VILNIUS (dpa) — Was den Nato-Beitritt der Ukrai­ne angeht, ist Kanzler Scholz zurück­hal­tend. Für ihn hat die Militär­hil­fe Priori­tät. Stolten­berg erwar­tet hinge­gen ein Signal für die Nato-Perspek­ti­ve der Ukraine.

Deutsch­land unter­stützt den Abwehr­kampf der Ukrai­ne gegen die russi­schen Angrei­fer mit weite­ren Waffen, mit Muniti­on und militä­ri­scher Ausrüs­tung im Wert von knapp 700 Millio­nen Euro. Das verlau­te­te zum Auftakt des Nato-Gipfels in der litaui­schen Haupt­stadt Vilni­us aus deutschen Regierungskreisen.

Unter anderem soll die von Russland angegrif­fe­ne Ukrai­ne weite­re 40 Schüt­zen­pan­zer vom Typ Marder, 25 Kampf­pan­zer vom Typ Leopard 1A5 und fünf Berge­pan­zer sowie zwei Start­ge­rä­te für Patri­ot-Flugab­wehr­ra­ke­ten der Bundes­wehr bekommen.

Hinzu kommen 20.000 Schuss Artil­le­rie­mu­ni­ti­on und 5000 Schuss Nebel­mu­ni­ti­on sowie Aufklä­rungs­droh­nen und Mittel zur Drohnen­ab­wehr. Außer­dem erhält die Ukrai­ne ein Pionier­pa­ket mit Mitteln zur Minen­ab­wehr und ein Sanitäts­pa­ket — unter anderem mit Kompo­nen­ten für ein Feldlazarett.

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj hat seine Teilnah­me am Nato-Gipfel in der litaui­schen Haupt­stadt Vilni­us offizi­ell bestä­tigt. Er sei unter­wegs zum Treffen des Vertei­di­gungs­bünd­nis­ses, schrieb er auf Twitter.

Scholz, Pisto­ri­us und Baerbock vor Ort

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) lande­te zusam­men mit Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pisto­ri­us (SPD) in der litaui­schen Haupt­stadt Vilni­us und wird das Paket zum Auftakt des Nato-Gipfels offizi­ell ankün­di­gen. Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock (Grüne) ist bereits seit Montag­abend in Vilnius.

Die Bundes­re­gie­rung hat für die Ukrai­ne seit Beginn der russi­schen Invasi­on im Febru­ar 2022 bis zum 30. Juni 2023 bereits Rüstungs­lie­fe­run­gen für 3,9 Milli­ar­den Euro offizi­ell geneh­migt. Hinzu kommen Liefe­run­gen, die nicht geneh­migt werden müssen. Insge­samt liegt Deutsch­land unter den Waffen­lie­fe­ran­ten der Ukrai­ne auf Platz zwei hinter den USA.

Zuletzt hatte die Bundes­re­gie­rung der Ukrai­ne anläss­lich des Deutsch­land­be­suchs des ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj im Mai ein großes Waffen­pa­ket im Wert von 2,7 Milli­ar­den Euro zugesagt. Scholz wird bei dem Gipfel erneut Selen­skyj treffen, der auf eine möglichs­te konkre­te Nato-Beitritts­per­spek­ti­ve für sein Land dringt.

Zum Auftakt des Nato-Gipfels hat Scholz der Ukrai­ne Sicher­heits­ga­ran­tien für die Zeit nach dem Ende des russi­schen Angriffs­kriegs in Aussicht gestellt. «Für uns ist von Anfang an wichtig, dass es Sicher­heits­zu­sa­gen für die Ukrai­ne gibt, die nach einem Frieden wirksam sein können», sagte er.

Dazu würden jetzt die notwen­di­gen Verein­ba­run­gen getrof­fen, die «für das, was wir aktuell an Unter­stüt­zung leisten, relevant sind, aber auch für das, was dann in einer Friedens­si­tua­ti­on erfor­der­lich ist». Scholz kündig­te dazu eine gemein­sa­me Erklä­rung der G7-Staaten an, «die das ausdrückt und die dann ganz konkret von den einzel­nen Ländern ausge­füllt wird, so wie wir das ja jetzt auch schon aktiv tun mit unserer Unter­stüt­zung der Ukraine».

