STUTTGART (dpa/lsw) — Nun zieht das Land die Reißlei­ne: Damit Weihnach­ten nicht zur Katastro­phe wird, schrei­tet Baden-Württem­berg mit harten Maßnah­men gegen Corona voran. Öffent­li­che Veran­stal­tun­gen sollen unter­sagt oder reduziert werden — auch für Geimpfte.

Freizeit‑, Kultur- und Sport­ver­an­stal­tun­gen sollen in Baden-Württem­berg wegen der sich zuspit­zen­den Corona-Pande­mie verbo­ten oder zumin­dest erheb­lich beschränkt werden. Die Kontak­te müssten nun radikal verrin­gert werden, kündig­te Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) am Montag beim Besuch einer Impfsta­ti­on des Klini­kums Stutt­gart an. Leider gelte das auch für Geimpf­te, weil der Impfschutz nach vier bis sechs Monaten nachlas­se und diese sich ebenfalls infizie­ren könnten.

Auf Grund­la­ge des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes werde die Landes­re­gie­rung am Diens­tag im Kabinett entspre­chen­de Beschlüs­se fassen, sagte der Regie­rungs­chef. Die konkre­ten Maßnah­men würden von der Größe der Veran­stal­tun­gen und den Hygie­ne­kon­zep­ten abhän­gen, sagte Kretsch­mann der dpa. Zur Dauer der neuen Maßnah­men sagte der Grünen-Politi­ker, dass dies von der Entwick­lung der Infek­ti­ons­zah­len abhän­ge. Bis Maßnah­men im Kampf gegen das Virus aber wirkten, brauche es mindes­tens eine Woche, stell­te er klar.

Die Maßnah­men könnten die komplet­te Bandbrei­te an öffent­li­chen Veran­stal­tun­gen betref­fen, vom Kinobe­such bis zum Weihnachts­markt. «Auch Sport­groß­ver­an­stal­tun­gen werden wir massiv einschrän­ken oder gar unter­sa­gen», sagte Kretsch­mann. Man werde die Zahl der Zuschau­er drastisch reduzie­ren, womög­lich gar keine Zuschau­er mehr zu Fußball­spie­len zulas­sen. Man lote derzeit die Grenzen des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes aus. Schulen und den Präsenz­un­ter­richt werde man so lange offen halten «wie nur irgend­wie vertret­bar und möglich».

Kretsch­mann forder­te zudem spätes­tens für Mittwoch eine erneu­te Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz. Am Diens­tag werde ein Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt zur Bundes­not­brem­se erwar­tet. Danach sei es «höchs­te Eisen­bahn» für ein solches Bund-Länder-Treffen, sagte der Grünen-Politiker.

Gesund­heits­mi­nis­ter Manfred Lucha (Grüne) rief am Montag den Bund dazu auf, die epide­mi­sche Notla­ge so bald wie möglich erneut festzu­stel­len. Dieser erst vor kurzem ausge­lau­fe­ne Ausnah­me­zu­stand gab den Landes­re­gie­run­gen die Möglich­keit, auf einfa­chem Verord­nungs­weg weitrei­chen­de Maßnah­men zu ergrei­fen. Lucha sprach sich im Deutsch­land­funk zudem dafür aus, eine Bundes­not­brem­se, wie sie von Ende April bis Ende Juni 2021 in Kraft war, ebenfalls in der laufen­den Woche zu verhän­gen. Kontak­te müssten um 70 bis 90 Prozent zurück­ge­fah­ren werden.

Der recht­li­che Rahmen durch das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz werde im Kampf gegen die Pande­mie nicht ausrei­chen, sagte Kretsch­mann. «Wir brauchen den gesam­ten Instru­men­ten­kas­ten.» Ein generel­ler Lockdown sei derzeit gesetz­lich nicht möglich. Man müsse bespre­chen, ob man zu einer Bundes­not­brem­se komme oder eine bundes­wei­te epide­mi­sche Lage ausrufe.

