GENF (dpa) — Das Phäno­men kennt jeder: Man steht vor einem Fahrkar­ten­au­to­ma­ten und eine simple Fahrkar­te zu erste­hen ist kompli­ziert. Mit der Nervo­si­tät steigt der Frust und die Fluch-Lautstär­ke. Geht es auch anders?

Endlich Ferien. Endlich Freun­de, Familie oder neue Städte und Länder besuchen. Ein Frust aller­dings startet dabei manch­mal schon am Bahnhof oder Flugha­fen: fremde Fahrkar­ten­au­to­ma­ten für den Nahver­kehr. Wie soll man wissen, ob Tante Laura in Wabe 2 oder 3 wohnt? Gilt für die Hotel­adres­se Preis­stu­fe A oder B und reist der Sohne­mann mit acht Jahren vielleicht umsonst? Zwischen dem Wunsch, so schnell und günstig wie möglich von hier nach da zu kommen, steht oft unüber­wind­bar das Monster Fahrkartenautomat.

In Genf in der Schweiz stehen Sama Mamado­va und Karim Hamza am Fahrkar­ten­au­to­ma­ten und überle­gen: «Wie viele Strecken legen wir wohl heute zurück? Wären Einzel­ti­ckets günsti­ger oder ein Tages­pass? Bekom­men wir mit unserer Bahnkar­te eine Ermäßi­gung? Und was ist mit dem Hund?» Derweil kommt die Straßen­bahn und fährt wieder, ohne sie. «Warum so kompli­ziert?» stöhnt Mamado­va genervt. Immer­hin gibt es in Genf nur einen Tarif für die ganze Stadt und die Straßen­bahn fährt im Minuten­takt. In anderen Orten mit selte­nem Nahver­kehr steigt bei vielen der Puls, wenn der Bus sich nähert und man sich am Automa­ten immer noch durch­kli­cken muss: Vierer- oder Einzel­ti­cket? Fahrt vor oder nach 09.00 Uhr? Gruppen­kar­te? Wochenend-Tarif?

Das Gestal­ten von Mensch-Technik-Interaktion

«Das Thema “kompli­zier­te Automa­ten” ist ein Dauer­bren­ner», sagt der Psycho­lo­ge Marc Hassen­zahl der Deutschen Presse-Agentur. «Das hat aber nichts mit dem Automa­ten zu tun, sondern mit den dahin­ter liegen­den oft kompli­zier­ten Tarif­sys­te­men.» Hasen­zahl ist Profes­sor für «Ubiqui­tous Design — Erleb­nis und Inter­ak­ti­on» am Insti­tut für Wirtschafts­in­for­ma­tik der Univer­si­tät Siegen. Bei Ubiqui­tous Design geht es laut Uni um das Gestal­ten von Mensch-Technik-Inter­ak­ti­on mit einem beson­de­ren Fokus auf das emotio­na­le Erleben der Nutzer.

«Kommt hinzu: Man agiert am Automa­ten im öffent­li­chen Raum», sagt Hassen­zahl. «Da drängeln vielleicht Leute hinter einem. Das ist für viele Menschen angst­be­haf­tet. Man wird nervös und es wird noch schwie­ri­ger.» Kein Wunder, dass mancher Autofah­rer kompli­zier­te Tarif­sys­te­me und Automa­ten mit als Vorwand nimmt, um selbst im städti­schen Verkehr lieber hinter dem Steuer zu bleiben. Anderen ist die Vorstel­lung, mit falschem Ticket als Schwarz­fah­rer gebrand­markt zu werden, Grund genug, einen Bogen und die Öffis zu machen.

Kein Wunder auch, dass das 49-Euro-Ticket so populär ist: «Nicht nur wegen des Preises, sondern auch, weil die Leute sich dann keinen Kopf mehr machen müssen: In welcher Tarif-Wabe befin­det sich die Strecke, die ich fahren will, wie bekom­me ich ein Ticket und so weiter», sagt Torsten Stapel­kamp. Er ist Profes­sor für Service Design Thinking, UX und Business Design im Studi­en­gang «Design & Mobili­tät» der Hochschu­le Hof. UX steht für user experi­ence, zu deutsch: Entwick­lung von Erfah­run­gen für Nutzer.

Gefan­gen im Tarifdschungel

«Die vielen Tarife machen die Menschen gaga», sagt Stapel­kamp. «Es gibt Syste­me, wo selbst ein Profes­sor für UX, der der Technik und der Nutzung der öffent­li­chen Verkehrs­be­trie­be positiv zugewandt ist, fast am kompli­zier­ten Proze­de­re schei­tert — da läuft doch etwas schief.»

Automa­ten würden oft von Infor­ma­ti­kern, Ingenieu­ren und Techni­kern entwi­ckelt, die gerne Unmen­gen an Funktio­nen einbau­en, sagt Stapel­kamp. Über die Schnitt­stel­le zu den Nutze­rin­nen und Nutzern machten sie sich oft zu wenig Gedan­ken. UX-Designer müssten schon im Entwick­lungs­pro­zess dabei sein, wie bei der Deutschen Bahn, meint er. Die DB-Automa­ten seien deutlich bedien­freund­li­cher geworden.

Auch der Tarif­dschun­gel sei unnötig, findet Stapel­kamp: «Verbes­sern geht über Verein­fa­chung.» Vielfach werde bei Verkehrs­ver­bün­den rein ökono­misch gedacht: «Was haben wir für Kosten, wie teuer müssen die Tickets sein?» Mit jeder Menge verschie­de­ner Tickets werde dann sugge­riert, dass es auch billi­ge­re Varian­ten gebe. «Man könnte auch überle­gen: Wie viele Kunden hätten wir mehr, wenn das System nicht so unüber­sicht­lich, so schlecht bedien­bar und so weit weg vom tatsäch­li­chen Bedarf wäre?» sagt Stapel­kamp. Es sei letzt­lich eine politi­sche Entschei­dung, ob die Preise die Kosten reinbrin­gen müssen. «Will ich die Leute aus ökolo­gi­schen Gründen in den öffent­li­chen Verkehr holen oder sollen sie weiter Auto fahren?»

Ticket­kauf per App

Hassen­zahl sieht aber das Ende des Automa­ten­frusts ohnehin kommen, wegen der Apps. Tickets via Smart­phone zu besor­gen werde die Automa­ten irgend­wann überflüs­sig machen. «Sie kommen aus einer anderen Zeit», sagt er. «Man denke an das Schick­sal der Telefon­zel­le. Darauf dürfte es hinaus­lau­fen, wenn alles digital über Apps läuft.» Auch auf der App müssen sich Kunden natür­lich durch ein Menü klicken. «Aber der große Unter­schied ist: Man kann es zu Hause auf dem Sofa auf dem vertrau­ten Gerät machen, ohne Zeitdruck», sagt Hassenzahl.

Es gibt inzwi­schen auch Syste­me wie eezy.nrw im Verkehrs­ver­bund Rhein-Ruhr in Nordrhein-Westfa­len. Fahrgäs­te checken über eine Handy-App beim Einstei­gen in Bus und Bahn ein und beim Ausstei­gen wieder aus. Die Fahrkos­ten werden nach einem Grund­preis und der zurück­ge­leg­ten Luftli­nie zwischen Start und Ziel berech­net und in der App abgerech­net. Dazu gibt es einen monat­li­chen Höchst­preis. Eezy, das klingt wie das engli­sche «easy», übersetzt: leicht.

Von Chris­tia­ne Oelrich, dpa