BERLIN (dpa) — Russland hat die Gaslie­fe­run­gen an Deutsch­land gedros­selt. Es wird befürch­tet, dass Moskau den Gashahn komplett zudreht. Trotz Beden­ken von Umwelt­schüt­zern wird deshalb wieder auf Kohlestrom gesetzt.

Wegen der Gaskri­se hat der Bundes­tag den Weg dafür frei gemacht, mehr Kohle­kraft­wer­ke zur Strom­erzeu­gung heran­zu­zie­hen. Ziel dieser Maßnah­me ist es, Gas einzu­spa­ren und einzu­spei­chern. Gleich­zei­tig beschlos­sen die Abgeord­ne­ten, staat­li­che Hilfen für angeschla­ge­ne Energie­un­ter­neh­men wie Uniper zu erleichtern.

Als Option kann zudem ein Umlage­sys­tem geschaf­fen werden, damit Preis­sprün­ge beim Gas für Energie­ver­sor­ger gleich­mä­ßi­ger an Kunden weiter­ge­ben werden können — als Ersatz für bisher mögli­che Regeln. Die Bundes­re­gie­rung will aber vermei­den, dass dieses Instru­ment zum Einsatz kommen muss.

Geset­zes­än­de­rung

Die vom Bundes­tag beschlos­se­nen Geset­zes­än­de­run­gen sollen am Freitag noch durch den Bundes­rat. Sie sind eine Reakti­on auf die starke Drosse­lung russi­scher Gaslie­fe­run­gen durch die Pipeline Nord Stream 1. Um Gas einzu­spa­ren, soll nun weniger Gas zur Strom­pro­duk­ti­on genutzt werden. Statt­des­sen sollen Kohle­kraft­wer­ke zum Einsatz kommen, die gegen­wär­tig nur einge­schränkt verfüg­bar sind, vor der Still­le­gung stehen oder sich in der Reser­ve befinden.

Das Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um hatte bereits angekün­digt, paral­lel die notwen­di­ge Minis­ter­ver­ord­nung vorzu­be­rei­ten, um die sogenann­te Gaser­satz­re­ser­ve in Gang zu setzen. «Wir rufen die Gaser­satz-Reser­ve ab, sobald das Gesetz in Kraft getre­ten ist», hatte Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) angekün­digt. «Das bedeu­tet — so ehrlich muss man sein — dann für eine Übergangs­zeit mehr Kohle­kraft­wer­ke. Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwen­dig, um den Gasver­brauch zu senken. Wir müssen und wir werden alles daran setzen, im Sommer und Herbst so viel Gas wie möglich einzu­spei­chern.» Die Gasspei­cher müssten zum Winter hin voll sein. Das habe obers­te Priorität.

Scholz äußert sich zur Lage

Durch die Drosse­lung russi­scher Gaslie­fe­run­gen durch Nord Stream 1 geriet Deutsch­lands größter Impor­teur von russi­schem Erdgas, Uniper, in Turbu­len­zen und rief nach Staats­hil­fen. Derzeit laufen Verhand­lun­gen mit der Bundes­re­gie­rung. Durch die gesetz­li­chen Änderun­gen soll ein Einstieg des Bundes bei Energie­ver­sor­gern erleich­tert werden. Die Proble­me auf dem Gasmarkt könnten sich noch verschär­fen. Am 11. Juli begin­nen jährli­che Wartungs­ar­bei­ten von Nord Stream 1, die in der Regel zehn Tage dauern. Die große Sorge ist, dass Russland nach der Wartung den Gashahn nicht wieder aufdreht.

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz sieht Deutsch­land aktuell nicht in einer Gas-Mangel­la­ge, wie er in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner» sagte. Es sei auch «nicht ausge­macht», dass es dazu komme. «Es wäre nur völlig unver­ant­wort­lich, sie nicht als Möglich­keit in den Blick zu nehmen und sich darauf vorzu­be­rei­ten», beton­te der SPD-Politi­ker. Für den Fall, dass sie eintre­te, berei­te man sich beispiels­wei­se auf die priori­sier­te Energie­ver­tei­lung vor.

Unter­stü­zung von Verbänden

Beim Bundes­ver­band der Deutschen Indus­trie (BDI) stießen die Bundes­tags­be­schlüs­se auf Unter­stüt­zung. Die Entschei­dung, Kohle­kraft­wer­ke vorüber­ge­hend aus der Reser­ve zu holen, komme spät, aber sei richtig, sagte BDI-Präsi­dent Siegfried Russwurm der Deutschen Presse-Agentur. Auch die staat­li­che Unter­stüt­zung für Energie­ver­sor­ger sei richtig. «Die Bundes­re­gie­rung hat den Ernst der Lage bei der Gasver­sor­gung erkannt», lobte Russwurm.

Auch der Verband der Automo­bil­in­dus­trie (VDA) sprach von wichti­gen Maßnah­men: «Der Dreiklang aus direk­ten Hilfen für notlei­den­de Gasver­sor­ger, präven­ti­ven Maßnah­men zur Reduzie­rung des Gasver­brauchs und zusätz­li­chen Instru­men­ten zur Krisen­be­wäl­ti­gung ist der richti­ge Ansatz», erklär­te VDA-Präsi­den­tin Hilde­gard Müller.

Abgelehnt wurde vom Bundes­tag ein Änderungs­an­trag der Unions­frak­ti­on, der eine länge­re Laufzeit von Atomkraft­wer­ken zum Ziel hatte. CDU und CSU hatten vorge­schla­gen, dass die Bundes­re­gie­rung per Rechts­ver­ord­nung neben Kohle­kraft­wer­ken auch die drei verblie­be­nen deutschen Kernkraft­wer­ke weiter­lau­fen lassen kann. Dafür hatte sich zuletzt auch die FDP stark gemacht — aller­dings konnten sich die Freide­mo­kra­ten in der Koali­ti­on nicht gegen SPD und Grüne durchsetzen.