Ravens­burg – Für viele Pflege­kräf­te ist der Beruf eine Leiden­schaft, manch­mal sogar eine gemein­sa­me. In der Serie „OSK, eine Familie“ stellen wir Paare und Famili­en aus der Oberschwa­ben­kli­nik vor, die sich im Medizin­be­reich gefun­den und lieben gelernt haben. Heute: Siegfried Böse (48) und Thomas Böse-Bloching (47) aus Fronho­fen, die im St. Elisa­be­then-Klini­kum in Ravens­burg arbeiten.

Es gab Tage in den letzten 30 Monaten, an denen Siegfried Böse am Verzwei­feln war. Die Patien­tin vor ihm keuch­te und rang nach Luft, wie so viele Corona­pa­ti­en­ten auf der Inten­siv­sta­ti­on. Aber der Sauer­stoff reich­te noch für den Versuch, den Pfleger zu überzeu­gen, dass ihr Leiden nicht an Corona liege, denn: „Corona“, stöhn­te die schwer­kran­ke Frau vor ihm, „Corona gibt es gar nicht.“ Es war der Moment, in dem Siegfried Böse klar wurde, dass auch seine Geduld als Helfer endlich ist: „Corona hat auch in mir etwas verän­dert“, blickt er zurück. „Die Toleranz, diese selbst­ge­schaf­fe­nen Lebens­wel­ten und unreflek­tier­ten Meinun­gen mancher Menschen zu akzep­tie­ren, habe ich nicht mehr.“

Doch dann gibt es auch die anderen Momen­te. Momen­te der Anerken­nung, der Wertschät­zung und des Sinns, Momen­te in denen Böse sieht, wie Patien­ten Fortschrit­te machen, wie sie plötz­lich nach langer Zeit der Hilflo­sig­keit wieder selbst eine Gabel in die Hand nehmen und essen können. Wie ihr Gesicht, gerade noch in Trauer und Scham verhüllt, endlich Lebens­mut annimmt. Und wie die Angehö­ri­gen sich freuen. „Das ist das Schöns­te, was es in diesem Beruf gibt, vielleicht sogar etwas Einzig­ar­ti­ges – da dabei sein zu dürfen.“

Dass er da dabei sein darf, das hat der Tettnan­ger, der einst Schrei­ner lernte und als Betriebs­as­sis­tent auf der Bodan-Werft Kress­bronn arbei­te­te, auch seinem Partner Thomas Böse-Bloching aus Fronho­fen zu verdan­ken. Als sie sich im Jahr 2000 kennen­lern­ten, hatte Letzte­rer gerade sein Coming-Out gewagt und stram­pel­te sich frei im Leben. „Ich habe mein ganzes Leben neu struk­tu­riert, kein Stein mehr auf dem anderen gelas­sen, auch meinen Job als Groß- und Außen­han­dels­kauf­mann aufge­ge­ben.“ Er wollte keine Zahlen mehr bearbei­ten, sondern mehr Wahrhaf­tig­keit, mehr Gefühl. Inspi­riert von seiner Arbeit für den Rettungs­dienst beschloss der damals 25-Jähri­ge, eine Pflege­aus­bil­dung zu absol­vie­ren, ein Jahr später schloss sich sein Partner, der bereits in der AIDS-Hilfe Boden­see-Oberschwa­ben sozial engagiert war, an. 

Auch wenn sie die Bezie­hung in der Klinik nie thema­ti­sier­ten, irgend­wann bekamen die Kolle­gen natür­lich mit, dass da ein schwu­les Paar am EK in der Pflege arbei­te­te. Auf Vorur­tei­le stießen die beiden in ihren zwei Jahrzehn­ten aber nie, weder bei Chefs noch bei Mitar­bei­tern. „Wir arbei­ten im sozia­len Bereich, da sind die Menschen von Natur aus aufge­schlos­se­ner, gefühl­vol­ler, mensch­li­cher“, sagt Böse-Bloching. Und: „Unsere Region ist längst nicht so konser­va­tiv, wie man glaubt.“ Immer­hin 15 Menschen im 1800-Einwoh­ner-Ort Fronho­fen lebten heute offen queer, berich­tet er, „vor 20 Jahren war ich noch der einzige“.

Als die beiden im Jahr 2004 heira­te­ten, waren Männer-Ehen eine Rarität. „Der Oberstan­des­be­am­te, der die einge­tra­ge­ne Partner­schaf­ten bekun­de­te, war im Landrats­amt zu 80 Prozent für Müllent­sor­gung zustän­dig, nur zu 20 Prozent für die Homo-Ehe. Der Andrang war offen­bar nicht so groß“, erzäh­len die beiden lachend. 

Die Aufga­ben des Pflege­paars am EK sind unter­schied­lich. Während sich Siegfried Böse als Inten­siv­pfle­ger fokus­siert um die maximal drei Patien­ten in seiner Obhut pro Schicht kümmern kann — unter­bro­chen von bis zu 40 Wechseln seiner Covid-Schutz­klei­dung -, hatte Thomas Böse-Bloching, langjäh­ri­ger Fachpfle­ger in der Anästhe­sie, die Aufga­be, den Patien­ten Ruhe, Gelas­sen­heit und Zuver­sicht zu schen­ken. „Viele sind voller Angst und Sorge vor einer Opera­ti­on, manch­mal ist es ihre erste Vollnar­ko­se“, erzählt er. „Wenn es Dir gelingt, den Patien­ten vorher zu beruhi­gen, ihn zu bestär­ken und auch mal zum Lächeln zu bringen, ist das gut für Seele und Körper. Er braucht dann viel weniger Narkosemedikamente.“

Erst vor kurzem wechsel­te Böse-Bloching wieder zurück ins Büro, er ist jetzt für Zeitma­nage­ment in der Perso­nal­ab­tei­lung zustän­dig und freut sich darauf, dank geregel­ter Arbeits­zei­ten mehr gemein­sa­me Zeit mit dem Partner zu verbrin­gen. „Wenn beide in der Pflege arbei­ten, ist das ist aufgrund der Schich­ten sicher kniff­lig“, sagt der 47-Jähri­ge, der sich auch außer­halb des Jobs seit Jahrzehn­ten sozial engagiert. In Fronreu­te ist er stell­ver­tre­ten­der Bürger­meis­ter — bei der Wahl bekam er mehr als 3000 Stimmen — und kümmer­te sich unter anderem mit Siegfried Böse beson­ders um die jungen Menschen: „Wir haben drei Jugend­häu­ser und drei Jugendbeauftragte.“

Bliebe noch die Frage, was das OSK-Paar eigent­lich anein­an­der findet. Hetero­se­xu­el­le, die auf eine Sensa­ti­on warten, dürften enttäuscht sein. „Thomas hat einfach einen großar­ti­gen Humor“, sagt der eine. „Ich war gleich in seine Augen verliebt“, der andere. Rosamun­de Pilcher lässt grüßen.