WILHELMSDORF — Am 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Ein wichtiges Datum, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Probleme von Menschen mit Behinderungen wachzuhalten. Annette Scherer von der sozialen Einrichtung “Die Zieglerschen” in Wilhelmsdorf hat ein spannendes Interview mit Maximiliane Laplace geführt.
Die 32-jährige Sexualpädagogin für Menschen mit Behinderungen und Heilerziehungspflegerin im Förder- und Betreuungsbereich des SBBZ unserer Haslachmühle sagt: „Menschen mit Behinderung werden von der Gesellschaft oft ihr ganzes Leben lang wie Kinder behandelt, haben aber ebenso sexuelle Bedürfnisse wie alle anderen Menschen auch!“
Hat eigentlich jeder Mensch das Bedürfnis nach Sexualität? Körperliche Nähe und Sexualität zählen zu den Grundbedürfnissen eines Menschen. Jeder Mensch ist von Geburt bis zum Tod ein sexuelles Wesen – völlig unabhängig von Alter oder Assistenzbedarf. Ein erfülltes Sexualleben sorgt für Zufriedenheit und Ausgeglichenheit.
Sie setzen sich insbesondere für die Beratung und Aufklärung von Menschen mit Behinderung ein. Warum ist beides so wichtig? Menschen mit Behinderung werden von der Gesellschaft oft ihr ganzes Leben lang wie Kinder behandelt, haben aber ebenso sexuelle Bedürfnisse wie alle anderen Menschen auch. Für sie ist es aber oft schwierig, an Informationen zu kommen. Auch Eltern, Angehörige und junge Mitarbeitende haben manchmal Hemmungen, Gesprächspartner zu sein. Dabei ist Aufklärung unverzichtbar und auch ein wichtiger Schutz vor sexueller Gewalt. Denn nur wer die eigenen Grenzen kennt, kann diese beachten und beispielsweise den Zugriff auf den Intimbereich verweigern. Darüber hinaus kann Wissen auch davor schützen, selber zum Täter zu werden.
Gibt es Anlaufstellen, wo sich Menschen mit Behinderung zu diesem Themenbereich beraten lassen? Leider nur ganz wenige hier im Süden. Ich sehe hier einen großen Handlungsbedarf. Vor allem Menschen mit einer geistigen Behinderung haben sehr wenig Möglichkeiten, sich beraten zu lassen. Für sie ist es wichtig, dass genügend Zeit und auch die entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Menschen mit einer Hör- und Sprachbehinderung etwa benötigen entsprechende Gebärden und Kommunikationshilfen, um sich austauschen zu können. Wir sind in der Behindertenhilfe der Zieglerschen aktuell dabei, ein neues Gebärdenplakat zum Thema „Sexualität und Beziehung“ zusammenzustellen und die neuen Gebärden auch in die überarbeitete App unserer Gebärdensammlung „Schau doch meine Hände an“ aufzunehmen.
Hilfreich wäre darüber hinaus, wenn in einer Beratungsstelle nicht nur Einzeltermine vereinbart werden könnten, sondern bei Bedarf auch Folgetermine. Das können die Beratungsstellen aus ressourcentechnischen Gründen allerdings leider meist nicht leisten. Ich hoffe und wünsche mir, dass der Schwung, der durch das BTHG entstanden ist, auch in diesen Bereich rüberschwappt und er mehr Teilhabe erfährt. Wunderbar wäre eine niederschwellig erreichbare Beratungsstelle, die gleichzeitig räumlich von Wohnbereichen und Wohnbereichsmitarbeitern abgekoppelt wäre, damit Themen frei und ohne Scham angesprochen werden können.