FRIEDRICHSHAFEN (dpa) — Olaf Scholz ist dauer­haft im Krisen­mo­dus, nimmt sich aber trotz­dem Zeit für die Südwest-SPD. Am Boden­see hält er eine vergleichs­wei­se leiden­schaft­li­che Rede und attackiert die Union. Der SPD-Landes­chef profi­tiert vom Rücken­wind des Kanzlers.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz hat den Partei­tag der SPD Baden-Württem­berg für einen Frontal­an­griff auf die Union und den CDU-Vorsit­zen­den Fried­rich Merz genutzt. Mitten im Streit um das neue Bürger­geld warf er CDU und CSU vor, in der Sozial­po­li­tik «abgeho­ben» und «hochnä­sig» zu sein. Scholz deute­te den Slogan der Union «Leistung muss sich lohnen» für sich um und erklär­te, genau dieses Motto leite die SPD bei ihren sozia­len Refor­men. Die Ampel-Regie­rung werde auch die Bremsen beim Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien lösen, sagte der Kanzler am Samstag in Fried­richs­ha­fen am Boden­see. «Wir lösen den ganzen Stau, die ganze Blocka­de auf, die die CDU im Hinblick auf die Zukunft des Landes hinter­las­sen hat.»

Der baden-württem­ber­gi­sche SPD-Landes­chef Andre­as Stoch wurde für weite­re zwei Jahre in seinem Amt bestä­tigt. Der 53 Jahre alte Jurist aus Heiden­heim erhielt als einzi­ger Kandi­dat 95,6 Prozent. 283 Delegier­te stimm­ten mit Ja, 9 mit Nein und 4 enthiel­ten sich. Stoch führt die Landes-SPD seit 2018 und nimmt für sich in Anspruch, die zerstrit­te­ne Partei geeint zu haben. In seiner Rede vor den etwa 600 Zuhörern beklag­te er den «Still­stand» unter der grün-schwar­zen Landes­re­gie­rung. Je mehr die Ampel anpacke, «desto deutli­cher wird doch, wie wenig in diesem Land voran­kommt», sagte Stoch, der als Frakti­ons­chef auch Opposi­ti­ons­füh­rer im Landtag ist.

Der Kanzler sagte, die Bundes­re­gie­rung kümme­re sich nicht nur um die aktuel­len Krisen, sondern setze auch um, was die SPD im Wahlkampf verspro­chen habe — zum Beispiel die Anhebung des Mindest­lohns auf zwölf Euro. Es habe ihn nicht gewun­dert, dass sich die Union an der Entschei­dung für einen höheren Mindest­lohn nicht betei­ligt habe. «Aber dass die Union es nicht mal fertig gebracht hat, ein ganz klein wenig die Hand zu heben, als die Abstim­mung im Bundes­tag darüber war und ihr zuzustim­men, das ist abgeho­ben und das ist hochnä­sig», sagte Scholz. «Und das hat mit «Leistung muss sich lohnen» überhaupt nichts zu tun», kriti­sier­te der Kanzler.

Er spiel­te damit offen­sicht­lich auf die Begrün­dung der Union an, mit der diese im Bundes­rat das neue Bürger­geld abgelehnt hat. Demnach lohnt es sich nicht für Empfän­ger des Bürger­gelds, eine Arbeit aufzu­neh­men. Scholz sagte in Bezug auf den Mindest­lohn: «Die Leistung fleißi­ger Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer muss sich lohnen, lieber Herr Merz.» Der Kanzler erwähn­te in seiner Rede den Streit über das Bürger­geld angesichts der Vermitt­lungs­be­mü­hun­gen nicht direkt, verwies aber auf eine Reihe von Refor­men, mit der die Ampel-Koali­ti­on fleißi­ge Menschen und Famili­en unter­stüt­ze. Er erwähn­te zum Beispiel die Erhöhung des Kinder­gelds und rief: «Leistung muss sich lohnen, lieber Herr Merz.»

SPD-Chefin Saskia Esken sprach den Konflikt um das Bürger­geld direkt an. Wenn die Union behaup­te, bei einer Erhöhung der Regel­sät­ze lohne sich Arbeit nicht mehr, sei das «Fake News», sagte Esken beim Partei­tag. «Vor allem ist diese Argumen­ta­ti­on schäbig, weil sie arme Menschen gegen die ärmsten ausspielt.» Es sei auch falsch, dass mit dem Bürger­geld die Menschen nicht dazu zu motivie­ren seien, eine Arbeit aufzu­neh­men. «Die Unter­stel­lung von CDU und CSU zeigt ein abgrün­di­ges Menschenbild.»

Nachdem der Gesetz­ent­wurf von Arbeits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) im Bundes­rat wegen des Wider­stands der Länder mit Regie­rungs­be­tei­li­gung der Union keine Mehrheit bekom­men hatte, soll an diesem Mittwoch der Vermitt­lungs­aus­schuss von Bundes­rat und Bundes­tag einen Kompro­miss festzur­ren. Die Ampel-Pläne für das Bürger­geld sehen unter anderem eine Erhöhung des Regel­sat­zes von 449 Euro für Allein­ste­hen­de auf 502 Euro vor. Arbeits­lo­se sollen zudem künftig weniger durch einen angedroh­ten Leistungs­ent­zug (Sanktio­nen) unter Druck gesetzt und dafür bei Weiter­bil­dungs­maß­nah­men stärker unter­stützt werden. Zudem sollen Vorga­ben zur erlaub­ten Vermö­gens­hö­he und zur Wohnungs­grö­ße bei Leistungs­be­zie­hern gelockert werden.