STUTTGART (dpa/lsw) — Jedes Haus im Südwes­ten soll ein kleines Sonnen­kraft­werk werden. Die Grünen dringen auf eine Solar­pflicht auch für ältere Häuser. Doch der Koali­ti­ons­part­ner hält eine weite­re Pflicht in der Krise für den falschen Weg.

Die Grünen um Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann beißen mit ihrer Forde­rung nach einer Solar­pflicht auch für ältere Gebäu­de beim Koali­ti­ons­part­ner CDU auf Granit. Baumi­nis­te­rin Nicole Razavi (CDU) und der CDU-Umwelt­po­li­ti­ker Raimund Haser sagten der Deutschen Presse-Agentur, bevor man über weite­re Pflich­ten disku­tie­re, müsse der Bund Hürden abbau­en und mehr Anrei­ze für eine Solar­an­la­ge setzen. «Wir haben das Klima­schutz­ge­setz nun zum zweiten Mal in zwei Jahren aufge­macht. Ich kann mir nicht vorstel­len, dass wir das unter den gleichen Rahmen­be­din­gun­gen 2023 noch einmal tun werden», sagte Haser. Umwelt­mi­nis­te­rin Thekla Walker (Grüne) reagier­te verär­gert auf diese Ansage.

Grüne Umwelt­mi­nis­te­rin pocht auf Abspra­che in Koalition

Walker sagte der dpa: «Wir haben inner­halb der Koali­ti­on verein­bart, dass wir uns in einem Jahr noch mal mit dem Thema Photo­vol­ta­ik auf Bestands­ge­bäu­den ergeb­nis­of­fen beschäf­ti­gen.» Angesichts der aktuel­len Energie­kri­se sei es falsch, eine solche Maßnah­me jetzt schon auszu­schlie­ßen. «Denn wir können es uns nicht leisten, solch exponier­te Flächen beim Photo­vol­ta­ik-Ausbau einfach ungenutzt zu lassen.»

Auch Grünen-Frakti­ons­chef Andre­as Schwarz erinner­te an Abmachun­gen. Die Diskus­si­on über eine Auswei­tung der Photo­vol­ta­ik­pflicht werde im kommen­den Jahr geführt, sagte er am Sonntag. «Auf dem Tisch liegt dann ein Vorschlag mit einer ausrei­chend langen Übergangs­frist, so dass alle Planungs­si­cher­heit haben und wir mehr Strom aus erneu­er­ba­ren Energien bekom­men.» Es seien aber «alle brauch­ba­ren und umsetz­ba­ren Vorschlä­ge, die rasch zu mehr grünem Strom führen, willkommen».

SPD-Frakti­ons­chef Andre­as Stoch sagte zu dem Streit in der Koali­ti­on: «Und wieder einmal folgt all den wohlfei­len grünen Ankün­di­gun­gen die Blocka­de durch die CDU.» Er verbat sich Kritik an der SPD-geführ­ten Bundes­re­gie­rung. «Der Grund, warum Baden-Württem­berg beim Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien nicht voran­kommt, liegt bei der grün-schwar­zen Landes­re­gie­rung und nirgend­wo sonst.»

Razavi: Solar­an­la­gen müssen machbar und finan­zier­bar sein

Baumi­nis­te­rin Razavi erklär­te, zum Beispiel müsse der Bund die Bremsen beim Mieter­strom lösen — hierbei geht es um Strom, der auf einem Wohnge­bäu­de erzeugt und dort direkt verbraucht wird. «Und wir sollten kluge Anrei­ze setzen», sagte die CDU-Politi­ke­rin. «Wir müssen Photo­vol­ta­ik­an­la­gen so attrak­tiv machen, dass sich die Frage nach einer Pflicht gar nicht mehr stellt.» Wenn eine solche Anlage «machbar und finan­zier­bar ist und sich inner­halb weniger Jahre auch rentiert, dann macht es auch jeder».

CDU reagiert auf Kretsch­manns Ansage vom Grünen-Parteitag

Kretsch­mann hatte vor zwei Wochen beim Grünen-Partei­tag auf eine Solar­pflicht auch für ältere Gebäu­de gedrun­gen. Er hoffe, dass die grün-schwar­ze Koali­ti­on im nächs­ten Jahr soweit sei, die generel­le Pflicht zu beschlie­ßen, erklär­te der grüne Regie­rungs­chef. Er wisse, dass das nicht von heute auf morgen gehe — auch weil die Energie- und Infla­ti­ons­kri­se viele Haushal­te finan­zi­ell stark belas­te. Aber bis 2035 sei das machbar und zumutbar.