Die «epide­mi­sche Lage natio­na­ler Tragwei­te» war nach dem Entschluss der Ampel­ko­ali­ti­on einen Tag nach Inkraft­tre­ten des neuen Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes im Bund am vergan­ge­nen Donners­tag ausge­lau­fen. Das geänder­te Infek­ti­ons­schutz­ge­setz sieht keine Lockdown-Maßnah­men mehr vor — bis die epide­mi­sche Lage erneut vom Bundes­tag festge­stellt oder das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz ein weite­res Mal verän­dert wird. Zuletzt hatte unter anderem auch die Natio­na­le Akade­mie der Wissen­schaf­ten Leopol­di­na sofor­ti­ge umfas­sen­de Kontakt­be­schrän­kun­gen empfohlen.

Kretsch­mann bezeich­ne­te die aktuel­le Corona-Lage als «extrem heraus­for­dernd». Die Inten­siv­sta­tio­nen kämen an ihr absolu­tes Limit. Die Omikron-Varian­te sei mögli­cher­wei­se noch anste­cken­der als die bekann­ten Varian­ten. Man wisse noch zu wenig über die neue Mutan­te, müsse aber befürch­ten, dass es noch schlim­mer werde, sagte er.

Wegen der sich zuspit­zen­den Pande­mie gilt in Baden-Württem­berg bereits bei allen Veran­stal­tun­gen in Kultur, Freizeit und Sport die Regel 2G plus. Das heißt, dass zu allen Veran­stal­tun­gen bislang nur noch Geimpf­te und Genese­ne Zutritt haben, die zusätz­lich einen negati­ven Test vorwei­sen können. Die Landes­re­gie­rung hatte aber bereits am Sonntag weite­re Corona-Verschär­fun­gen angekün­digt. Für Großver­an­stal­tun­gen wie Fußball­spie­le gilt bislang eine Obergren­ze von 25.000 Besuche­rin­nen und Besuchern. Stadi­ons durften nur zur Hälfte gefüllt sein.

Nur durch Impfen könne man die Pande­mie in die Knie zwingen, so der Regie­rungs­chef. Bis zum Ende des Jahres müssten allein mehr als drei Millio­nen Menschen im Südwes­ten ihre Auffri­schungs­imp­fung erhal­ten. In den Schlan­gen stünde nun auch ein erkleck­li­cher Teil an Menschen, der sich zum ersten Mal impfen ließe. «Das geht eben ohne Schlan­gen­bil­dung nicht», sagte Kretsch­mann. Die Schlan­gen seien ein gutes Zeichen. Vor ein paar Wochen habe man noch Impfstoff vernich­ten müssen. Es würden weite­re Impf-Samsta­ge nötig sein.

Kretsch­mann warb zudem erneut für eine allge­mei­ne Impfpflicht. Der Vorschlag erhal­te immer mehr Unter­stüt­zung. Eine Impfpflicht müsse nun vorbe­rei­tet werden. Man habe ein Gutach­ten in Auftrag gegeben, dass die Umset­zung verfas­sungs­recht­lich prüfen soll.

Die baden-württem­ber­gi­sche Wirtschaft warnte vor einem pauscha­len Herun­ter­fah­ren des öffent­li­chen Lebens. Ein erneu­tes Herun­ter­fah­ren des ganzen Landes bedeu­te immense Proble­me und Schäden bei Unter­neh­men, Beschäf­tig­ten und der Gesell­schaft insge­samt, sagte der Präsi­dent des Baden-Württem­ber­gi­schen Indus­trie- und Handels­kam­mer­ta­ges (BWIHK), Wolfgang Grenke, am Montag.

Baden-Württem­berg ist verhält­nis­mä­ßig stark von der sich derzeit bundes­weit zuspit­zen­den Corona-Lage betrof­fen. Die Zahl der regis­trier­ten Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner lag am Sonntag bei 519,5, am vorhe­ri­gen Sonntag bei 454,1. Mehre­re Covid-19-Patien­ten sind bereits in andere Bundes­län­der verlegt worden.