BERLIN (dpa) — Die CDU hat in Berlin die Nase vorn — zum ersten Mal seit 1999. Doch ob Spitzenkandidat Kai Wegner auch die Regierung anführen wird, ist noch völlig offen — genau wie der Kampf um den zweiten Platz.
Bei der Wahl in Berlin ist die CDU den ersten Hochrechnungen zufolge erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten wieder stärkste Kraft geworden. Demnach liegen die Christdemokraten deutlich vor SPD und Grünen, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei liefern.
Dahinter landet die Linke, die mit Sozialdemokraten und Grünen seit 2016 in der Hauptstadt regiert. Die AfD ist sicher wieder im Abgeordnetenhaus vertreten, die FDP muss dagegen um den Einzug bangen. Die Wiederholungswahl verändert damit die politischen Verhältnisse in der Stadt. Seit 2016 regieren SPD, Grüne und Linke zusammen, im Dezember 2021 erneuerten sie die Koalition. Seither ist die frühere Bundesfamilienministerin Franziska Giffey Bürgermeisterin, sie muss nun aber um ihr Amt fürchten.
Wegen schwerwiegender Wahlpannen hatte das Landesverfassungsgericht die Wahl des Landesparlaments vom September 2021 und die Bezirkswahlen für ungültig erklärt — und eine Wiederholung angeordnet. Damals hatten lange Warteschlangen vor Wahllokalen sowie fehlende, vertauschte oder kopierte Stimmzettel bundesweit Schlagzeilen gemacht.
FDP könnte unter 5 Prozent landen
Ersten Hochrechnungen zufolge gewinnt die CDU bei der Wiederholungswahl deutlich hinzu und kommt auf 27,5 bis 27,8 Prozent (2021: 18,0 Prozent). SPD und Grüne lagen gleichauf mit 18,1 bis 18,4 bis Prozent (Grüne: 18,9, SPD: 21,4). Dahinter liegt die Linke mit 12,6 bis 12,8 Prozent (14,1). Die AfD legt zu auf 9,0 bis 9,1 Prozent der Wählerstimmen (8,0). Die FDP verliert den Prognosen zufolge und muss mit 4,5 bis 5 Prozent um den Einzug ins Parlament bangen.
Wahlberechtigt zur Abgeordnetenhauswahl waren etwa 2,4 Millionen Menschen. Die Wahlbeteiligung lag laut den Prognosen bei 63,5 bis 65 Prozent. 2021 waren es 75,4 Prozent, doch wurde in dem Jahr gleichzeitig auch der Bundestag gewählt.
Nach demokratischer Gepflogenheit liegt der Auftrag zur Regierungsbildung bei der CDU als stärkster Kraft im Abgeordnetenhaus. Doch ist offen, ob sie ein Regierungsbündnis schmieden kann. SPD und Grüne hatten angedeutet, dass sie ihre Koalition mit der Linken auch im Fall eines CDU-Siegs fortsetzen wollen, wofür die Mehrheitsverhältnisse auch reichen würden.
Bürgermeister-Frage völlig offen
Eine Neuauflage dieser Koalition wäre eine Kampfansage an CDU-Spitzenmann Kai Wegner, der die CDU nun wieder nach vorn geführt hat. Der 50-Jährige ist gebürtiger Berliner, verheiratet, Vater dreier Kinder und lebt im Bezirk Spandau. Außerhalb der Stadt ist der Hertha-BSC-Fan wenig bekannt.
Ganz anders Giffey, die im Wahlkampf versucht hatte, mit ihrem Amtsbonus zu punkten. Die 44-jährige SPD-Landeschefin, die östlich von Berlin aufwuchs, war Bürgermeisterin im Bezirk Neukölln und stieg 2018 zur Bundesfamilienministerin auf. Wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit trat Giffey im Mai 2021 aus dem Kabinett zurück.
Die 54-jährige Umweltsenatorin Bettina Jarasch hat — sollten die Grünen zweitstärkste Kraft werden — die Option, erste Grünen-Regierungschefin in Berlin zu werden und Giffey abzulösen. Die gebürtige Augsburgerin steht für eine Verkehrswende weg vom Verbrenner-Auto und einen ehrgeizigen Kampf gegen die Erderhitzung — was die politische Schnittmenge mit FDP und CDU verkleinert.
Auftrieb für die CDU im Bund?
Der Erfolg der Berliner CDU dürfte der Bundespartei und dem Vorsitzenden Friedrich Merz Auftrieb geben, denn in diesem Jahr stehen drei Landtagswahlen in Bremen, Hessen und Bayern an. Für die SPD im Bund ist das Ergebnis ein Dämpfer, weil Giffey ihren Posten als Regierungschefin in Berlin verlieren könnte. Die Bundes-FDP muss sich nach einer Reihe empfindlicher Wahlschlappen darauf vorbereiten, möglicherweise ein weiteres Mal aus einem Landesparlament zu fliegen.
Großes Thema des kurzen Wahlkampfs war neben der Mieten- und Verkehrspolitik eine scharfe Debatte über die Silvesternacht, in der Krawallmacher Polizei und Rettungskräfte attackiert hatten. Auch bundesweit wurde aufgeregt über Jugendgewalt, Täter mit Migrationshintergrund und Integrationsprobleme diskutiert. Besonders stark polarisierte die Landes-CDU, die die Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit erfragte.
In der Mieterstadt Berlin heizte fehlender bezahlbarer Wohnraum den Parteienstreit zusätzlich an. Dabei geht es auch um einen Volksentscheid, bei dem 2021 fast 60 Prozent für die Enteignung großer Wohnungskonzerne stimmten. Giffey positionierte sich zuletzt dagegen und liegt damit auf einer Linie mit der CDU. Auch FDP und AfD lehnen Enteignungen ab. Die Linke fordert hingegen die schnelle Umsetzung des Volksentscheids, die Grünen sehen Enteignungen nur als letztes Mittel, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Kürzere Regierungszeit
Umstritten war auch der vom Bund angekündigte Weiterbau der Stadtautobahn A100. Die Koalition aus SPD, Grünen und Linke lehnt ihn ab. CDU, FDP und AfD befürworten die Verlängerung der Trasse.
Nach der Pannenwahl 2021 rückten auch Missstände in der Berliner Verwaltung stärker in den Fokus. Berlinerinnen und Berliner sind etwa mit wochenlangen Wartezeiten für Bürgeramtstermine konfrontiert — ein seit Jahren schwelendes Problem.
Weil es keine Neuwahl ist, ändert sich nichts an der Legislaturperiode: Sie endet 2026, also fünf Jahre nach der Wahl 2021.
Von Lena Klimpel und Torsten Holtz, dpa