RAVENSBURG – Am 15. Febru­ar war der inter­na­tio­na­le Kinder­krebs­tag. Er wurde 2002 ins Leben gerufen, um auf krebs­kran­ke Kinder und Jugend­li­che und deren Angehö­ri­ge aufmerk­sam zu machen. Jedes Jahr erkran­ken in Deutsch­land 500 000 Menschen neu an Krebs, davon etwa 2200 Kinder unter 18 Jahren. Jedes 350. Kind leidet an einer Krebserkrankung. 

Tumore bei Kindern unter­schei­den sich stark von jenen der Erwach­se­nen. Eine kurati­ve, heilen­de, Thera­pie­mög­lich­keit besteht bei nahezu allen Krebs­er­kran­kun­gen im Kindes­al­ter. Der stete Fortschritt und die Erfol­ge in der Kinder­krebs­be­kämp­fung durch fortlau­fend verbes­ser­te Thera­pien sind beein­dru­ckend. Kam etwa die Diagno­se Leukämie bei einem Kind vor 40 Jahren noch einem Todes­ur­teil gleich, sind heute 82 Prozent der Patien­ten 15 Jahre nach der Erstdia­gno­se noch am Leben. Leukämie, also Blutkrebs, ist mit 30 Prozent aller Fälle die häufigs­te Krebs­art bei Kindern gefolgt von Hirntu­mo­ren (24) und Lympho­men (15).

Auch das Team der Kinder­kli­nik am St. Elisa­be­then-Klini­kum in Ravens­burg kümmert sich ambulant und statio­när um krebs­kran­ke Kinder. Häufig wird bei Kindern aus der östli­chen Boden­see­re­gi­on und Oberschwa­ben die schwer­wie­gen­de Diagno­se hier gestellt. Die regel­mä­ßi­gen, zumeist neun Monate dauern­den, jeweils einwö­chi­gen Inten­siv-Chemo­the­ra­pien und Strah­lungs­the­ra­pien der Kinder finden in den zerti­fi­zier­ten Kinder­krebs­zen­tren der Unikli­ni­ken statt, also in Ulm, Tübin­gen, Augsburg, München oder Freiburg. Vor Ort, in den Zwischen­pha­sen, werden die Kleinen aber an der Oberschwa­ben­kli­nik von zwei Kinder-Hämato­lo­gen betreut: von Dr. Sebas­ti­an Hütker, der die Ermäch­ti­gungs­am­bu­lanz für die Betreu­ung hat, und von Dr. Martin Riester, beides Oberärz­te der Kinder­kli­nik im Team von Chefarzt Dr. Andre­as Artlich.

Dr. Hütker hat derzeit 50 krebs­kran­ke Kinder in seiner Sprech­stun­de. Er betreibt Nachsor­ge, also die späte­re Chemo-Thera­pie in Tablet­ten­form, ist aber auch für die Kinder zwischen den Chemo­the­ra­pie-Einhei­ten da. Er macht Labor­kon­trol­len, spült die unter der Haut der Kinder angebrach­ten zentra­len Chemo­the­ra­pie-Kathe­ter und betreut die Kleinen mit dem spezia­li­sier­ten Pflege­team der Kinder­kli­nik auch statio­när. Denn bei immer wieder auftau­chen­den ablati­ven Fieber­schü­ben nach einer Chemo­the­ra­pie müssen die Patien­ten sofort in der Klinik überwacht werden. „Meistens ist die Zahl der weißen Blutkör­per­chen nach dem zehnten Tag an ihrem Tiefpunkt. Das ist die gefähr­lichs­te Zeit für das Immun­sys­tem, das Infekt­ri­si­ko ist dann am höchs­ten. Dann haben wir oft Fieber­fäl­le hier, zumeist wegen Viren“, sagt Dr. Hütker. „Die Infek­ti­ons­ge­fahr ist auch der Grund, warum krebs­kran­ke Kinder in der Zeit der Inten­siv­che­mo­the­ra­pie nicht zur Schule dürfen und leider wenig Kontakt zu anderen Menschen haben sollten. Sie sind sehr isoliert. Zudem sitzen die Kinder und ihre Eltern immer auf gepack­ten Koffern, sie wissen nie, wann sie wieder ins Kranken­haus müssen. Nach dem zehnten Tag werden die Blutwer­te der Kinder dann fast immer besser, ehe der Kreis­lauf durch die neue Chemo­the­ra­pie-Einheit wieder von vorne beginnt.“ 

