­käs­ten ein. Der Verfas­ser, der sich als ehema­li­ger parla­men­ta­ri­scher Berater im Deutschen Bundes­tag ausgibt, war offen­bar Mitar­bei­ter der AfD-Bundestagsfraktion.

Seit Spätsom­mer letzten Jahres werden auf der Hochstatt regel­mä­ßig „Versamm­lun­gen für Frieden und Freiheit“, „Montags-Spazier­gän­ge“ oder „Lichter­um­zü­ge“ angemel­det und abgehal­ten oder zum „Bürger­dia­log“ „besorg­ter Bürger“ eingeladen. 

Als im Novem­ber die Novel­le des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes verab­schie­det wurde, kam es in Berlin zu Corona-Demons­tra­tio­nen, bei denen die Polizei eingrei­fen musste und es zu Festnah­men kam. An diesem Tag fand aus Protest dagegen in Bad Waldsee ein einstün­di­ger, laut hupen­der Autokor­so statt. 

Im Übrigen steht Die Querden­ken — Bewegung Stutt­gart mit allen ihren Gliede­run­gen, also auch Querden­ken Ravens­burg mittler­wei­le unter Beobach­tung des Baden-Württem­ber­gi­schen Verfas­sungs­schut­zes, weil sie verstrickt ist mit rechts­extre­men Gruppie­run­gen und Verschwö­rungs­ideo­lo­gen und sich nicht klar von diesen abgrenzt. 

Es ist offen­sicht­lich, dass die sehr schwie­ri­ge Situa­ti­on, in der sich unsere Gesell­schaft derzeit befin­det, Gruppie­run­gen auf den Plan ruft, die die Stimmung ausnut­zen, um mit wachsen­der Radika­li­sie­rung den gesell­schaft­li­chen Frieden und unsere Rechts­staat­lich­keit zu gefährden. 

Wir Grünen sind uns sicher, und das zeigen auch Anrufe von Bürge­rin­nenn und Bürgern bei den Gemeinderät*innen und im Ortsver­band, dass die Mehrheit der Bad Waldseer*innen diese Äußerun­gen und Versamm­lun­gen mit Sorge und mit Empörung betrachten. 

Ja, das Versamm­lungs­recht und das Recht auf freie Meinungs­äu­ße­rung sind hohe Rechts­gü­ter in Offenen Gesell­schaf­ten. Darauf können wir stolz sein! Aber sie sind auch anstren­gend und stellen unsere Toleranz­gren­ze auf eine harte Probe!

Einer­seits sind wir alle überstra­pa­ziert vom Lockdown und seinen Folgen und uns fehlt oft das Verständ­nis für manche Regelun­gen und Verord­nun­gen. Wir wissen, dass dieser Lockdown Existen­zen kostet, Famili­en z.T. bis über die Belas­tungs­gren­ze strapa­ziert und fragen uns oft, ob die Folgen des Lockdown nicht schlim­mer sind, als die Seuche selber. Insoweit stellen wir uns auch auf die Seite des „Waldseer Appells“ und aller gleich­ge­rich­te­ter Anlie­gen (SZ vom 09.02.2021). Gleich­zei­tig wollen wir nicht, dass dieje­ni­gen, die sich im Gesund­heits­sys­tem für die Kranken bis über die Erschöp­fungs­gren­ze einset­zen, in die Lage kommen, auswäh­len zu müssen, wer nun an das Sauer­stoff­ge­rät angeschlos­sen wird und wer nicht und wir wollen beson­ders verwund­ba­re Gruppen und das sind rund 30 % der Bevöl­ke­rung beson­ders schützen. 

Wir Grünen sind uns außer­dem sicher, dass die überwie­gen­de Mehrheit der Bad Waldseer durch­schaut, was da passiert und nicht anfäl­lig ist für solche verleug­nen­den, antide­mo­kra­ti­schen oder offen rechts­extre­men Positionen. 

Wer, wie einige von uns Grünen schon einmal mit Perso­nen, die derzeit auf die Versamm­lun­gen für „Frieden und Freiheit“ auf die Hochstatt gehen oder montags um den Stadt­see herum­lau­fen, gespro­chen und disku­tiert hat, durch­schaut vermut­lich schnell, dass deren „Gedan­ken­aus­tausch“ vorwie­gend darin besteht, die Corona­pan­de­mie zu leugnen, die Masken abzuleh­nen, weil sie angeb­lich krank machen und jegli­che einschrän­ken­de Regelung für ungerecht­fer­tigt zu halten. Wir haben in den Gesprä­chen dort die Erfah­rung gemacht, dass „geschlos­se­ne Sicht­wei­sen“ verbrei­tet werden und Gegen­ar­gu­men­te schnell als unfai­rer Angriff gesehen werden. Der angeb­lich gewünsch­te Dialog führte immer wieder zu den oben genann­ten Aussa­gen. Die Betitelung „Für Frieden und Freiheit“ stößt unserer Meinung nach all dieje­ni­gen Menschen vor den Kopf, die Kriegen ausge­setzt sind oder in Unter­drü­ckung und Unfrei­heit leben müssen. 

Wir nehmen uns deshalb die „Freiheit“ dort nicht hin zu gehen, auf diesen „Bürger­dia­log“ zu verzich­ten und uns so verant­wort­lich, wie wir es für richtig und sinnvoll erach­ten, zu verhal­ten. Lassen wir die Versammler*innen für Frieden und Freiheit und die Spaziergänger*innen unter sich. 

Bleiben wir aber als offene Stadt­ge­sell­schaft wachsam gegen Rechts­extre­mis­mus, Reichs­bür­ger und Rechts­po­pu­lis­mus, melden wir uns zu Wort und bezie­hen öffent­lich Stellung, dulden wir solche antide­mo­kra­ti­schen Übergrif­fe auf unsere Brief­käs­ten und auf unsere Haltun­gen und Meinun­gen nicht! Äußern auch Sie sich: Verei­ne, Verbän­de, Organi­sa­tio­nen, Unter­neh­men, Behör­den, Partei­en, Kirchen, Verwal­tun­gen, Bürge­rin­nen und Bürger!

Bündnis 90/ Die Grünen
Ortsver­band Bad Waldsee