KIEW/MOSKAU (dpa) — Mit Spannung richtet sich der Blick auf Nord Stream 1. Wann wieder Gas fließt, ist unklar. Unter­des­sen sorgen sich Exper­ten um die Lage des besetz­ten Atomkraft­werks Saporischschja. Die Gescheh­nis­se im Überblick.

Nach dreitä­ti­gen Wartungs­ar­bei­ten fließt vorerst kein russi­sches Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutsch­land. Grund dafür sei ein Ölaus­tritt in der Kompres­sor­sta­ti­on Porto­wa­ja, teilte Gazprom am Samstag mit. Bis dieser gestoppt sei, könne kein Gas mehr fließen. Das Unter­neh­men hatte die andau­ern­de Unter­bre­chung überra­schend angekündigt.

Die Bundes­netz­agen­tur äußer­te Zweifel an der russi­schen Begrün­dung. «Die von russi­scher Seite behaup­te­ten Mängel sind nach Einschät­zung der Bundes­netz­agen­tur technisch kein Grund für die Einstel­lung des Betriebs», schrieb die Behör­de. Eine Spreche­rin des Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums beton­te, dass die Lage auf dem Gasmarkt zwar angespannt sei, die Versor­gungs­si­cher­heit aber gewähr­leis­tet. Schär­fer reagier­te EU-Ratsprä­si­dent Charles Michel. «Die Nutzung von Gas als Waffe wird an der Entschlos­sen­heit der EU nichts ändern», schrieb er. Die Ukrai­ne kündig­te an, Deutsch­land bei der Lösung seines Energie­pro­blems helfen zu wollen — dabei machen sich Exper­ten Sorgen um das besetz­te Atomkraft­werk Saporischschja.

Atomener­gie­be­hör­de besorgt nach AKW-Beschuss

Angesichts des andau­ern­den Beschus­ses des von russi­schen Truppen besetz­ten Atomkraft­werks Saporischschja bangen inter­na­tio­na­le Exper­ten nach einem Besuch um die Sicher­heit dort. Seine größte Sorge bleibe, dass das AKW durch weite­ren Beschuss schwer beschä­digt werden könnte, sagte der Chef der Inter­na­tio­na­len Atomener­gie­be­hör­de (IAEA) Rafael Grossi in Wien. Zwar seien Schäden offen­kun­dig und inakzep­ta­bel, aber wichti­ge Sicher­heits­ele­men­te wie die Strom­ver­sor­gung des Kraft­werks funktio­nier­ten. Er habe auch nicht den Eindruck, dass die russi­schen Besat­zer etwas verbor­gen haben. «Wir haben alles gesehen, was ich sehen wollte», sagte Grossi.

Russland meldet ukrai­ni­schen Militär­ein­satz nahe AKW

Die Lage rund um das von Russland besetz­te Atomkraft­werk Saporischschja in der Südukrai­ne bleibt unüber­sicht­lich. Das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um beschul­dig­te die ukrai­ni­sche Armee, trotz der Anwesen­heit inter­na­tio­na­ler Atomex­per­ten das AKW zurück­er­obern zu wollen. An der Aktion seien 250 Solda­ten und «auslän­di­sche Söldner» betei­ligt gewesen. Die russi­sche Armee will den Angriff abgewehrt und dabei mehre­re Boote zerstört haben. Diese Angaben ließen sich nicht von unabhän­gi­ger Seite überprü­fen. Das ukrai­ni­sche Militär beschul­dig­te wieder­um Russland, es habe in der Nacht zum Samstag Angrif­fe in Richtung Saporischschja vorgenommen.

Türkei will zwischen Russland und Ukrai­ne vermitteln

Die Türkei hat sich im Streit um das Kraft­werk als Vermitt­ler ins Gespräch gebracht. Das sagte der türki­sche Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan bei einem Telefo­nat mit dem russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin, wie Erdogans Büro mitteil­te. Ankara könnte «in der AKW-Frage von Saporischschja eine unter­stüt­zen­de Rolle spielen, wie es beim Getrei­de­ex­port der Fall war». Aus Moskau gab es dazu keine Reakti­on. Die UN und die Türkei hatten Verein­ba­run­gen vermit­telt, dass die Ukrai­ne trotz des russi­schen Angriffs­krie­ges wieder Getrei­de über ihre Schwarz­meer­hä­fen ausfüh­ren darf.

Erdogan würdigt Gorbat­schow in Telefo­nat mit Putin

Der türki­sche Präsi­dent Recep Tayyip Erdogan sprach mit Kreml­chef Wladi­mir Putin bei einem Telefo­nat über die Missi­on der IAEA. In dem Gespräch würdig­te Erdogan den verstor­be­nen ehema­li­gen sowje­ti­schen Präsi­den­ten Michail Gorbat­schow gewür­digt. Nach Angaben des Kremls verwies Erdogan in dem Gespräch auf dessen «bedeu­ten­de Rolle» in Russlands jüngs­ter Geschich­te und in der Welt. Der Friedens­no­bel­preis­trä­ger war am Diens­tag im Alter von 91 Jahren gestorben.

Breiter Vormarsch ukrai­ni­scher Truppen westlich des Dnipro

Die Ukrai­ne forciert bei ihrer Gegen­of­fen­si­ve in der Region Cherson im Süden des Landes briti­schen Geheim­diens­ten zufol­ge derzeit einen breiten Vormarsch auf drei Achsen westlich des Flusses Dnipro. Diese Offen­si­ve habe zwar nur begrenzt unmit­tel­ba­re Ziele, die Russen aber mutmaß­lich taktisch überrascht, hieß es in einem Kurzbe­richt des Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums in London. Damit würden logis­ti­sche Mängel und Schwä­chen in der Führung der russi­schen Offen­si­ve entlarvt.

Moskau spricht von hohen ukrai­ni­schen Verlusten

Das ukrai­ni­sche Militär erlei­det nach russi­schen Angaben bei seiner Gegen­of­fen­si­ve hohe Verlus­te. Versu­che, sich im Raum zwischen Mykola­jiw und Krywyj Rih festzu­set­zen, seien erfolg­los, berich­te­te das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um. Dabei habe die Ukrai­ne 23 Panzer und 27 Kampf­fahr­zeu­ge verlo­ren. Zudem sollen mehr als 230 Solda­ten getötet worden sein. In Kranken­häu­sern fehlten Betten und Blutkon­ser­ven. Die Angaben ließen sich nicht unabhän­gig überprüfen.