BERLIN (dpa) — Das 9‑Euro-Ticket läuft — aber wie geht es danach mit Preisen und Angebot im Nahver­kehr weiter? Die Länder wollen mehr Geld. Doch auch der Bund hat Erwar­tun­gen. Worauf es dem Verkehrs­mi­nis­ter ankommt.

Verkehrs­mi­nis­ter Volker Wissing will mit Schwung aus den 9‑Euro-Tickets tiefgrei­fen­de Verbes­se­run­gen für einen dauer­haft attrak­ti­ve­ren öffent­li­chen Perso­nen­nah­ver­kehr (ÖPNV) erreichen.

«Wir müssen die Chancen nutzen, mehr Menschen für den ÖPNV zu begeis­tern», sagte der FDP-Politi­ker der Deutschen Presse-Agentur. «Wir wollen neue Fahrgäs­te gewin­nen.» Dafür sollte das Angebot verständ­li­cher, einheit­li­cher und damit kunden­freund­li­cher werden. Wissing sprach sich auch für prakti­sche Nahver­kehrs-Apps und einfa­che­re Tarife aus.

Außer­dem müssten klein­tei­li­ge Organi­sa­ti­ons­struk­tu­ren aufge­bro­chen werden, machte der Minis­ter deutlich. Einheit­li­che Tarife und Verkehrs­ver­bund-übergrei­fen­de Angebo­te seien auch für die Kundin­nen und Kunden ein echter Mehrwert. «Menschen leben nicht in Tarif­zo­nen. Menschen wollen von A nach B. All die techni­schen Dinge, die im Hinter­grund eine Rolle spielen, müssen für die Nutzer unsicht­bar werden. Da hilft uns die Digita­li­sie­rung, und sie müssen wir auch stärker nutzen. Wir sollten den ÖPNV stärker über die eigene Zone und über den eigenen Zweck­ver­band hinaus denken.»

9‑Euro-Ticket soll wichti­ge Erkennt­nis­se bringen

Das zum Monats­be­ginn gestar­te­te 9‑Euro-Ticket hatte Wissing als «Feldver­such» bezeich­net. Es sei die Chance zu prüfen, inwie­weit der Preis die Einstiegs­hür­de für den ÖPNV sei oder es auf attrak­ti­ve­re Angebo­te ankom­me. «So können wir wichti­ge Erkennt­nis­se gewin­nen über genau diese Frage und unser ÖPNV-Angebot entspre­chend ausrich­ten.» Und eine stärke­re Nutzung des ÖPNV helfe, die Klima­schutz­zie­le im Verkehrs­sek­tor zu erreichen.

Die 9‑Euro-Tickets gelten im Juni, Juli und August und ermög­li­chen jeweils für einen Monat belie­big viele Fahrten in Bussen und Bahnen des Nah- und Regio­nal­ver­kehrs in ganz Deutsch­land — viel günsti­ger als norma­le Monats­ti­ckets, die zudem nur im Verbund­be­reich gelten. «Gemein­sam mit den Ländern und Verkehrs­un­ter­neh­men haben wir das, was einigen Ländern vor wenigen Wochen noch unmög­lich erschien, möglich gemacht — nämlich inner­halb kürzes­ter Zeit dieses Ticket auf die Beine gestellt», sagte Wissing. «Damit haben wir für die Verbes­se­rung des ÖPNV grund­sätz­lich etwas in Bewegung gesetzt.»

Verbrau­cher­schüt­zer gegen anschlie­ßen­de Preiserhöhung

Verbrau­cher­schüt­zer mahnten schon, drohen­de Preis­er­hö­hun­gen nach dem Ende der Aktion zu vermei­den. Wissing sagte in diesem Zusam­men­hang: «Wenn wir die Auslas­tung im Nahver­kehr durch das Ticket erhöhen können und Kunden dabei bleiben, dann haben die Verbün­de und die Verkehrs­un­ter­neh­men mehr Einnah­men pro Monat, und es verbes­sert sich auch die Finanz­si­tua­ti­on.» Wenn es darüber hinaus gelin­ge, viele Menschen, die nun das Angebot auspro­bie­ren, als dauer­haf­te Kundin­nen und Kunden zu gewin­nen, dann werde sich das perspek­ti­visch auch positiv auf die Einnah­men auswir­ken. «Im Übrigen bekom­men die Länder die Einnah­men­ver­lus­te durch das 9‑Euro-Ticket vom Bund finanziert.»

Die vorge­se­he­ne Evalu­ie­rung der Sonder­ak­ti­on werde auch Hinwei­se darüber liefern, in welchen Regio­nen das Ticket nicht genutzt werde, erläu­ter­te der Minis­ter. «Und dann wird man die Frage stellen müssen, ob das Angebot dort nicht nutzer­freund­lich genug ist.»

Wissing dringt auf Reformen

Die Länder fordern vom Bund dauer­haft mehr Regio­na­li­sie­rungs­mit­tel, mit denen sie oder Verkehrs­ver­bün­de Nahver­kehrs­leis­tun­gen bei Anbie­tern bestel­len. Wissing dringt aber zunächst auf Refor­men. «Die Analy­se des 9‑Euro-Tickets wird uns klare Hinwei­se geben, wo wir hin müssen», sagte er. Die Länder wollen bis zum Herbst Ergeb­nis­se einer von Wissing vorge­schla­ge­nen Arbeits­grup­pe vorle­gen, um dann über die Regio­na­li­sie­rungs­mit­tel für den Haushalt 2023 zu sprechen.

«Damit haben wir die Chance, die Finan­zie­rung des ÖPNV langfris­tig auf solide Füße zu stellen und den ÖPNV für alle deutlich komfor­ta­bler und attrak­ti­ver zu machen», sagte der Minis­ter. Das System müsse effizi­en­ter und schlag­kräf­ti­ger werden. «Wir müssen den ÖPNV von den Bedürf­nis­sen der Kundin­nen und Kunden und nicht von unseren Struk­tu­ren im Nahver­kehr aus denken.» Dazu gehör­ten nutzer­freund­li­che Nahver­kehrs-Apps, für die Verbän­de und Unter­neh­men Kunden­da­ten unter­ein­an­der verfüg­bar machen müssten.

Als Landes­mi­nis­ter in Rhein­land-Pfalz habe er einzel­ne Zweck­ver­bän­de zu größe­ren Einhei­ten zusam­men­ge­legt. «Der Wider­stand war zunächst massiv, im Ergeb­nis haben wir damit aber viele Verbes­se­run­gen für den ÖPNV errei­chen können. Es geht darum, dass man die Struk­tu­ren der Lebens­wirk­lich­keit der Menschen anpasst und auf die Höhe der Zeit bringt. Viele kleine Verbün­de, die mitein­an­der Abstim­mun­gen über Tarife treffen müssen, kommen nicht so schnell voran wie ein großer Verbund.»

Die Mobili­täts­be­dürf­nis­se seien unter­schied­lich. «Ihre Erwar­tung an den ÖPNV hängt zum Beispiel auch davon ab, ob Sie in einem großen Ballungs­zen­trum oder in ländli­chen Räume leben.» Hier müsse man auch die Möglich­keit schaf­fen, neue innova­ti­ve Angebo­te in das bestehen­de Nahver­kehrs­sys­tem zu integrie­ren. Eine Möglich­keit seien On-Demand-Angebo­te. Inzwi­schen gebe es sogar schon Pilot­pro­jek­te, bei denen Carsha­ring-Fahrzeu­ge fernge­steu­ert zum Kunden kommen.

Von Andre­as Hoenig und Sascha Meyer, dpa