PARIS/HAMBURG (dpa) — Karl Lager­felds angeb­li­cher Spruch «Wer eine Jogging­ho­se trägt, hat die Kontrol­le über sein Leben verlo­ren» ist ein Beispiel dafür, wie die Kontrol­le über ein Zitat verlo­ren gehen kann.

Er war der unver­wech­sel­ba­re Ästhet mit der spitzen Zunge: Karl Lager­feld. Vor drei Jahren starb der langjäh­ri­ge Chanel-Designer. Seitdem verant­wor­tet seine Nachfol­ge­rin Virgi­nie Viard die Kollek­tio­nen des Modehauses.

Zu den bekann­tes­ten Lager­feld-Zitaten gehört zweifel­los «Wer eine Jogging­ho­se trägt, hat die Kontrol­le über sein Leben verlo­ren». An vielen Stellen steht geschrie­ben, dieser Satz sei vor zehn Jahren gefal­len — in der ZDF-Sendung «Markus Lanz» vom 19. April 2012.

Zeit für eine Spurensuche

Doch es gibt da ein Problem: Das stimmt nicht. Über den seit mindes­tens zehn Jahren kursie­ren­den flapsi­gen Ausspruch scheint die Kontrol­le verlo­ren gegan­gen zu sein. Zeit für eine Spurensuche.

Viele Jahre war der gebür­ti­ge Hambur­ger und Wahl-Pariser Lager­feld ein gern gesehe­ner Talkshow-Gast in Deutsch­land. Kaum jemand konnte so schnell parlie­ren wie der weltbe­kann­te Mann mit dem weißen Zopf. Viele Bonmots des Designers sind legendär.

Lager­feld beschei­nig­te zum Beispiel der «Germany’s Next Topmodel»-Präsentatorin Heidi Klum, kein so bedeu­ten­des Model zu sein wie Claudia Schif­fer, Nadja Auermann oder Tatja­na Patitz. Im ZDF sagte der langjäh­ri­ge Chanel-Designer in der am 9. Juni 2009 ausge­strahl­ten Show «Johan­nes B. Kerner»: Er habe Fotos von «dieser Heidi Klum» gesehen, «die ich nicht kenne. Auch Claudia kennt die auch nicht. Die war nie in Paris. Die kennen wir nicht.»

Die kesse Aussa­ge in typischer Maschi­nen­ge­wehr­spra­che ist gut belegt, im Netz etwa bei Youtube, Twitter und so weiter zu finden. Meistens wird sie geglät­tet wieder­ge­ge­ben («Ich kenne sie nicht, Claudia kennt die auch nicht. Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.»).

Woher kommt der Jogginghosenspruch?

Doch was ist mit dem Jogging­ho­sen­spruch — also in diesem Wortlaut «Wer eine Jogging­ho­se trägt, hat die Kontrol­le über sein Leben verlo­ren»? Damit ist es weit kompli­zier­ter. Sowohl im April 2012 als auch in einer Ausga­be des Talks «Markus Lanz» ein Jahr zuvor — am 17. März 2011 — fällt der Satz jeden­falls nicht.

Im ARD-Vorabend­for­mat «Gottschalk Live» vom 31. Januar 2012 gab Thomas Gottschalk eine Zuschau­er­fra­ge an den Designer weiter: «Zieht Karl, wenn er nach Hause kommt, auch als erstes seine Jogging-Hose an?» Antwort: «Gehen­las­sen kenne ich nicht.» Er lasse sich selbst vor seiner Katze nicht gehen, beton­te Lager­feld. Man müsse immer mit der Peitsche hinter sich stehen, so das Credo.

Auch in der ersten «Wetten, dass..?»-Ausgabe mit Markus Lanz als Modera­tor — am 6. Oktober 2012 in Düssel­dorf — war Lager­feld zu Gast. Auch da ging es um Jogging­ho­sen. «Tragen Sie manch­mal auch so Jogging­an­zü­ge?», fragte Lanz dort mit Blick auf Cindy aus Marzahn.

