FRIEDRICHSHAFEN – Die Mitglie­der der Gemein­de­rats­frak­ti­on Bündnis 90/die Grünen machen keinen Hehl daraus, dass sie dem Flugha­fen Fried­richs­ha­fen kein Geld mehr hinter­her­wer­fen will. Und sie haben gute Gründe dafür. Statt­des­sen fordern sie ein belast­ba­res Ausstiegsszenario.

„Der Flugha­fen Fried­richs­ha­fen hat wirtschaft­lich betrach­tet keine Perspek­ti­ve. Er wird sich weder kurz- noch langfris­tig rechnen und bleibt ein Millio­nen­grab“, sind sich die Mitglie­der der zweit­stärks­ten Frakti­on einig. Bis 2030 rund 23 Millio­nen Euro aus dem städti­schen Haushalt für den Flugha­fen zu inves­tie­ren, lehnen sie ab.

Frakti­ons­vor­sit­zen­de Anna Hochmuth denkt dabei schon einen Schritt weiter: „Wir können und wollen den Bürger*innen nicht erklä­ren, warum wichti­ge Projek­te hinten anste­hen müssen, während Millio­nen für den Flugha­fen drauf­ge­hen sollen – in einer Zeit, in der die Corona-Pande­mie viele Häfler*innen vor existen­zi­el­len Heraus­for­de­run­gen stellt.“

„Wir geben Gelder aus, die für andere kommu­na­le Projek­te fehlen werden“, bringt es Regine Anker­mann auf den Punkt. Aufgrund der angespann­ten finan­zi­el­len Situa­ti­on müsse die Stadt zukünf­tig Priori­tä­ten setzen. „Der Weiter­bau des Velorings, die Unter­füh­rung am Bahnhof Fisch­bach sind zwei Projek­te, die auf wackli­gen Beinen stehen und in den nächs­ten Jahren angegan­gen werden müssen“, nennt Bohnacker Beispie­le. Nicht zu verges­sen das Klini­kum, das ebenfalls in finan­zi­el­ler Schief­la­ge ist.

Auch aus Klima­schutz­grün­den sprechen sich die Grünen gegen den Flugha­fen aus. „Das Flugzeug ist das bei weitem klima­schäd­lichs­te Fortbe­we­gungs­mit­tel. Als Stadt können wir nicht das Fliegen subven­tio­nie­ren, obwohl der Gemein­de­rat einstim­mig das Pariser Abkom­men anerkannt hat“, sagt Frakti­ons­vor­sit­zen­de Anna Hochmuth.

Die Finanz­sprit­zen für den Flugha­fen mit Zuschüs­sen für den Öffent­li­chen Perso­nen­nah­ver­kehr (ÖPNV) zu verglei­chen, wie in der Vergan­gen­heit des Öfteren gesche­hen, halten die Grünen für unzuläs­sig. Allein schon, weil der größte Teil der öffent­li­chen ÖPNV-Zuschüs­se in den Schüler*innenverkehr fließe.

Wohnen, Gewer­be und Naherho­lung statt Flughafen-Millionengrab

Als Alter­na­ti­ve zu einem dauer­haft defizi­tä­ren Regio­nal­flug­ha­fen stellen sich die Grünen ein Misch­ge­biet aus Naherho­lung, Wohnbau und Gewer­be vor. Neben dringend benötig­ten Wohnun­gen sei Platz für innova­ti­ve Firmen. „Hier können hochwer­ti­ge und vor allem zukunfts­fä­hi­ge Arbeits­plät­ze entste­hen“, sagt Felix Bohnacker. „Damit lässt sich aus ökono­mi­scher, ökolo­gi­scher und sozia­ler Sicht ein höherer Nutzen erzie­len als es momen­tan der Fall ist“.

Kritik am Gutach­ten und an den Auftraggebern

Massi­ve Kritik üben die Grünen an dem Gutach­ten der Berater­fir­ma Roland Berger, das sich wie ein Gefäl­lig­keits­gut­ach­ten liest und wichti­ge Risiken unberück­sich­tigt lässt. „Sobald der Bahnhof Stutt­gart 21 und die Neubau­stre­cke nach Ulm fertig­ge­stellt sind, ist der Stutt­gar­ter Flugha­fen als inter­na­tio­na­ler Airport in einein­halb Stunden erreich­bar“, sagt Bohnacker. Als IT-Entwick­ler weiß er außer­dem aus Erfah­rung, dass „Video­kon­fe­ren­zen die Arbeits­welt während der Corona-Pande­mie nachhal­tig verän­dert haben und viele Geschäfts­rei­sen auch zukünf­tig überflüs­sig machen. Mögli­che politi­sche Restrik­tio­nen für Kurzstre­cken­flü­ge und höhere CO2-Besteue­rung sind zwei weite­re Risiken, die die grünen Stadträt*innen in den Ausfüh­run­gen von Roland Berger vermissen.

„Uns ein ‚Weiter so‘ als beste Lösung zu verkau­fen, ist ein Zweck-Optimis­mus, der jeder Grund­la­ge entbehrt“, findet Regine Anker­mann. „Schon in der Vergan­gen­heit mussten wir immer wieder Millio­nen in den Flugha­fen stecken, obwohl wir das Optima­le rausge­holt haben.“

Das Argument, der Flugha­fen sei wichtig für die Indus­trie, zieht bei ihr nicht. Von dieser Seite werde nur gefor­dert, aber nicht unter­stützt: „Die einge­for­der­te finan­zi­el­le Unter­stüt­zung der Großun­ter­neh­men hat sich bisher nie bewahr­hei­tet. Wieso sollte sich das ausge­rech­net in dieser krisen­haf­ten Situa­ti­on ändern?

Auch fehle es in dem Gutach­ten an ganzheit­li­cher Betrach­tung aller Optio­nen und an Nachnut­zungs­sze­na­ri­en, die eine sozial-ökolo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on ermög­li­chen. „Leider hat der Auftrag­ge­ber diese Option nicht berück­sich­tigt. Eine Entschei­dung für das Gemein­wohl ist aber nur dann möglich, wenn alle Optio­nen ergeb­nis­of­fen betrach­tet werden“, sagt Bohnacker.

Darüber hinaus halten die Grünen einige Zahlen für wenig belast­bar. So seien die 58 Millio­nen Euro, die angeb­lich durch den Flugha­fen in der Region bleiben, nicht belegt worden.

Was den Grünen ebenfalls sauer aufstößt, sind Anwalts­kos­ten in Höhe von 570.000 Euro, die darauf verwen­det wurden, das neue EU-Beihil­fe­recht zu umgehen. Darin steht, dass das opera­ti­ve Geschäft von Regio­nal­flug­hä­fen nicht aus öffent­li­chen Mitteln bezuschusst werden darf.

Auch an anderen Stellen weist das Gutach­ten des Beratungs­un­ter­neh­mens Roland Berger Schwä­chen auf. So fehlt den grünen Gemein­de­rä­ten ein dezidier­tes Alter­na­tiv­sze­na­rio bei Schlie­ßung des Flugha­fens und sie bedau­ern, dass Alter­na­tiv­sze­na­ri­en zum Status Quo nur sehr oberfläch­lich betrach­tet wurden.

Genügend Gründe für die Grünen-Frakti­on, die millio­nen­schwe­re Zuschüs­se abzuleh­nen. „Ein ‚Weiter so‘ darf es nicht geben“, sind sie sich einig.