Ukrai­ne fordert Marschflugkörper

Aus deutscher Sicht soll der Fokus zunächst darauf liegen, dass man der Ukrai­ne in der jetzi­gen Situa­ti­on ganz konkret hilft. Dazu soll auch das neue Waffen­pa­ket beitragen.

Waffen neuer Quali­tät sind darin aber nicht enthal­ten. Die von der Ukrai­ne gefor­der­ten Marsch­flug­kör­per Taurus werden weiter nicht gelie­fert. Die Ukrai­ne wünscht sich diese Waffen, um Stellun­gen der russi­schen Streit­kräf­te in der Ukrai­ne weit hinter der Front­li­nie angrei­fen zu können. Die Bundes­re­gie­rung ist dabei zurück­hal­tend, weil die Geschos­se auch russi­sches Terri­to­ri­um errei­chen können.

Die deutsche Bevöl­ke­rung steht den deutschen Waffen­lie­fe­run­gen nach einer Umfra­ge des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts YouGov im Auftrag der dpa aus der vergan­ge­nen Woche gespal­ten gegen­über. 38 Prozent gehen die bishe­ri­gen Liefe­run­gen an das von Russland angegrif­fe­ne Land zu weit. 32 Prozent finden den Umfang der militä­ri­schen Unter­stüt­zung genau richtig. 18 Prozent sind der Auffas­sung, es hätten noch mehr Waffen in die Ukrai­ne gelie­fert werden sollen.

Stolten­berg für Nato-Perspektive

Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg erwar­tet, dass die Ukrai­ne beim Gipfel­tref­fen eine deutli­che Perspek­ti­ve für den angestreb­ten Bündnis­bei­tritt bekommt. «Wir werden eine klare Botschaft, eine positi­ve Botschaft zum weite­ren Vorge­hen geben», sagte Stolten­berg in Vilni­us. Seinen Angaben zufol­ge wird beim Gipfel ein mehrjäh­ri­ges Programm verein­bart werden, um künftig eine reibungs­lo­se Zusam­men­ar­beit zwischen den Streit­kräf­ten der Ukrai­ne und des Bündnis­ses zu ermöglichen.

Zudem ist geplant, die politi­schen Bezie­hun­gen über die Schaf­fung eines neuen Nato-Ukrai­ne-Rates zu vertie­fen und der Ukrai­ne zu verspre­chen, vor der angestreb­ten Aufnah­me nicht auf das übliche Heran­füh­rungs­pro­gramm zu bestehen. «Das wird den Beitritts­pro­zess für die Ukrai­ne von einem zweistu­fi­gen Prozess zu einem einstu­fi­gen machen», erklär­te Stoltenberg.

Stolten­berg mahnte die Alliier­ten kurz vor Beginn der Beratun­gen, die Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne langfris­tig fortzu­set­zen. «Kriege dauern oft länger als erwar­tet. Unsere einzi­ge Antwort ist, dass wir der Ukrai­ne so lange zur Seite stehen müssen, wie es dauert», sagte er. Die Ukrai­ner machten derzeit Gelän­de­ge­win­ne und dräng­ten die russi­schen Besat­zer zurück. Zugleich gebe es aber harten Wider­stand. «Die russi­schen Positi­on sind einge­gra­ben, befes­tigt, Minen­fel­der, Panzer­sper­ren (“Drachen­zäh­ne”) und eine Vielzahl an befes­tig­ten Vertei­di­gungs­li­ni­en», erklär­te er.

Auf die Frage, ob der Gipfel dem von Russland angegrif­fe­nen Land für die Zeit nach dem Krieg Sicher­heits­ga­ran­tien geben werde, sagte Stolten­berg, er erwar­te klare Entschei­dun­gen für eine Fortset­zung und Verstär­kung der Ukrai­ne-Hilfe. «Und ich bin auch zuver­sicht­lich, dass die Verbün­de­ten zur Frage einer Mitglied­schaft bekräf­ti­gen werden, dass die Ukrai­ne ein Mitglied werden wird.»