STUTTGART (dpa/lsw) — Die Bundes­ju­gend­spie­le musste jeder mal mitma­chen. Nun soll der Wettkampf refor­miert werden, hin zu weniger Leistungs­druck. Minis­ter­prä­si­dent Kretsch­mann findet die Debat­te darüber überzo­gen. Andere halten die Reform für das falsche Signal.

Weg vom zenti­me­ter­ge­nau­en Messen von Weiten, hin zu weniger Leistungs­druck: Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann hält die Debat­te über die Reform der Bundes­ju­gend­spie­le für überzo­gen. «Ich bin ein schar­fer Gegner davon, dass wir dauernd solch banale Sachfra­gen zu Kultur­kämp­fen hochjazzen», sagte der Grünen-Politi­ker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Heraus­for­de­run­gen in der Bildungs­po­li­tik sieht Kretsch­mann an anderer Stelle. «Wir haben doch wirklich ernst­haf­te Proble­me. Wir wissen zum Beispiel, dass sich Kinder heute zu wenig bewegen. Und wir sehen, dass ein erheb­li­cher Teil der Kinder nach der Grund­schu­le weder lesen noch schrei­ben noch rechnen kann», sagte Kretsch­mann. Da sei es nicht hilfreich, um die Frage, wie man Bundes­ju­gend­spie­le organi­sie­re, einen Kultur­kampf zu führen. «Solche unsach­li­chen Debat­ten polari­sie­ren und am Schluss spalten sie.»

Das sieht Kretsch­manns Koali­ti­ons­part­ner anders. «Spiel und Spaß gehören genau­so zu den Bundes­ju­gend­spie­len wie ein fairer Wettbe­werb. Das anzuspre­chen, ist doch kein Kultur­kampf. Diese perma­nen­te morali­sche Überhö­hung führt doch auch zu dieser gesell­schaft­li­chen Hektik», sagte CDU-Frakti­ons­chef Manuel Hagel. Man solle die Kirche im Dorf lassen. Er selbst erinne­re sich gerne an die Bundes­ju­gend­spie­le zurück. «Für die Entwick­lung von Kindern ist Sport doch eine klasse Sache — und ja, auch die eigenen Stärken und Schwä­chen kennen­zu­ler­nen gehört dazu», sagte Hagel. Man solle nicht darüber disku­tie­ren, was jetzt noch alles unter­sagt werden solle, sondern überle­gen, wie man die Bewegung bei Kindern fördern könne.

Ab dem neuen Schul­jahr werden die jährlich statt­fin­den­den Spiele in den Sport­ar­ten Leicht­ath­le­tik und Schwim­men für alle Grund­schul­kin­der bis zur vierten Klasse nur noch als Wettbe­werb ausge­tra­gen — und nicht wie bislang nur in der ersten und zweiten Klasse. Im Unter­schied zum Wettkampf werden die Punkte für Leistun­gen künftig nicht mehr nach bundes­wei­ten Normgrö­ßen verge­ben. Zudem sollen die Leistun­gen der Schüler nicht mehr zenti­me­ter­ge­nau mit dem Maßband oder der Stopp­uhr erfasst werden. Statt­des­sen gibt es künftig zum Beispiel beim Weitsprung oder Werfen verschie­de­ne Zonen, in denen bestimm­te Punkte verge­ben werden. Laut Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­ri­um sollen die Spiele mit der Wettbe­werbs­form kindge­mä­ßer werden. Die Reform hatte die Kultus­mi­nis­ter­kon­fe­renz bereits 2021 beschlossen.

Schar­fe Kritik an der Reform der Bundes­ju­gend­spie­le kam vom FDP-Frakti­ons­chef im Landtag: «Ich halte diese Verän­de­rung für unsäg­lich. Kinder wollen sich mit anderen messen. Kinder wollen wissen, welche Leistung sie erbrin­gen. Kinder sollen durch den Sport auf das Leben vorbe­rei­tet werden», sagte Hans-Ulrich Rülke. Wenn Kretsch­mann vor Kultur­kämp­fen warne, dann sei das schein­hei­lig. «Genau das tun die Grünen. Sie wollen eine andere Gesell­schaft und führen dafür einen Kultur­kampf. Und wenn sich jemand wehrt, dann wird der als Kultur­kämp­fer verunglimpft.»

Der sport­po­li­ti­sche Sprecher der AfD-Frakti­on kriti­sier­te ebenfalls den Wegfall des Leistungs­ge­dan­ken: «Wenn klare Leistungs­vor­ga­ben gar nicht mehr gemes­sen werden, sind am Ende alle gleich schlecht», sagte Hans-Peter Hörner. Für die Sport­lich­keit der Kinder sei das fatal.

Kretsch­mann selbst hatte nach eigenen Worten keine Proble­me mit Leistungs­druck. «Man will ja lieber weiter als kürzer sprin­gen. Das ist doch irgend­wie logisch. Aber Leistung ist nicht der einzi­ge Maßstab — es geht auch um Gemein­schaft und Zusam­men­halt.» Aufga­be guter Pädago­gik sei es, Kinder dazu zu befähi­gen, die Welt zu meistern. «Man muss fordern, aber nicht überfor­dern, motivie­ren, aber nicht verhät­scheln», sagte Kretsch­mann, der selbst Lehrer ist.