WIESBADEN (dpa) — Mehr als 48 Stunden in der Woche müssen immer weniger Menschen in Deutsch­land arbei­ten. Es gibt aber weiter­hin viele Ausnah­men und auch eine Gruppe, die dringend länger arbei­ten will.

Die Erwerbs­tä­ti­gen in Deutsch­land müssen selte­ner überlang arbei­ten. Von den rund 30 Millio­nen Menschen mit Vollzeit­jobs verbrach­ten im vergan­ge­nen Jahr 8,3 Prozent gewöhn­lich mehr als 48 Stunden in der Woche im Job, wie das Statis­ti­sche Bundes­amt auf der Grund­la­ge des Mikro­zen­sus berichtete.

Das waren zwar immer noch knapp 2,5 Millio­nen Menschen, aber auch der niedrigs­te Stand seit 1991. Im Jahr 2021 waren noch 8,9 Prozent der Vollzeit­er­werbs­tä­ti­gen nach eigenen Angaben mit überlan­gen Arbeits­zei­ten konfrontiert.

Diese sind vor allem unter Selbst­stän­di­gen verbrei­tet, für die das deutsche Arbeits­zeit­ge­setz mit einer Obergren­ze von 48 Stunden in der Woche wie auch bei Freibe­ruf­lern nicht gilt. Haben die Selbst­stän­di­gen in der Firma Leute angestellt, sind 48,2 Prozent der Chefin­nen und Chefs regel­mä­ßig länger als 48 Stunden im Betrieb. Bei Solo-Selbst­stän­di­gen beträgt die Quote noch 26,0 Prozent.

Unter den Arbeit­neh­mern muss nur jeder 20. länger als 48 Stunden arbei­ten. Auch hier nennt das Gesetz eine ganze Reihe von Ausnah­men etwa für Leiten­de Angestell­te, Chefärz­te oder Pfarrer. Andere Regel­wer­ke gelten für das Perso­nal in der Luftfahrt, Binnen­schiff­fahrt und im Straßentransport.

Zehn Stunden an einzel­nen Tagen erlaubt

Nach dem deutschen Arbeits­zeit­ge­setz darf die tägli­che Arbeits­zeit für Angestell­te im Schnitt acht Stunden betra­gen, an einzel­nen Tagen sind auch zehn Stunden erlaubt. Auch die Ruhezei­ten zwischen zwei Arbeits­pe­ri­oden sind geregelt. Die genaue Arbeits­zeit regeln die jewei­li­gen Arbeits- oder Tarif­ver­trä­ge. In der westdeut­schen Metall- und Elektro­in­dus­trie gilt beispiels­wei­se für Vollzeit die 35-Stunden-Woche. Darüber hinaus­ge­hen­de Überstun­den müssen verein­bart werden. Konflik­te gibt es derzeit um die Ausge­stal­tung der Arbeits­zeit­er­fas­sung, die Europäi­scher Gerichts­hof und Bundes­ar­beits­ge­richt verpflich­tend verlangen.

Überlan­ge Arbeits­zei­ten sind häufig ein Problem von beson­ders gut quali­fi­zier­ten Erwerbs­tä­ti­gen, wie Auswer­tun­gen des Insti­tuts für Arbeits­markt und Berufs­for­schung (IAB) zeigen. Diese Menschen — Männer wie Frauen — handeln im Job weitge­hend selbst­be­stimmt, wollen viel leisten und Karrie­re machen. Das sollte aber nicht zu 60-Stunden-Wochen führen, mahnt IAB-Exper­te Enzo Weber. Es gelte, die Jobs ins eigene Leben einzu­pas­sen, was auch immer mehr Beschäf­tig­te einfor­der­ten. Dazu seien flexi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le und mobile Arbeits­mög­lich­kei­ten wirksa­me Instrumente.

Teilzeit­kräf­te wollen mehr arbeiten

Eindeu­tig mehr arbei­ten wollen hinge­gen mehr als 700.000 Menschen, die laut Statis­ti­schem Bundes­amt unfrei­wil­lig in Teilzeit­jobs stecken und dies in der Mikro­zen­sus-Befra­gung als «Notlö­sung» betrach­ten. Das waren im vergan­ge­nen Jahr 5,7 Prozent der rund 12,5 Millio­nen Teilzeit­be­schäf­tig­ten hierzu­lan­de. Auch dieser Anteil geht zurück, er hat sich inner­halb von zehn Jahren beina­he gedrit­telt (2012: 15,4 Prozent).

Das IAB hat nach Gründen gesucht, warum Wunsch­ar­beits­zei­ten vom Status quo so stark abwei­chen. Gerade bei Frauen stehen häufig familiä­re Umstän­de einer höheren Arbeits­zeit im Wege. Kinder müssen betreut, Angehö­ri­ge gepflegt werden: Diese Arbei­ten bleiben immer noch meistens an den Frauen hängen, beson­ders bei unzurei­chen­den öffent­li­chen Angebo­ten, sagt IAB-Forscher Weber. «Nur in ganz selte­nen Fällen arbei­ten Frauen kürzer als sie wollen, weil keine Vollzeit­stel­len da sind.» Ändern lasse sich diese Situa­ti­on über den Ausbau öffent­li­cher Kinder­be­treu­ungs­an­ge­bo­te, ausge­gli­che­ne­re Auftei­lung der Care-Arbeit zwischen den Bezie­hungs­part­nern sowie flexi­ble indivi­du­el­le Arbeitsmöglichkeiten.

Viele Unter­be­schäf­tig­te stecken zudem nach Webers Einschät­zung in beruf­li­chen Sackgas­sen. Bis zur Hälfte der Mini-Jobber wolle eigent­lich mehr arbei­ten, habe sich aber aus verschie­de­nen Gründen mit der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on arran­giert. «Viele bräuch­ten einen Impuls von außen, um ihre Situa­ti­on aufzu­bre­chen», ist der Arbeits­markt­for­scher überzeugt.

Von Chris­ti­an Ebner, dpa