WASHINGTON (dpa) — Die Zwischen­wah­len in den USA laufen für Joe Biden besser als befürch­tet und für Donald Trump schlech­ter als erhofft. Sie legen vieles offen — auch die langfris­ti­gen Proble­me für die ameri­ka­ni­sche Demokratie.

Joe Biden am Telefon, mit Pullover, Käppi und schie­fem Lächeln auf dem Gesicht. Dieses Foto twittert der US-Präsi­dent in der Wahlnacht. Der Demokrat hat gerade ein paar Partei­kol­le­gen zum Wahlsieg gratu­liert. Das Bild beschreibt die vorläu­fi­ge Lage bei den US-Zwischen­wah­len einiger­ma­ßen treffend. Für ein breites Grinsen von Biden ist der Wahlaus­gang noch zu ungewiss, aufat­men kann der 79-Jähri­ge noch lange nicht. Doch es zeich­net sich ab, dass die Zwischen­wah­len in der Mitte seiner Amtszeit glimpf­li­cher für ihn enden könnten als vorher­ge­sagt. Nach der großen Klatsche, die der Demokrat befürch­ten musste, sieht es nicht aus.

Die «Midterm»-Wahlen entschei­den darüber, wer künftig das Sagen im Kongress hat, was Biden in den kommen­den zwei Jahren politisch noch ausrich­ten kann und wie sehr ihn die Republi­ka­ner im Parla­ment schika­nie­ren können. Die Partei von Bidens Amtsvor­gän­ger Donald Trump hatte auf einen überwäl­ti­gen­den Sieg gehofft. Doch der bleibt aus. Auch einige Stunden nach der Schlie­ßung der ersten Wahllo­ka­le ist zwar noch unklar, wer künftig den Kongress kontrol­lie­ren wird. Es könnte noch unange­nehm werden für Biden in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit. Doch hätten die Republi­ka­ner richtig abgeräumt, wäre das zu diesem Zeitpunkt schon klar. Und selbst wenn die Republi­ka­ner am Ende nur knapp die Mehrheit in einer oder gar beiden Kongress­kam­mern holen sollten, dürfte es für sie schwer werden, die eigenen Reihen zusam­men­zu­hal­ten. Die Partei ist zerris­sen zwischen radika­len Trump-Gefolgs­leu­ten und Konser­va­ti­ven der alten Schule.

Trumps Präsi­dent­schafts­be­wer­bung für 2024 erwartet

Viel verrät diese Wahlnacht über Trump, seinen Einfluss auf die Marsch­rich­tung der Republi­ka­ni­schen Partei und über die Frage, wie sehr ihm das Land noch folgen möchte — auch wenn der Ex-Präsi­dent nicht selbst auf dem Wahlzet­tel stand. Der Republi­ka­ner unter­stütz­te im Wahlkampf reihen­wei­se Kandi­da­ten und dürfte darauf gehofft haben, sich selbst als Zugpferd seiner Partei zu insze­nie­ren. Als der unange­foch­te­ne starke Mann der Republi­ka­ner. Es wird erwar­tet, dass Trump in der kommen­den Woche seine Präsi­dent­schafts­be­wer­bung für 2024 verkün­den wird, nachdem er über Wochen wenig subtil immer neue Hinwei­se in diese Richtung gab («sehr, sehr, sehr wahrscheinlich»).

Doch die Wahlnacht zeigt, dass Trumps Einfluss als Königs­ma­cher für andere seine Grenzen hat. Ein paar beson­ders schil­lern­de und teils radika­le Kandi­da­ten, die er offen­siv unter­stütz­te, verlie­ren: der umstrit­te­ne TV-Arzt Mehmet Oz etwa, der sich in einem aufse­hen­er­re­gen­den Rennen gegen den Demokra­ten John Fetter­man um einen Senats­sitz in Pennsyl­va­nia bewarb. Oder der Gouver­neurs­kan­di­dat in Pennsyl­va­nia Doug Mastria­no — ein glühen­der Trump-Anhän­ger, der dessen Wahlbe­trugs­fan­ta­sien verbrei­te­te und der bei der Präsi­dent­schafts­wahl 2024 als Wahlleug­ner auf dem Posten hätte gefähr­lich werden können. Gouver­neu­re sind in den USA in die Bestä­ti­gung von Präsi­dent­schafts­er­geb­nis­sen eingebunden.

