WANGEN — Eine Insti­tu­ti­on verab­schie­det sich in den verdien­ten Ruhestand: Der Standes­be­am­te Walter Martin verlässt am 30. Dezem­ber 2021 nach 34 Jahren das Rathaus und nimmt insge­samt 42 Jahre Erfah­rung in seinem Beruf mit. 

Von der Wiege bis zur Bahre beglei­ten Standes­be­am­te das Leben von Bürge­rin­nen und Bürgern. Auch wenn heute die Gebur­ten über das Kranken­haus und Todes­fäl­le über die Bestat­tungs­in­sti­tu­te gemel­det werden – Standes­am­te beurkun­den alle diese Fälle und noch viel mehr.
Seine Laufbahn begann Walter Martin mit der Ausbil­dung in Argen­bühl. Damals, nach der Gemein­de­re­form 1972, war er der erste Lehrling im gehobe­nen Dienst im Eisen­har­zer Rathaus. Nach Studi­um und Bundes­wehr arbei­te­te er von 1979 bis 1987 in Kißlegg als Standes­be­am­ter. „Ich habe in dieser Zeit so richtig Geschmack an dem Beruf gefun­den. Aber Wangen hat mich immer gereizt“, sagt er. Und so wechsel­te er im April 1987 ins Wange­ner Rathaus. 

An die 3700 Paare hat Walter Martin im Lauf der Jahre getraut. Schon allein deshalb findet er, sein Beruf sei der schöns­te der Welt. Für Walter Martin war er noch viel mehr: „Es war meine Berufung.“ Vieles hat sich gewan­delt im Lauf der Zeit. Anfangs wurde im 15-Minuten-Takt gehei­ra­tet. Es war die Zeit, in der die zivile Eheschlie­ßung den aller­meis­ten Paaren als ein förmli­cher Akt galt, der dann von der kirch­li­chen Trauung feier­lich gekrönt wurde. Sie kamen für gewöhn­lich nur mit den Trauzeugen. 

Inzwi­schen ist für viele Hochzei­ter die Eheschlie­ßung auf dem Standes­amt die einzi­ge Zeremo­nie, weshalb sie sich auch einen feier­li­chen Rahmen wünschen. „Viele Paare wollen hier in Wangen heira­ten, weil wir so schöne Räume haben“, sagt Walter Martin. So kommt denn auch ein Drittel aller Paare von auswärts, um sich in den histo­ri­schen Räumen das Ja-Wort zu geben. Diese Räume haben es aber manch­mal auch in sich. Denn nicht nur einmal geschah es, dass Paare im Histo­ri­schen Sitzungs­saal im ersten Stock zurück­blie­ben, um sich noch ausgie­big fotogra­fie­ren zu lassen. Pech, wenn dann die Tür samt altem Schloss so zufällt, dass man wissen muss, wie man es entrie­gelt. Mehrmals mussten Paare aus dem „Gefäng­nis“ geret­tet werden. Passiert sei nie etwas, sie kamen höchs­tens etwas verspä­tet zum eigenen Fest.
„Vor der Pande­mie war es keine Selten­heit, dass 100 Gäste einer Eheschlie­ßung beiwohn­ten samt Chor und Musik“, erzählt er. Oft schloss sich dann auch in den Foyers im Rathaus ein Empfang inklu­si­ve Catering an. Derzeit sind zehn Perso­nen im Rathaus erlaubt, im Sommer waren es 25 und die Nachfei­er findet vor dem Rathaus statt. Verän­dert hat sich auch die Zahl der Eheschlie­ßun­gen. Waren es 1987 etwa 80 Trauun­gen, so sind es üblicher­wei­se rund 200 jährlich. In diesem Jahr werden es wohl gut 180 sein.

Fragt man Walter Martin nach Beson­der­hei­ten, lächelt er sein verschmitz­tes Lächeln und sagt: „Nein gesagt hat bisher niemand. Aber es ist auch schon vorge­kom­men, dass Paare zu ihrem Termin nicht erschie­nen sind.“ Aber natür­lich gab es auch die beson­de­ren Hochzei­ten. Zum Beispiel am 8.8.2008. An diesem Termin traute er paral­lel mit Oberbür­ger­meis­ter Micha­el Lang im Halb-Stunden-Rhyth­mus insge­samt zwölf Paare, die jeweils mit einem Vierspän­ner vor dem Rathaus vorge­fah­ren wurden. „Das war ein tolles Bild, das viele Zuschau­er anlock­te“, erinnert er sich. In die 90er Jahre fällt eine Trauung, die Funk und Fernse­hen und eine riesi­ge Zuschau­er­men­ge auf den Markt­platz lockte: Einer der Söhne des bayeri­schen Politi­kers Franz-Josef Strauß heira­te­te eine Wange­n­e­r­in. „Der damali­ge Bürger­meis­ter Gerd Locher kam zu mir im Vorfeld und fragte mich, ob ich damit klar komme“, erzählt er und lacht. 

