BREST (dpa) — Vor knapp neun Monaten krönte sich Tadej Pogacar bei der Tour de France zum jüngs­ten Gesamt­sie­ger seit 1904. Auch dieses Mal könnte es eine slowe­ni­sche Erfolgs­sto­ry werden. Am Samstag rollt die Tour los.

Neben den vielen blau-weiß-roten Fahnen zur Fußball-EM hat sich die Hafen­stadt Brest ganz in Gelb rausgeputzt.

Tief im Westen unweit der breto­ni­schen Heimat von Bernard Hinault ist alles bereit für den Start­schuss der 108. Tour de France — allen Widrig­kei­ten zum Trotz. Im eigent­li­chen Start­ort Kopen­ha­gen war wegen der EM kein Platz mehr für die Tour, in der Heimat stell­te sich manch ein Umwelt­schüt­zer quer — und corona­kon­form musste das Konzept schließ­lich auch sein.

Wenn sich am Samstag die Karawa­ne auf die 3414,4 Kilome­ter lange Reise nach Paris begibt, hofft der Radsport auf eine langsa­me Rückkehr zur Norma­li­tät. Dank der sinken­den Inzidenz­wer­te und Locke­run­gen könnte es beim Natio­nal­hei­lig­tum wieder stimmungs­vol­ler als im Vorjahr zugehen, auch wenn das bewähr­te Corona-Proto­koll wieder gilt. Sport­lich läuft alles auf ein erneu­tes slowe­ni­sches Duell zwischen Vorjah­res­sie­ger Tadej Pogacar und dem unglück­li­chen Zweiten Primoz Roglic hinaus. Die weniger berglas­ti­ge Strecken­füh­rung ist aber auch für den franzö­si­schen Weltmeis­ter Julian Alaphil­ip­pe «ein Geschenk» und lässt die Grande Nation auf das Ende der Durst­stre­cke seit Hinaults Triumph vor 36 Jahren hoffen.

Buchmann als Joker am Start

Für die deutschen Asse ist wohl nur eine Neben­rol­le im Drehbuch der diesjäh­ri­gen Tour-Story vorge­se­hen. Emanu­el Buchmann — immer­hin Vierter von 2019 — steht als Joker am Start, schließ­lich war der Kletter­spe­zia­list beim Bora-hansg­ro­he-Rennstall gar nicht für das Rennen einge­plant. Erst sein Sturz-Aus beim Giro d’Ita­lia ließ die Verant­wort­li­chen umden­ken. Er werde sich «nicht absicht­lich abhän­gen lassen», kündig­te Buchmann an. Zwei lange Einzel­zeit­fah­ren und weniger Bergan­künf­te sind aber im Gegen­satz zu Teamka­pi­tän Wilco Kelder­man (Nieder­lan­de) nicht nach seinem Geschmack.

Und sonst? André Greipel geht im stolzen Alter von 38 Jahren noch einmal auf die Reise, nachdem er im vergan­ge­nen Jahr eigent­lich schon Abschied von der Tour genom­men hatte. Passen­der­wei­se trifft er in Frank­reich seinen alten und ebenfalls schon abgeschrie­be­nen Rivalen Mark Caven­dish (Großbri­tan­ni­en) wieder. Für Etappen­sie­ge kommen die Altstars aber weniger in Frage. Da auch der formschwa­che Pascal Acker­mann nicht zu seinem Tour-Debüt kommt, ist mit deutschen Erfol­gen bei den Sprints kaum zu rechnen.

Schach­mann und Kämna fehlen

Vermis­sen werden die deutschen Rad-Fans auch Maximi­li­an Schach­mann, der sich auf Olympia in Tokio konzen­triert, und den letzt­jäh­ri­gen Etappen­ge­win­ner Lennard Kämna, der eine menta­le Pause einlegt. Immer­hin gehört der zwölf­köp­fi­gen deutschen Delega­ti­on Dauer­bren­ner Tony Martin an, der zum 13. Mal dabei ist und seinem Kapitän Roglic zum Triumph im zweiten Anlauf verhel­fen soll.

