RAVENSBURG — Am Montag wird Darius Braun seinem Lebens­traum einen großen Schritt näher­kom­men, zuerst in den Flieger nach Calga­ry steigen und dann in den Sattel seines Mountain­bikes. Vierzehn Monate lang wird der 31-Jähri­ge aus Salem auf dem Rad die Welt berei­sen, entlang der Paname­ri­ca­na wird er Nord- und Südame­ri­ka erkun­den, von den Rocky Mounta­ins in Kanada bis nach Panama, von Venezue­la bis nach Feuer­land in Chile, und wenn er im Septem­ber 2023 zurück­kommt, wird er 22000 Kilome­ter in den Beinen haben und um viele Erfah­run­gen reicher sein. Nicht schlecht für jeman­den, der eigent­lich nur Hobby­sport­ler ist und haupt­be­ruf­lich Lehrer. Und bewun­derns­wert, wenn man bedenkt, dass Darius Braun mit 14 Jahren beina­he sein Leben verlo­ren hätte wegen eines kartof­fel­gro­ßen Gehirn­tu­mors, den er schon seit Wochen in seinem Kopf herum­trug, der ihm seine Koordi­na­ti­on und Energie raubte und so großen Schwin­del und Kopfweh erzeug­te, dass er Ausfalls­er­schei­nun­gen hatte. Irgend­wann wurde Darius Braun sogar gehän­selt und gemobbt, weil er plötz­lich stotter­te und beim Gehen schwank­te wie ein Betrunkener.

So lange, bis Braun zum Hausarzt ging und schließ­lich im St. Elisa­be­then-Klini­kum in Ravens­burg lande­te. Dort reagier­ten die Ärzte blitz­schnell. Bereits am nächs­ten Tag entfern­te ein Neuro­chir­ur­gen-Team unter Leitung von Dr. Ioana Knöller und Dr. Benedict Fijen dem Jungen in einer achtstün­di­gen Opera­ti­on einen kartof­fel­gro­ßen Tumor, der gegen den Hirnstamm drück­te. Ein paar Tage später, und Braun wäre womög­lich ins Koma gefal­len und gestor­ben. „Es war ein typischer Tumor im Kindes­al­ter“, sagt Dr. Gerhard Staimer, damals bereits Chefarzt der Neuro­chir­ur­gie am EK. „Man konnte davon ausge­hen, dass er allen­falls gerin­ge Bösar­tig­keit aufweist und bei komplet­ter Entfer­nung nicht wieder­kommt. Das Gute ist: Das Gehirn eines Kindes hat eine gewis­se Plasti­zi­tät, einige Regio­nen können die Aufga­ben von anderen überneh­men. Aber ein Leben ohne neuro­lo­gi­sche Ausfäl­le kann man nie sicher vorher­sa­gen, insofern hatte der Patient extre­mes Glück. Auch die psychi­sche, die menta­le Kompo­nen­te spielt in solchen Fällen eine große Rolle. Herr Braun hat den Kampf angenom­men, hat Resili­enz gezeigt und ist seinen Weg gegangen.“

Tatsäch­lich wurde Braun damals dank seiner guten Gesamt­kon­sti­tu­ti­on bereits zehn Tage nach der Opera­ti­on entlas­sen, an seinem 15. Geburts­tag, doch die Leidens­zeit war noch lange nicht vorbei. Er musste die Grund­la­gen der Motorik komplett von neuem erler­nen: „Ich war anfangs links­sei­tig komplett gelähmt, konnte nicht mehr laufen, hatte Sprach- und Konzen­tra­ti­ons­pro­ble­me“, erzählt er, wusste aber schon damals, „dass ich mich glück­lich schät­zen durfte, überhaupt ein neues Leben begin­nen zu dürfen“. Also kämpf­te er sich im wahrs­ten Sinne Schritt für Schritt wieder ein norma­les Leben zurück – gegen alle Skepti­ker und Tiefstap­ler. „Die Ärzte in der Reha meinten, ich könne froh sein, wenn ich den Haupt­schul­ab­schluss schaf­fe und mich irgend­wann wieder bewegen kann.“ Er aber wollte mehr, es allen bewei­sen – und schuf­te­te, mit dem Körper und dem Kopf.