Lager­felds Antwort: «Nein. Weil man das nicht kontrol­lie­ren kann. Ich trag nur Kleidung, wo man genau weiß, wie weit man gehen kann. Nichts ist gefähr­li­cher als Sachen aus Stretch, Gummi­band und all so’n Quatsch. Soll man nie anzie­hen. Denn enge Kleidung ist besser wie ’ne Waage (…). Die beste Diszi­plin ist: enge Kleidung, denn ein Hosen­band, das kann nicht lügen.» Also er meine den Hosen­bund, ergänz­te der schnell schwat­zen­de Lagerfeld.

Wo also ist die abschät­zi­ge Jogging­ho­sen-Bemer­kung zu finden? In der Presse taucht sie Archi­ven zufol­ge seit zehn Jahren immer wieder auf, sie wurde zum geflü­gel­ten Wort. Die Genios-Presse­da­ten­bank spuckt als erste beleg­te Quelle im Sommer 2012 eine Zeitung aus, die den Satz im Wortlaut mit Hinweis auf die Zeitschrift «Grazia» brach­te. Doch beim Klambt-Verlag in Hamburg geht das digita­le Archiv des Magazins «Grazia» nur bis 2014 zurück. In einem alten Heft-Archiv von 2012 ist es nach Angaben aus der Redak­ti­on unauffindbar.

Lager­feld-Biograf ist ratlos

Auch der Lager­feld-Biograf Alfons Kaiser («Karl Lager­feld: Ein Deutscher in Paris») ist ratlos. Lange habe auch er gedacht, der Satz sei bei Lanz im April 2012 gefal­len, sagt der Journa­list der «Frank­fur­ter Allge­mei­nen Zeitung».

Immer­hin weiß Kaiser, dass es in dem von Lager­feld autori­sier­ten Buch «Karl über die Welt und das Leben» das folgen­de Zitat gibt: «Jogging­ho­sen sind das Zeichen einer Nieder­la­ge. Man hat die Kontrol­le über sein Leben verlo­ren und dann geht man eben in Jogging­ho­sen auf die Straße.» Kaiser scheint dieses Zitat frei aus dem Engli­schen übersetzt zu sein («Sweat­pants are a sign of defeat. You lost control of your life so you bought some sweat­pants»). Das Buch erschien auf Deutsch 2014 bei Edel Books, auf Englisch 2013.

Jede und jeder, der sich mehre­re Auftrit­te Lager­felds anschaut, weiß bei alledem, dass er seine Sprüche auch oft wieder­hol­te, insofern könnte es auch mehre­re Origi­nal­ver­sio­nen geben. «Lager­feld hat Sprüche, die gut ankamen, gerne wieder­holt, auch in anderen Sprachen, in der Annah­me, dass das Selbst­zi­tat dann nicht auffliegt», sagt Biograf Kaiser. Ein Beispiel sei die oft variier­te Aussa­ge über seine Heimat­stadt — von «Hamburg ist das Tor zur Welt, aber du musst auch durch­ge­hen» bis «Hamburg ist das Tor zur Welt, aber nur das Tor».

Caroli­ne Lebar war viele Jahre Spreche­rin von Lager­feld. Heute ist sie sogenann­te Senior Vice Presi­dent Image & Commu­ni­ca­ti­ons der Marke Karl Lager­feld. Sie lässt ausrich­ten, sie habe das Gefühl, den Satz über Jogging­ho­sen 15 oder 20 Jahre lang von Karl gehört zu haben («I have the feeling I always heard Karl saying this…»).

Fazit

Gesagt haben könnte Lager­feld selbst­ver­ständ­lich diesen Satz «Wer eine Jogging­ho­se trägt, hat die Kontrol­le über sein Leben verlo­ren». Doch aufzu­fin­den ist er genau in dieser vielfach zitier­ten Form im Origi­nal nicht so einfach. Beim berühm­tes­ten Zitat von Lager­feld, der die Bezeich­nung «Modeschöp­fer» nicht so sehr mochte, weil das nach «erschöpft» klinge, sollte man wohl eher davon sprechen, es mit einem «zugeschrie­be­nen Zitat» zu tun zu haben.

Von Gregor Tholl, dpa