CDU-Mann Haser hält Kretsch­manns Vorstoß ebenfalls für den falschen Weg. Statt über neue Pflich­ten der Bürger nachzu­den­ken, solle man sich lieber an die Pflich­ten des Staates halten. «Leitungs­bau voran­trei­ben, Geneh­mi­gungs­wahn­sinn beenden, Speicher­mög­lich­kei­ten schaf­fen und nicht symbol­haft über Pflich­ten disku­tie­ren, die am Sankt-Nimmer­leins-Tag — also 2035 — gelten sollen.»

Solar­pflicht für ältere Gebäu­de nicht im Koalitionsvertrag

Bei den jüngs­ten Verhand­lun­gen über das Klima­schutz­ge­setz war die Solar­pflicht für ältere Gebäu­de auf Druck der CDU ausge­klam­mert worden. Schon jetzt gilt: Wer ein neues Haus im Südwes­ten bauen will, muss seit Anfang Mai eine Solar­an­la­ge auf seinem Dach instal­lie­ren lassen. Zudem müssen Hausbe­sit­zer von 2023 an bei einer grund­le­gen­den Dachsa­nie­rung ebenfalls eine Photo­vol­ta­ik­an­la­ge einbau­en lassen. Eine Solar­pflicht für ältere Gebäu­de steht nicht im Koali­ti­ons­ver­trag von Grünen und CDU.

Haser verwies auf viele bürokra­ti­sche Proble­me mit den Anlagen. Zunächst einmal seien diese kompli­ziert anzumel­den und in Betrieb zu nehmen. Dann gebe es ein «Abrech­nungs­hick­hack zwischen Eigen­nut­zung und Fremd­lie­fe­rung». Der CDU-Energie­ex­per­te kriti­sier­te: «Anstatt das System so umzustel­len, dass die Dächer von allei­ne voll werden, lässt man im grünen Wirtschafts­mi­nis­te­ri­um im Bund alles, wie es ist, und setzt hierzu­lan­de auf die Pflicht. Das ist nicht meine Vorstel­lung von sinnvol­ler Ordnungspolitik.»

Walker beklagt «Politik des Verhin­derns» der großen Koalition

Ein Sprecher der Umwelt­mi­nis­te­rin entgeg­ne­te: «Die Aussa­gen der CDU sind nicht nachvoll­zieh­bar, weil die neue Bundes­re­gie­rung gerade damit beschäf­tigt ist, all die bürokra­ti­schen Hinder­nis­se der Vorgän­ger­re­gie­rung abzubau­en, die den Ausbau der Erneu­er­ba­ren jahre­lang massiv blockiert haben.» Die «Politik des Verhin­derns» der großen Koali­ti­on aus Union und SPD habe auch dazu geführt, dass Hundert­tau­sen­de von Arbeits­plät­zen in der Windkraft- und Solar­bran­che wegge­fal­len und Produk­ti­ons­stät­ten nach China verla­gert worden seien. «Kapazi­tä­ten, die wir nun dringend brauchen würden, um die Erneu­er­ba­ren auszu­bau­en und uns so schnell wie möglich unabhän­gig von der fossi­len Energie­ver­sor­gung zu machen und unsere Klima­schutz­zie­le zu erreichen.»

Haser sagte, die Photo­vol­ta­ik erlebe gerade einen «Wahnsinns-Boom. In den kommen­den Jahren werden die Megawatt-Leistun­gen so zuneh­men, dass das Netz ohnehin an seine Grenzen stoßen wird.» Haser kriti­sier­te auch Kretsch­manns Aussa­ge, mit Solar­an­la­gen auf allen geeig­ne­ten Dächern im Südwes­ten könne man die Jahres­leis­tung von fünf Atomkraft­wer­ken erset­zen. «Die Aussa­ge, dass 60 Terra­watt­stun­den Photo­vol­ta­ik 60 Terra­watt­stun­den Kernkraft entspre­chen, ist so lange falsch, so lange das Speichern über Nacht und erst recht das Speichern über den Winter nicht in indus­tri­el­lem Maßstab möglich ist.» Die Photo­vol­ta­ik sei ein Baustein der Energie­wen­de. «Mit einem Baustein baut man bekann­ter­ma­ßen aber kein Haus.»

Von Henning Otte, dpa