RAVENSBURG — Uwe Stürmer, der Ravensburger Polizeipräsident, wendet sich mit einem offenen Brief zur Thematik der Klimaaktivisten und den in der letzten Zeit damit in Verbindung stehenden Vorfällen an die Öffentlichkeit und die Klimaaktivesten selbst:
„Die propagierten Ziele der KlimaaktivistInnen sind ehrenwert. Die jüngst angewandten Methoden waren es leider weniger. Obwohl den BesetzerInnen genau bekannt ist, dass geplante Versammlungen anzumelden sind, unterbleibt dies zumeist, so auch am vorvergangenen Samstag in der Ravensburger Schussenstraße. Eine Spontanversammlung lag nicht vor. Bereits am Tage zuvor wurde Baumaterial für ein Baumhaus in der Nähe deponiert. Konsequenz ist, dass im Vorfeld keine Kooperationsgespräche mehr stattfinden. Dabei wäre gerade jetzt der Dialog das Gebot der Stunde. So aber trifft man sich unvorbereitet vor Ort. Ein Katz- und Maus-Spiel, bei dem man sich gegenseitig überrascht. Mit Eskalationspotenzial, an dem Stadt und Polizei sicher kein Interesse haben. Bemerkenswert auch, dass sich vor Ort niemand als VeranstalterIn oder VersammlungsleiterIn zu erkennen gibt.
Dadurch geht die bislang zumindest im Wesentlichen noch funktionierende Kooperation zunehmend verloren. Wir haben als Polizei Verständnis für vielerlei Proteste und wollen Konflikte wo immer es geht im Dialog lösen. Mit Anti-Konflikt-Teams zum Beispiel. Aber das erfordert Absprachefähigkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt. Daran fehlt es den AkteurInnen leider zunehmend. Überraschend kommt die Entwicklung nicht. Das bedenkliche Verhalten hatte sich abgezeichnet: Standen auf den ersten Bannern noch Klimaziele wie “1,5 Grad”, so konnte man im Altdorfer Wald schon seit etlichen Wochen vermehrt Banner mit Texten wie: “No Cops”, “Militanz”, “Klimaschutz ist Antifa” und “Wir tanzen im Wasserwerferregen” etc. besichtigen.
An einer Unterführung in Wolfegg wurde jüngst folgender Schriftzug angebracht: “DIE BAGGER WERDEN BRENNEN.” Das A im Bagger stand dabei im Kreis — ein oft benutztes anarchistisches Symbol. Wir wissen nicht, wer für diese Parole verantwortlich ist. Was wir aber wahrnehmen ist, dass sich ein Teil der KlimaaktivistInnrn zunehmend radikalisiert und nicht vor illegalen Aktionen zurückschreckt.
So behaupteten die BaumbesetzerInnen, die Blockadeaktion am Kieswerk Roßberg Ende April habe nichts mit ihnen zu tun gehabt. Fakt ist aber, dass eine der drei Personen, mit denen im Dezember noch der damalige “Friedensvertrag” geschlossen wurde und die beim Bau des zweiten Baumhauses in Ravensburg dabei war, auch an der Blockade in Roßberg teilnahm. Ganz bewusst versuchten die TeilnehmerInnen der Blockadeaktion in Roßberg, ihre Identität zu verschleiern. Fingerkuppen wurden hierzu speziell behandelt und andere Methoden angewandt, die wir bislang nur von militanten AkteurInnen anderenorts kannten.
Nachweislich wurden meine KollegInnen bereits mehrfach mit völlig haltlosen Vorwürfen überzogen. Das Ziel scheint klar: Die Polizei diskreditieren und offenbar Konflikte schüren. Schade eigentlich!
Definierte Grenzen werden nach unserem Eindruck ganz bewusst überschritten, um ein Einschreiten auszulösen. Um was es uns als Polizei sicher nicht geht ist, legale Protestformen zu behindern. Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut. Aber es wird eben nicht schrankenlos gewährt. Es geht schlicht nicht, dass man an einem Samstag ohne jede Ankündigung eine vierspurige Hauptverkehrsachse mit einem Seil überspannt und stundenlang über der Straße hängt. Genau dieses Verhalten hatte zur Anordnung der Stadt geführt, das erste Baumhaus zu räumen. Und dies wussten die AktivistInnen genau. Es wäre grob fahrlässig gewesen, die Straße nicht zu sperren. Was ist eigentlich mit den Rechten der Bürgerschaft? Durch die notwendig gewordene komplette Sperrung waren unzählige Bürgerinnen und Bürger gezwungen, Umwege zu fahren und brauchten durch sich bildende Staus teils deutlich länger. Faktisch haben die BesetzerInnen damit ganz bewusst die Straßennutzung unterbunden und trotz Verhandlungen keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt. Meint man wirklich, so den Autoverkehr verbannen und der Umwelt nachhaltig dienen zu können?
Bei der Polizei führte die Aktion zu erheblichen Aufwänden. Spezialkräfte zur Höhenintervention aus Göppingen und viele weitere Einsatzkräfte aus den umliegenden Polizeirevieren hatten teils lange Anfahrtswege, wurden aus der Freizeit in den Dienst berufen und waren stundenlang gebunden. Als Polizei haben wir eigentlich andere Aufgaben, als die von den KlimaaktivistInnen politischen Forderungen auf dem Rücken meiner Kolleginnen und Kollegen auszutragen. Wo kämen wir hin, wenn sich künftig jede Interessengruppe berechtigt fühlen würde, allen anderen ihre Positionen aufzuzwingen und den Verkehr wo immer es ihnen beliebt zum Erliegen zu bringen?
Grenzen sind das geltende Recht und die Beeinträchtigung der Rechte anderer. Das scheinen die KlimaaktivistInnen zunehmend zu vergessen.
Eine Rückbesinnung auf ihre eigentlichen Ziele, sprachliche Abrüstung und die Rückkehr zu legalen Protestformen wären zielführender als medial motivierte “Show-Einlagen” wie zuletzt in der Ravensburger Schussenstraße.”
Gez. Uwe Stürmer