Für die Famili­en krebs­kran­ker Kinder ist die ambulan­te Hilfe am EK ein Segen. „Wir liegen direkt in der Mitte zwischen allen Unikli­ni­ken“, sagt Dr. Hütker, „und helfen den Famili­en, wo wir können. Müssten die Eltern mit ihren Kindern wegen jedem Blutbild ein bis drei Mal pro Woche an die Unikli­nik fahren, wären sie zumeist einen ganzen Tag weg von Zuhau­se und säßen im Auto, während das erkrank­te Kind oft Übelkeit verspürt. Durch unsere Anlauf­stel­le in Ravens­burg verliert die Familie nicht so viel Zeit, und das Kind bleibt länger in seinem gewohn­ten Umfeld. Das ist eine große Erleich­te­rung. Jede Minute in dieser Inten­siv­zeit, in der das Kind zuhau­se sein kann, ist eine wertvol­le Zeit, die auch den Geschwis­tern und Eltern zu Gute kommt. Und zumin­dest ein Eltern­teil kann dann auch wieder seiner Arbeit nachge­hen“, erklärt Dr. Hütker, der selbst Vater zweier kleinen Kinder ist.

Für Famili­en bedeu­tet ein krebs­kran­kes Kind einen trauma­ti­schen Einschnitt in ihr gewohn­tes Leben, eine tiefgrei­fen­de Zäsur. Zur ständi­gen Ungewiss­heit, zur Angst um Leben, um Wohl und Wehe des kleinen Patien­ten, kommen oft weite­re Proble­me. „Die Erkran­kung des krebs­kran­ken Kindes ist für alle in der Familie eine Heraus­for­de­rung, beson­ders die Zeit der Inten­siv-Chemo­the­ra­pie. Es ist eine extrem inten­si­ve Zeit, in der alle viel entbeh­ren müssen und in der auch die anderen Kinder leiden und sich manch­mal benach­tei­ligt fühle“, sagt Dr. Hütker. Der Stress sei oft so groß, dass die Verar­bei­tung der Ängste meist erst nach der Chemo­the­ra­pie-Zeit begin­ne. Deswe­gen bieten onkolo­gi­sche Kinder-Rehabi­li­ta­ti­ons­zen­tren auch Reha-Aufent­hal­te für die ganze Familie an, für die psycho­lo­gi­sche Aufar­bei­tung, Tannheim oder die Kathe­ri­nen­hö­he im Schwarz­wald sind hier die bekann­tes­ten. „Das ist extrem wichtig, denn man weiß zum Beispiel, dass krebs­kran­ke Kinder nach ihrer Heilung auch an einer höheren Gefahr leiden, als Erwach­se­ner psycho­lo­gi­sche Erkran­kun­gen zu erlei­den. Und die Gefahr, durch die Chemo­the­ra­pie einen anderen Tumor zu bekom­men, liegt bei sechs Prozent“, sagt Dr. Hütker. „Die Angst geht in vielen Fällen weiter.“

In seiner 25-Prozent-Stelle für die Unikli­nik Ulm kümmert sich Dr. Hütker im PalliK­JUR-Team außer­dem in vielen Hausbe­su­chen um Kinder in Oberschwa­ben, die an unheil­ba­ren Erkran­kun­gen leiden, nicht nur um onkolo­gi­sche Patien­ten. Er und Dr. Riester nehmen sich die Zeit, den kleinen Patien­ten und ihren Eltern zuzuhö­ren, auch die Zeit für ihre Seele. „Zeit zu schen­ken und zuzuhö­ren ist mein höchs­tes ärztli­ches Gut, das ich habe und das Wertvolls­te, was ich den Famili­en geben kann“, sagt Dr. Hütker. „Dazu gehört, dass man allen gegen­über, auch den Kindern, offen und ehrlich mit der Krank­heit umgeht und nicht um den heißen Brei herum­re­det. Es muss eine Vertrau­ens­ba­sis zum Arzt da sein.“ Nur dann könne die Thera­pie auch nachhal­tig erfolg­reich sein.