WIEN/BERLIN (dpa) — Grünen-Kanzler­kan­di­da­tin Baerbock hat erneut Ärger. Ein Medien­wis­sen­schaft­ler aus Öster­reich wirft ihr vor, in ihrem Buch gebe es Plagia­te. Die Grünen wehren sich mit aller Macht.

Der öster­rei­chi­sche Medien­wis­sen­schaft­ler Stefan Weber wirft der Grünen-Kanzler­kan­di­da­tin Annale­na Baerbock vor, in ihrem Buch abgeschrie­ben zu haben — was die Grünen katego­risch zurückweisen.

In einem Blogbei­trag legt Weber Baerbock zur Last, einige Formu­lie­run­gen aus dem Buch stamm­ten nicht von ihr. «Und wenn man es genau nimmt, handelt es sich auch um mehre­re Urheber­rechts­ver­let­zun­gen.» Ein Grünen-Sprecher sagte dazu am Diens­tag: «Das ist der Versuch von Rufmord.» Baerbock habe den auf Medien­recht spezia­li­sier­ten Rechts­an­walt Chris­ti­an Schertz eingeschaltet.

Baerbocks Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneu­ern» war am 21. Juni erschie­nen. Es handelt sich dabei nicht um einen akade­mi­schen Text, für den zwingend stren­ge Standards wissen­schaft­li­chen Arbei­tens gelten. Baerbock breitet in dem 240 Seiten umfas­sen­den Buch grüne politi­sche Konzep­te aus und verbin­det das mit persön­li­chen Erleb­nis­sen. Fußno­ten, mit denen sie auf Quellen verwei­sen könnte, nutzt sie nicht.

Das räumt auch Weber ein. «Ein Sachbuch einer Politi­ke­rin im Ullstein-Verlag ist keine Disser­ta­ti­on», schreibt er. Aber: «Textpla­gia­te sind ethisch nicht korrekt und wurden auch bereits in Sachbü­chern zurecht bemängelt.»

Der Medien­wis­sen­schaft­ler Weber, der sich bereits seit Mai auch mit Ungenau­ig­kei­ten im Lebens­lauf Baerbocks befasst hat, zählt in seinem Beitrag mehre­re Textpas­sa­gen mit Paral­le­len zu anderen Veröf­fent­li­chun­gen auf. Als Beispie­le führt Weber unter anderem Beiträ­ge des US-Politik­wis­sen­schaft­lers Micha­el T. Klare, der Bundes­zen­tra­le für politi­sche Bildung und des Nachrich­ten­ma­ga­zins «Der Spiegel» an.

Die Paral­le­len sind von Fall zu Fall mehr oder weniger stark ausge­prägt. Am auffäl­ligs­ten ist eine Passa­ge auf Seite 219 von Baerbocks Buch, in der es um die Auswir­kun­gen des Klima­wan­dels auf die Sicher­heit geht. Weber stellt sie einer Passa­ge im Magazin «Inter­na­tio­na­le Politik» gegenüber.

Baerbock schreibt: «Die Betrach­tung des Klima­wan­dels als «Bedro­hungs­mul­ti­pli­ka­tor», der Rohstoff- und Gesell­schafts­kon­flik­te verschär­fen kann, ist seither zu einem Eckpfei­ler in der Strate­gie des Penta­gon gewor­den. Seine Conclu­sio: Je fragi­ler ein Staat ist, desto wahrschein­li­cher ist es, dass er beson­ders stark unter den Folge­er­schei­nun­gen der Erder­wär­mung leiden wird — also unter inneren Konflik­ten, humani­tä­ren Katastro­phen und Migra­ti­on. Das daraus entste­hen­de Chaos könnte wieder­um zu neuen Heraus­for­de­run­gen für das US-Militär führen, sei es durch humani­tä­re Hilfs­ein­sät­ze oder Inter­ven­tio­nen im Ausland.»

Der Autor Micha­el T. Klare schreibt in dem Magazin: «Das Konzept des Klima­wan­dels als «Bedro­hungs­mul­ti­pli­ka­tor», der Rohstoff- und Gesell­schafts­kon­flik­te in Entwick­lungs­län­dern verschär­fen kann, ist seither zu einem Eckpfei­ler in der Strate­gie des Penta­gons gewor­den. Je gespal­te­ner und korrup­ter ein Staat ist, desto wahrschein­li­cher ist es, dass er beson­ders stark unter den Folge­er­schei­nun­gen der Erder­wär­mung leiden wird — also unter inneren Konflik­ten, humani­tä­ren Katastro­phen und Massen­mi­gra­ti­on. Das daraus entste­hen­de Chaos könnte wieder­um zu neuen Heraus­for­de­run­gen für das US-Militär führen, sei es durch humani­tä­re Hilfs­ein­sät­ze oder militä­ri­sche Inter­ven­tio­nen im Ausland.»