Auch Gegner Trumps unter den Siegern

Dagegen gewin­nen einige Gegner Trumps aus der eigenen Partei gegen Kandi­da­ten der Demokra­ten, etwa im Schlüs­sel­staat Georgia: der dorti­ge Gouver­neur, Brian Kemp, und der obers­te Wahlauf­se­her des Staates, Brad Raffen­sper­ger, setzen sich durch. Letzte­rer erlang­te natio­na­le Bekannt­heit, als Trump ihn nach der Präsi­dent­schafts­wahl 2020 in einem legen­dä­ren Telefo­nat bedräng­te, ein paar Tausend Stimmen aufzu­trei­ben, um das Ergeb­nis in dem Bundes­staat zu kippen («Ich möchte einfach 11 780 Stimmen finden.»). Raffen­sper­ger beugte sich dem Druck damals nicht.

Vor allem aber ein Wahler­geb­nis bei den Republi­ka­nern in dieser Nacht ist ein schlech­tes Zeichen für Trump: der klare Erfolg seines größten inner­par­tei­li­chen Rivalen Ron DeSan­tis bei der Gouver­neurs­wahl in Flori­da. DeSan­tis gilt als einer, der partei­in­tern gegen Trump für das Präsi­dent­schafts­ren­nen 2024 antre­ten könnte. Ein Hardli­ner mit Trump-Positio­nen, aber ohne den politi­schen und juris­ti­schen Ballast seines Partei­kol­le­gen. DeSan­tis steht Trump inhalt­lich in nichts nach, teilt aber nicht dessen Hang zu Skanda­len, Kontroll­ver­lust und Chaos. Das macht ihn nach Einschät­zung mancher Kriti­ker gefähr­li­cher als Trump.

Dass Trump ihn als echten Konkur­ren­ten sieht, zeigt sich darin, dass er sich kürzlich eigens einen spötti­schen Spitz­na­men für DeSan­tis ausdach­te: «Ron DeSanc­ti­mo­niu­os». «Sancti­mo­nious» heißt auf Deutsch schein­hei­lig. Und dass der Ex-Präsi­dent DeSan­tis nun mit unange­neh­men Enthül­lun­gen droht, falls dieser für 2024 antre­ten sollte («Wenn er antritt, könnte das für ihn sehr schmerz­haft ausge­hen»), deutet darauf hin, dass der Konkur­rent ihn richtig­ge­hend nervös macht.

Die Wahlbe­trugs-Vorwür­fe hallen bis heute nach

Die «Midterm»-Wahlen offen­ba­ren aber auch etwas anderes mit Blick auf Trump: nämlich welchen Schaden der Republi­ka­ner für die US-Demokra­tie angerich­tet hat mit der Weige­rung, seine Nieder­la­ge gegen Biden bei der Präsi­dent­schafts­wahl 2020 anzuer­ken­nen. Trump stell­te die bis dahin eiser­ne gesell­schaft­li­che Überein­kunft in Frage, dass am Ende einer Wahl — wie hart auch immer der Wahlkampf gewesen sein mag — beide Seiten das Ergeb­nis akzep­tie­ren, Gewin­ner wie Verlie­rer. Diese Gewiss­heit gibt es in der einst so stolzen US-Demokra­tie nicht mehr.

Bei den Republi­ka­nern gingen bei den «Midterms» Hunder­te Kandi­da­ten ins Rennen, die Trumps Erzäh­lung der «gestoh­le­nen Wahl» von 2020 teilen und Zweifel am Ablauf von Wahlen verbrei­ten. Mehr als 150 dieser Wahlleug­ner setzten sich bereits durch. Einige Rennen sind noch offen. Mehre­re dieser «election denier» machten vor der Wahl offen klar, dass sie das Wahler­geb­nis nicht in jedem Fall anerken­nen würden — will heißen: nicht dann, wenn sie verlie­ren. So etwas wäre vor Jahren noch undenk­bar gewesen in den USA. Trumpis­mus zieht also, auch wenn die Person Trump vielleicht an Zugkraft verlo­ren hat.

Der Ex-Präsi­dent hat einem erstaun­li­chen Anteil der Bevöl­ke­rung erfolg­reich einge­flüs­tert, dass sie dem Wahlsys­tem in den USA nicht trauen können. Laut einer Nachwahl­be­fra­gung bei den «Midterms» ist ein Drittel der Ameri­ka­ner der Meinung, dass Biden 2020 nicht recht­mä­ßig gewählt wurde. Ein Drittel der Bevöl­ke­rung zweifelt an den Grund­prin­zi­pi­en der Demokra­tie. Das muss Biden und die Demokra­ten nachhal­tig besor­gen — egal, wie die Wahl am Ende ausgeht.

Von Chris­tia­ne Jacke, dpa