Auch ein hefti­ger Sturz mit 17 bei einer Wande­rung auf Mallor­ca konnte seinen Ehrgeiz nicht bremsen. Braun war aus vier Metern Höhe von einem Felsen gefal­len, sein linker Ellbo­gen war zertrüm­mert, ein Hubschrau­ber brach­te ihn ins Kranken­haus nach Palma, wo er einen provi­so­ri­schen Gips bekam. Erst zu Hause, erneut am EK in Ravens­burg, ließ sich Braun operie­ren. Fünf Stunden lang diesmal. Erneut kämpf­te sich Braun mühsam zurück — erst nach einem Jahr konnte er seine Hand wieder bewegen -, und auch beruf­lich arbei­te­te er sich nach oben. Nach der Tumor­ope­ra­ti­on war er zunächst überfor­dert gewesen und vom Gymna­si­um in die Haupt­schu­le gewech­selt. Die meister­te er aller­dings mit Bravour, schaff­te danach auch den Realschul­ab­schluss und schließ­lich sogar das Abitur. In der Folge begann er an der PH in Weingar­ten ein Lehramts­stu­di­um und arbei­te­te danach als Lehrer an der Werkre­al­schu­le Bad Waldsee, ehe er sich ein Jahr als Reise­lei­ter bei einem Abenteu­er­trip­ver­an­stal­ter verding­te. Und natür­lich fuhr er Rad. Nicht wie ein Beses­se­ner — als Kind hatte er leistungs­mä­ßig gerudert -, aber wie ein ambitio­nier­ter Sportliebhaber.

„Undtrotz­dem“ lautet die Adres­se von Brauns Homepage, und trotz­dem scheint auch das Motto seines Lebens zu sein: Hürden zu überwin­den und und Heraus­for­de­run­gen, die zunächst zu groß schei­nen, sogar zu suchen. Nachdem er im Leben lange Grenzen von außen gesetzt bekam, wolle er nun seine eigenen erkun­den, zu selbst­ge­wähl­ten Bedin­gun­gen, sagt Braun, der schon seit Jahren den Traum von der Paname­ri­ca­na hegt und ihn wegen der Pande­mie nochmal verscho­ben hatte. Bereits vor zwei Jahren radel­te er 2700 Kilome­ter quer durch Deutsch­land, in Südame­ri­ka dürfte er aber auf mehr Wider­stän­de stoßen. In der Ataca­ma­wüs­te etwa wird er für sechs Tage lang außer Wüsten­spring­mäu­sen und seinem Zelt – zumeist wird in kleinen Pensio­nen nächti­gen — nicht viel sehen, auch der Gegen­wind könnte an den Nerven des 1,99 Meter großen und 95 Kilo schwe­ren Modell­ath­le­ten zehren. Braun wird sich dagegen­stem­men: „Aufge­ben ist keine Option“, sagt er. Nicht früher, und auch nicht heute – zumal die ARD ihn auf einigen Statio­nen besuchen wird. Sie will eine viertei­li­ge TV-Dokumen­ta­ti­on über ihn drehen in ihrer Reihe „Reise­hel­den“.

Manch­mal fühlt sich sein linker Arm immer noch taub und kraft­los an, aber Darius Braun will demütig bleiben, dankbar für das, was er hat. Sollte von seinem gesam­mel­ten Geld etwas übrig­blei­ben – er sucht weite­re Sponso­ren, die ihn auf dem Weg für die gute Sache beglei­ten – wird er es an die Deutsche Tumor­hil­fe spenden. „Ich möchte etwas zurück­ge­ben und den Menschen helfen, die in gleicher Situa­ti­on sind wie ich es war. Viele, die Ähnli­ches erlebt haben, sind irgend­wann in Depres­si­on versun­ken. Ich möchte ihnen mit meiner Geschich­te Mut machen“, sagt er. Und auch den Ärzten und Pflege­kräf­ten in der Oberschwa­ben­kli­nik werde er auf ewig dankbar sein: „Ohne sie wäre ich jetzt nicht mehr hier.“

Wer Darius Braun und die Deutsche Tumor­hil­fe unter­stüt­zen will, kann dies unter
www.undtrotzdem.de/support tun.

Direkt­s­pen­den an die Deutsche Tumor­hil­fe bitte unter dem Stich­wort: „Paname­ri­ca­na“

Spenden­kon­to
Deutsche Hirntu­mor­hil­fe e.V.
IBAN DE83 8605 0200 1010 0369 00
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