BIBERACH – Am 1. Februar vor 60 Jahren ist Biberach zur Großen Kreisstadt erhoben worden. Voraussetzung war eine Einwohnerzahl von mindestens 20 000. Das erreichte die Stadt bereits im Januar 1959. Doch es sollte noch drei weitere Jahre dauern, bis es tatsächlich soweit war.
Um die für die Erhebung erforderlichen 20 000 Einwohner zu erreichen, bedurfte es eines langen Anlaufs. Im Jahr 1900 zählte man 8390 Bewohner, zu Beginn des Weltkriegsjahres 1939 waren es fast 12 000. Am 20. Januar 1959 schließlich wurde mit Franz Lamprecht der 20 000. Biberacher Bürger geboren. Für die Stadt bedeutete dies die Möglichkeit, nach der nächsten Volkszählung den Antrag auf die Erhebung zur Großen Kreisstadt stellen zu können. Aus diesem besonderen Anlass übernahm die Stadt die Ehrenpatenschaft für den kleinen Franz. Bürgermeister Leger überbrachte der Familie als Patengeschenk 250 Mark in Goldmünzen und eine von der Biberacher Malerin Magda Kampis-Banrevy gestaltete Patenschaftsurkunde.
Die für das Jahr 1960 erwartete Volkszählung wurde dann erst am 6. Juni 1961 durchgeführt. Dabei ergab sich für die Stadt eine Zahl von 21 524 Einwohnern. Am 4. September desselben Jahres stellte Bürgermeister Wilhelm Leger beim Landratsamt den Antrag auf die Erhebung zur Großen Kreisstadt. Die Landesregierung teilte aber mit, den Antrag erst weiterbehandeln zu können, wenn das Statistische Landesamt das endgültige Ergebnis der Zählung festgestellt habe. Damit wurde nicht vor Ende März 1962 gerechnet. Doch am 23. Januar 1962 war es soweit: Die Landesregierung beschloss die Erhebung Biberachs zur Großen Kreisstadt. Damit wurde Biberach aus der Rechtsaufsicht des Landratsamts entlassen und direkt dem Regierungspräsidium unterstellt. Bürgermeister Wilhelm Leger wurde zum Oberbürgermeister erhoben und ein zusätzlicher Bürgermeister konnte gewählt werden: der von Wilhelm Leger vorgeschlagene Kreisverwaltungsdirektor Alfred Rack, der seit 1952 die Finanzen des Kreises verwaltete.
Die Feierlichkeiten wurden in die Schützenfestwoche verlegt. Am Schützensonntag, 1. Juli, hielt der Gemeinderat eine Festsitzung in der Aula des Wieland-Gymnasiums ab. Ehrengast war Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger. Anschließend ging‘s zum Festessen ins Hotel „Rad“. Am Abend fand ein historischer Festakt auf dem Marktplatz statt. Danach klang der Festtag für den Gemeinderat und die Mitarbeiter der Stadt in der Gigelbergturnhalle aus.
Stadt hat auch staatliche Aufgaben
Biberach hat also seit 60 Jahren einen Oberbürgermeister und einen Ersten Bürgermeister als ersten Stellvertreter des OB. Außerdem besitzt eine Große Kreisstadt ein eigenes Rechnungsprüfungsamt, sozusagen eine eigene Innenrevision, die die Verwaltungsvorgänge intern überprüft. Eine „normale“ Stadt erfüllt praktisch ausschließlich kommunale Aufgaben, während die Große Kreisstadt zusätzlich auch bestimmte staatliche Aufgaben aus verschiedenen Bereichen wahrnimmt. Dazu gehören die Aufgaben einer Baurechtsbehörde (zum Beispiel Baugenehmigungen), der Ausländerstelle oder der Straßenverkehrsbehörde. Auch das Waffenrecht ist auf Große Kreisstädte als Untere Verwaltungsbehörde übertragen worden. Das Aufgabenpaket ist also durchaus vielfältiger als das einer normalen Stadt. Allerdings: Das Landesverwaltungsgesetz regelt gleichzeitig, welche staatlichen Aufgaben nicht von den Großen Kreisstädten als Untere Verwaltungsbehörde wahrgenommen werden dürfen. Dazu zählen beispielsweise der Katastrophenschutz oder Kfz-Zulassungen. Diese Aufgaben bleiben beim Landkreis.
Größerer Spielraum
Mit dem größeren Spielraum und den größeren Gestaltungsmöglichkeiten wächst natürlich auch die Verantwortung und das Risiko, wenn man beispielsweise an sicherheitsrelevante Genehmigungen denkt. Im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung ist es aber sehr zu begrüßen, wenn viele Aufgaben dezentral erledigt werden.
Der Landkreis ist für die Städte und Gemeinden die Aufsichtsbehörde, nicht aber für Große Kreisstädte. Daher nimmt die Aufsicht über die Stadt Biberach nicht das Landratsamt wahr, sondern das Regierungspräsidium in Tübingen. Und die Stadt hat nicht alle Aufgaben übernommen, die sie aufgrund der Eigenschaft einer Großen Kreisstadt hätte übernehmen können. So hat die Stadt Biberach beispielsweise kein eigenes Sozialamt eingerichtet. Vielmehr ist hier auch für die Stadt der Landkreis zuständig.
Rechtliche Grundlagen:
Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern können in Baden-Württemberg auf Antrag den Rechtsstatus als Große Kreisstadt von der Landesregierung verliehen bekommen.
Das durch die Bürgerschaft gewählte Stadtoberhaupt der Großen Kreisstadt trägt die Amtsbezeichnung Oberbürgermeister, während die durch den Stadtrat bestellten Beigeordneten die Bezeichnung Erster Bürgermeister beziehungsweise Bürgermeister führen. Die großen Kreisstädte unterliegen der Rechtsaufsicht des Regierungspräsidiums, während die Rechtsaufsicht bei den übrigen Städten und Gemeinden im Landkreis durch das Landratsamt (Fachbereich Kommunalaufsicht) wahrgenommen wird.
Große Kreisstädte nehmen Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden als kommunale Pflichtaufgabe nach Weisung wahr. Das Landesverwaltungsgesetz regelt Aufgaben, die ausschließlich dem Landratsamt zur Aufgabenerledigung vorbehalten sind.
Dies sind unter anderem
• das Staatsangehörigkeitswesen
• der Katastrophenschutz und die zivile Verteidigung
• die Aufgaben nach dem Eingliederungsgesetz und dem Flüchtlingsaufnahmegesetz
• die Zulassung zum Straßenverkehr
• die Beförderung von Personen zu Lande und der Güterkraftverkehr einschließlich der Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße
• das Schornsteinfegerwesen
• die Bekämpfung von Tierseuchen, das Recht der Tierkörperbeseitigung und der Tierschutz
• das Lebensmittelrecht, die Weinüberwachung, das Fleischhygienerecht und das Geflügelfleischhygienerecht
• das Forstwesen, außer in den Fällen des § 47a Absatz 1 des Landeswaldgesetzes
• das Recht der Abfallentsorgung
Die Aufgaben der Großen Kreisstädte:
• Ausländerbehörde
• Bußgeldbehörde
• Baurechtsbehörde
• Gaststättenbehörde
• Kreispolizeibehörde
• Messen, Märkte, Ausstellungen
• örtliche Straßenverkehrsbehörde
• Parkerleichterungen für Behinderte
• Reisegewerbekarte
• Spielhallen
• Unterbringung psychisch Kranker
• Versammlungsrecht
• Waffenrecht
• Wohngeld