Die Bilder der Tour 2020 sind noch in bester Erinne­rung, als Roglic in La Planche des Belles Filles enttäuscht und mit leerem Blick auf dem Asphalt saß. In einem denkwür­di­gen Bergzeit­fah­ren hatte Pogacar seinem Lands­mann am vorletz­ten Tag das Gelbe Trikot entris­sen und sich mit 21 Jahren und 365 Tagen zum jüngs­ten Toursie­ger seit 1904 gekrönt. «Wenn du so ein großes Rennen gewinnst wie die Tour de France, macht es dir Lust auf mehr», sagt Pogacar. Acht Siege im Jahr 2021, darun­ter der Triumph beim Klassi­ker Lüttich-Basto­gne-Lüttich, schei­nen dies zu unterstreichen.

Roglic: «Nicht in der Favoritenrolle»

So sieht sich Roglic auch «nicht in der Favori­ten­rol­le». Es gebe auch noch 20 andere gute Fahrer. Im Kopf hat der frühe­re Skisprin­ger dabei sicher das Ineos-Team mit Ex-Tour-Champi­on Geraint Thomas, dem Vorjah­res­drit­ten Richie Porte und den beiden Ex-Girosie­gern Tao Geoghe­gan Hart und Richard Carapaz. Die Zeiten, als der briti­sche Super-Rennstall die Tour über fast ein Jahrzehnt mit Vierfach-Champi­on Chris Froome dominier­te, sind aber offen­bar vorbei.

Apropos Froome. Nach drei Jahren gibt der Super­star bei der Tour sein Comeback. Seit seinem schlim­men Sturz im Rahmen der Dauphi­né-Rundfahrt 2019 kommt der 36-Jähri­ge aber an seine Bestform nicht mehr heran. So sieht sich Froome beim Team Israel Start-Up Nation eher in der Rolle des Wasser­trä­gers für Kapitän Micha­el Woods: «Ihr könnt defini­tiv erwar­ten, dass ihr mich seht, wie ich in den nächs­ten Wochen einige Flaschen hole.»

Womög­lich auch am Mont Ventoux, wo Froome 2016 zu Fuß sein Gelbes Trikot vertei­digt hatte. Der 1910 Meter hohe berühmt-berüch­ti­ge Riese der Provence gehört wieder zum Programm und muss auf der elften Etappe zweimal überquert werden. Das Ziel liegt aber im Tal. Bergan­künf­te warten dagegen in Tignes, am Col du Portet und in Luz-Ardiden. Die Entschei­dung dürfte aber im Zeitfah­ren am vorletz­ten Tag in Saint-Emili­on fallen, wo der junge Jan Ullrich 1996 seinen ersten Tour-Etappen­sieg holte.

Corona fährt mit

Bis der Tour-Sieger 2021 gekrönt wird, gilt es aber auch die Corona-Hürden zu überwin­den. Im Klartext heißt das: Alle Fahrer werden jeweils zweimal vor dem Tour-Start, nach der fünften Etappe sowie am ersten und zweiten Ruhetag getes­tet. Werden zwei Fahrer eines Teams inner­halb von sieben Tagen positiv getes­tet, soll der jewei­li­ge Rennstall ausge­schlos­sen werden. Im vergan­ge­nen Jahr wurde dies ähnlich gehand­habt und hatte weitge­hend funktio­niert. Kein Fahrer wurde positiv getestet.

Durch die Corona-Pande­mie waren die Organi­sa­to­ren gezwun­gen, sich einen neuen Start­ort zu suchen, da Kopen­ha­gen wegen der auf 2021 verleg­ten Fußball-EM passen musste und nun im nächs­ten Jahr dran ist. Danach sollte eigent­lich Rennes den Grand Depart ausrich­ten, doch der von den Grünen mitre­gier­te Stadt­rat stimm­te dagegen. Ohnehin sieht sich die Tour wegen der Umwelt­ver­schmut­zung zuneh­men­der Kritik ausgesetzt.

Von Stefan Tabel­ing und Tom Bachmann, dpa