RAVENSBURG — Künst­li­che Intel­li­genz (KI) ist in aller Munde. Exper­ten sind sich einig: In der Medizin könnten künftig zahlrei­che Berei­che von der moder­nen Technik profi­tie­ren. Schon heute werden compu­ter­ge­stütz­te Software-Syste­me einge­setzt, um bei der bildge­ben­den Diagnos­tik zu unter­stüt­zen. Auch die Klinik für Innere Medizin I am St. Elisa­be­then-Klini­kum um Chefarzt Prof. Dr. Peter Klare verfügt seit Kurzem über eine solche KI-Software, die die Ärzte bei Darmspie­ge­lun­gen (Kolosko­pien) nutzen. 

Das System steht dem Team seit einigen Wochen gemein­sam mit neuen Geräten zur Verfü­gung. „Bei der Kolosko­pie fungiert die KI wie ein zweites Paar Augen“, beschreibt Prof. Dr. Peter Klare den Vorteil. Während der Darmspie­ge­lung hält so nicht nur der erfah­re­ne Gastro­en­te­ro­lo­ge Ausschau nach verdäch­ti­gen Struk­tu­ren, auch die KI scannt das Live-Bild, das bei der Endosko­pie erzeugt wird, auf Auffäl­lig­kei­ten. „Die automa­ti­sche Polypen­de­tek­ti­on sucht die Schleim­haut nach Polypen ab. Bei einem Treffer blinkt die KI und markiert die auffäl­li­ge Stelle, sodass der Unter­su­cher genau hinschau­en und überprü­fen kann, ob es sich um eine Schleim­haut­wu­che­rung handelt.“ 

KI-Softwares für den Einsatz bei Darmspie­ge­lun­gen werden mittler­wei­le von mehre­ren Anbie­tern vertrie­ben. Allen gemein ist, dass sie vorab mit großen Daten­men­gen trainiert wurden, um möglichst präzi­se Ergeb­nis­se zu liefern. Prof. Dr. Klare ist nach den ersten Einsät­zen des Systems in seiner Abtei­lung sehr zufrie­den. „Die Quali­tät der KI hat mich überrascht. Die Software funktio­niert sehr gut. In einem Fall haben wir dank der Technik einen winzi­gen Polypen entdeckt, der mit bloßem Auge zunächst kaum sicht­bar gewesen ist“, erzählt er.

Dabei habe es sich um ein sogenann­tes Adenom gehan­delt, eine Vorläu­fer­lä­si­on, aus der sich das kolorek­ta­le Karzi­nom entwi­ckelt. „Genau diese Struk­tu­ren will man natür­lich entfer­nen, damit kein Krebs entsteht“, beschreibt der Chefarzt.

Dass dank des KI-Einsat­zes bei Darmspie­ge­lun­gen mehr Polypen gefun­den werden, belegen mittler­wei­le mehre­re Studi­en. „Das ist für die Patien­ten natür­lich ein großer Vorteil“, unter­streicht Prof. Dr. Klare. Erset­zen kann das System den mensch­li­chen Unter­su­cher aber nicht. „Manch­mal schlägt das System auch bei Stuhl­res­ten an oder wenn das Bild unscharf ist“, nennt er zwei Beispie­le. „Sich die Stelle dann genau anzuschau­en und zu beurtei­len, ob es sich um einen Polypen handelt, kann nur der mensch­li­che Arzt leisten.“

Darüber hinaus wird bei der Kolosko­pie nicht nur nach verdäch­ti­gen Struk­tu­ren gesucht, sondern die Polypen werden auch gleich entfernt. Der Arzt trennt die Schleim­haut­wu­che­rung mit einer kleinen Metall­sch­lin­ge ab. Anschlie­ßend wird das Gewebe in die Patho­lo­gie geschickt, wo es histo­lo­gisch unter­sucht wird. Dabei wird überprüft, ob es gut- oder bösar­tig ist. Auch diese Schrit­te lassen sich nicht durch KI ersetzen. 

„Es wäre spannend, wenn es in Zukunft eine KI gäbe, die bereits während der Darmspie­ge­lung erken­nen kann, ob es sich um einen gut- oder um einen bösar­ti­gen Polypen handelt“, beschreibt Prof. Dr. Klare weite­re Entwick­lungs­po­ten­zia­le der neuen Technik — denn für diese Einschät­zung gebe es durch­aus optische Krite­ri­en. „Patien­ten könnten so eines Tages vielleicht schnel­ler über ihre Ergeb­nis­se infor­miert werden“, meint der Chefarzt. 

Nach Einschät­zung von Prof. Dr. Klare hat KI das Poten­zi­al, künftig auch in anderen Berei­chen der Inneren Medizin für präzi­se­re Unter­su­chungs­er­geb­nis­se zu sorgen: „Es gibt aktuell vielver­spre­chen­de Forschungs­er­geb­nis­se im Bereich der Speise­röh­re.“ Denen zufol­ge könnte KI schon bald beim Aufspü­ren von Vorläu­fer­lä­sio­nen von Speise­röh­ren­kar­zi­no­men, spezi­ell des sogenann­ten Barrett-Ösopha­gus, unter­stüt­zen. „Allge­mein denke ich, dass KI überall da sinnvoll einzu­set­zen sein wird, wo es um die Bildge­bung geht“, sagt Prof. Dr. Klare. Das gelte neben der Endosko­pie auch für die Radio­lo­gie und die Derma­to­lo­gie. Voraus­set­zung sei jeweils das Vorhan­den­sein von großen Datenmengen.