RAVENSBURG/MANNHEIM (dpa/lsw) — Rund 15 Monate lang waren Disko­the­ken im Südwes­ten geschlos­sen. Am Wochen­en­de soll an drei Orten wieder gefei­ert werden dürfen — ohne Maske und Abstand. Die wissen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se aus den Modell­ver­su­chen sollen bei weite­ren Öffnun­gen helfen.

Welche Musik bei der ersten Party seit über einem Jahr laufen soll? René Minner weiß es noch nicht so genau. «Das müssen wir noch entschei­den», sagt der Mitbe­trei­ber des Ravens­bur­ger Clubs Kanti­ne. «Wir konnten uns bislang ja nicht ganz sicher sein, dass das mit der Öffnung auch wirklich klappt.» Doch seit Montag­abend ist klar: Der 38-Jähri­ge darf seinen Club am Wochen­en­de erstmals seit Beginn der Corona-Krise wieder für tanzwü­ti­ge Gäste öffnen — ohne Maske und ohne Mindestabstand.

Die Kanti­ne ist einer von drei Clubs im Land, deren Wochen­end-Partys das Sozial­mi­nis­te­ri­um als Modell­ver­su­che geneh­migt hat. Auch der Rave-Club Douala in Ravens­burg und der Hafen49 in Mannheim dürfen zum Tanzen einla­den, am Rhein findet die Veran­stal­tung am Sonntag­abend unter freiem Himmel statt. Insge­samt 1200 Gäste dürfen in den beiden Städten höchs­tens dabei sein. Die 500 Online-Tickets für die Open-Air-Veran­stal­tung in Mannheim waren nach Angaben des Veran­stal­ters inner­halb von einein­halb Stunden vergriffen.

Aus den Modell­ver­su­chen erhofft sich das Land Erkennt­nis­se zur Übertra­gung des Corona­vi­rus bei unter­schied­li­chen Veran­stal­tun­gen. Deshalb werden die Öffnun­gen in Ravens­burg und Mannheim wissen­schaft­lich beglei­tet. Die Resul­ta­te könnten nach Angaben des Sozial­mi­nis­te­ri­ums Grund­la­ge für weite­re Erleich­te­run­gen in der Clubsze­ne sein – «sofern die Ergeb­nis­se vielver­spre­chend und weite­re Öffnun­gen verant­wort­bar sind».

Seit Montag dürfen Disko­the­ken im Land zwar auch abseits der Modell­ver­su­che wieder öffnen, aller­dings nur bei Inzidenz­wer­ten bis zu zehn sowie unter stren­gen Aufla­gen: Zum Beispiel dürfen Clubs nur einen Gast pro zehn Quadrat­me­tern Fläche einlas­sen, zudem müssen die Feiern­den Mindest­ab­stän­de und Masken­pflicht einhal­ten. Geimpft, genesen oder getes­tet müssen die Besucher ebenfalls sein.

Die Inter­es­sen­ge­mein­schaft Clubkul­tur Baden-Württem­berg bezeich­ne­te die Vorga­ben in einem offenen Brief als «Schlag ins Gesicht für all dieje­ni­gen, die seit über 15 Monaten versu­chen, ihre eigene Existenz zu sichern». In allen anderen Branchen habe die Landes­re­gie­rung großzü­gig gelockert, das Nacht­le­ben werde «de facto unterbunden».

Das Sozial­mi­nis­te­ri­um warb um Verständ­nis für die vorsich­ti­gen Locke­run­gen. «Wir verste­hen, dass gerade die Club-Betrei­ber vor großen Heraus­for­de­run­gen stehen, da sie zu den Branchen mit den längs­ten Schließ­zei­ten während der Pande­mie gehören», sagte ein Sprecher. In Disko­the­ken seien Infek­tio­nen aber mit am wahrschein­lichs­ten: «Innen­räu­me, wenig Abstand, tanzen­des Publi­kum, feucht-fröhli­che Atmosphä­re. Hier haben die Aeroso­le leich­tes Spiel.»

Wie gefähr­lich das distanz­lo­se Tanzen ohne Maske tatsäch­lich ist, sollen nun die drei Modell­pro­jek­te näher beleuch­ten. Deshalb sind die Party­gäs­te am Wochen­en­de nicht nur verpflich­tet, sich vor dem Feiern testen zu lassen, sondern auch angehal­ten, einige Tage später einen PCR-Test vorneh­men zu lassen. Vor dem Feiern reicht ein Antigen-Schnell­test. René Minner setzt in der Kanti­ne auf ein «Testpfand», um sicher­zu­stel­len, dass viele Gäste mitma­chen: «Wir brauchen eine Quote von 80 Prozent bei den Nachtests, damit das Modell­pro­jekt nicht abgebro­chen wird.»

Rechnen werde sich das Party­wo­chen­en­de bei einer Auslas­tung von höchs­tens 40 Prozent vermut­lich nicht, sagt Club-Betrei­ber Minner. «Früher hätte ich gesagt: schwie­rig. Heute sage ich: Haupt­sa­che auf.» Es gehe darum, «wieder auf der Bildflä­che zu sein».

Aller­dings sei es nach der langen Zwangs­pau­se schwie­rig, Mitar­bei­ter für die Öffnun­gen zu finden, sagt der Sprecher der IG Clubkul­tur, Simon Walden­spuhl. «Aus ersten Erfah­rungs­be­rich­ten stehen die Clubs und Spiel­stät­ten da vor ähnli­chen Heraus­for­de­run­gen wie die Gastro­no­mie. Große Teile der alten Beleg­schaf­ten haben sich zwangs­mä­ßig umori­en­tie­ren müssen.» Wie viele Clubs die Corona-Krise überle­ben, sei zudem immer noch nicht absehbar.

Umso wichti­ger sind die Erkennt­nis­se aus den Model­l­öff­nun­gen. Bei René Minner in Ravens­burg ist die Freude darüber groß, auch ohne wirtschaft­li­chen Gewinn: «Vorher hatten wir null Euro Umsatz, das ist doch jetzt schon mal besser.»