Trauun­gen sind die Aufga­ben, die den Beruf des Standes­be­am­ten öffent­lich machen. Viele andere Aufga­ben vollzie­hen sich am Schreib­tisch. „Das inter­na­tio­na­le Ehe- und Famili­en­recht ist sehr kompli­ziert“, erklärt Walter Martin und hat auch ein Beispiel parat: „Beson­ders schwie­rig ist es, wenn Eltern keine Ausweis­pa­pie­re haben. So etwas gab es immer wieder. 1989 nach der Wende kamen viele Menschen vietna­me­si­scher Herkunft aus der ehema­li­gen DDR zu uns – oft ohne Papie­re. Oder in der jüngs­ten Vergan­gen­heit Menschen aus Afrika, Syrien oder Afgha­ni­stan. Wenn keine Pässe vorge­legt werden können, dann kann auch keine Identi­tät festge­stellt werden und das betrifft dann auch die Gebur­ten.“ Es ändert sich beispiel­wei­se dann, wenn so eine Person sich erfolg­reich hat einbür­gern lassen. Oder die „Ehefä­hig­keit“ wird durch einen Nachweis aus dem Herkunfts­land beschei­nigt. Da dies unter Umstän­den umfang­rei­che Recher­chen über die deutsche Botschaft im jewei­li­gen Land mit sich bringt, ist dann auch immer viel Geduld notwendig. 

Zu den ganz sensi­blen Themen gehört es, wenn sich Eltern schei­den lassen, die Mutter ihren Mädchen­na­men wieder anneh­men möchte und nun auch gerne hätte, dass die Kinder ihn tragen. „Ich habe da die Menschen vor mir und die Geset­ze in meinem Rücken“, sagt der schei­den­de Standes­be­am­te mit Verweis auf die Akten­schrän­ke im Raum. Aber genau diese Geset­ze sind es, die den Fall oft nicht einfa­cher machen. Denn was bedeu­tet es genau, wenn dort steht: „Es ist für das Wohl des Kindes erfor­der­lich.“ Was also tun? „Wir sprechen mit den Leuten und wir fragen in solchen Fällen auch beim Jugend­amt nach“, erläu­tert Martin das Vorgehen. 

Spannend sind auch Vorna­men. Früher mussten sie eindeu­tig männlich oder weiblich sein. Heute heißt die Regel: Ein Name muss als Name erkenn­bar sein. Eine harte Nuss gab es da zu knacken, als ein Kind „Granit“ genannt werden sollte. „Wir haben das zunächst nicht erlau­ben wollen. Aber dann stell­te sich heraus, dass im frühe­ren Jugosla­wi­en dieser Name tatsäch­lich vorkommt. So haben wir es zugelas­sen“, sagt Martin. 

Bei der Verab­schie­dung im Kolle­gen­kreis beschei­nig­te ihm Oberbür­ger­meis­ter Micha­el Lang, es sei ein „schmerz­li­cher Verlust“, wenn jemand mit so viel Erfah­rung die Stadt­ver­wal­tung verlässt. „Die langjäh­ri­ge Erfah­rung ist unglaub­lich wichtig, denn wenn Fehler gemacht werden, kann das es sein, dass eine Ehe oder ein Name ungül­tig ist“, sagte Lang. 

Walter Martin hat länger Dienst getan als notwen­dig, weil er seinen Beruf mit Leib und Seele lebte. Doch jetzt warten neue Aufga­ben: Die beiden Enkel werden ihren Opa beschäf­ti­gen. Die Männer-Riege seines Sport­ver­eins freut sich weiter auf ihn – nicht nur beim Sport, sondern auch beim Einkeh­ren. Und auch der TSV Ratzen­ried, dem er 24 Jahre vorstand, hofft auf den Rentner mit Fußball-Leidenschaft.