Weber versu­che, «bösar­tig» Baerbocks Ruf zu schädi­gen, sagte der Grünen-Sprecher. «Bei den beschrie­be­nen Passa­gen handelt es sich um allge­mein zugäng­li­che Fakten oder bekann­te Grüne Positio­nen.» Anwalt Schertz erklär­te in einer von der Grünen-Presse­stel­le verschick­ten Stellung­nah­me: «Ich kann nicht im Ansatz eine Urheber­rechts­ver­let­zung erken­nen, da es sich bei den wenigen in Bezug genom­me­nen Passa­gen um nichts anderes handelt, als um die Wieder­ga­be allge­mein bekann­ter Fakten sowie politi­scher Ansichten.»

Auch der Ullstein-Verlag, bei dem das Buch erschie­nen ist, verwahr­te sich gegen die Vorwür­fe und argumen­tier­te ähnlich. «Das Manuskript von Annale­na Baerbocks Buch ist im Verlag sorgfäl­tig lekto­riert worden», so der Verlag. «Die Aufzäh­lung von allge­mein zugäng­li­chen Fakten ist ebenso wenig urheber­recht­lich geschützt wie einfa­che Formu­lie­run­gen, mit denen solche Fakten trans­por­tiert werden. Wir können keine Urheber­rechts­ver­let­zung erken­nen.» Wie bei nicht­wis­sen­schaft­li­chen Werken üblich enthal­te das Buch kein Quellenverzeichnis.

Auf Seite 174 schreibt Baerbock über die EU-Osterwei­te­rung im Jahr 2004: «Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglie­der — und begrüß­te damit rund 75 Millio­nen neue Unionsbürger*innen.» Die Bundes­zen­tra­le für politi­sche Bildung formu­liert es in einem Artikel zum Thema sehr ähnlich: «Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglie­der — und begrüß­te damit rund 75 Millio­nen neue Unions­bür­ge­rin­nen und ‑bürger. Davon lebte etwa die Hälfte in Polen.» An anderer Stelle lobt Baerbock die Vorzü­ge von Holz als Rohstoff zum Häuser­bau und nennt dabei drei geplan­te massi­ve Bauten aus Holz in Amster­dam, Chica­go und Tokio, eine Infor­ma­ti­on, die sich auch in einem «Spiegel»-Artikel von 2019 findet.

Der Grünen-Sprecher nannte die Vorwür­fe absurd: «Welche Staaten im Rahmen der EU-Osterwei­te­rung aufge­nom­men wurden, wie sich die Mitglieds­zahl dadurch vergrö­ßert hat oder was die größten Holzbau­pro­jek­te sind, ist ein allge­mei­ner Fakt und kein Plagi­at.» Weber sieht das anders: «Es geht nicht allein um fakti­sche Überein­stim­mun­gen sondern um den sprach­li­chen Guss.»

Im Vergleich zu frühe­ren Vorwür­fen gegen Baerbock reagier­te die Partei­spit­ze dieses Mal mit äußers­ter Entschlos­sen­heit. In einer E‑Mail an Unter­stüt­zer mit dem Betreff «Das ist Rufmord!» schrieb Bundes­ge­schäfts­füh­rer Micha­el Kellner, es handle sich um eine Kampa­gne und schlug vor: «Twitte­re selbst dazu oder retweete und zeige damit volle Solida­ri­tät mit Annalena!»

Weber sagte der Deutschen Presse-Agentur, er habe das Buch auf eigene Rechnung unter­sucht, es handle sich nicht um eine bezahl­te Auftrags­ar­beit. «Ich habe mich in das Thema Baerbock verbis­sen, weil da einiges zusam­men­kommt.» Bislang habe er nur Stellen ausge­wie­sen, die er mit Hilfe einer Plagi­ats­prü­fungs-Software gefun­den habe. «Ich hoffe, dass ich nun Hinwei­se von Lesern bekom­me. Denn viele Texte stehen hinter Bezahl­schran­ken, die kann die Software nicht finden.» Teile des Buchs seien unver­däch­tig, weil es dort um persön­li­che Geschich­ten gehe. Ob noch mehr komme, könne er noch nicht sagen.