BERLIN (dpa) — Nach 18 Jahren soll Hartz IV abgeschafft und durch ein «Bürger­geld» ersetzt werden. Nun kommen aus der Bundes­re­gie­rung erste Details dazu. Eine wesent­li­che Frage bleibt aber erstmal unbeantwortet.

Die Pläne der Ampel-Regie­rung für eine Ablösung von Hartz IV durch das sogenann­te Bürger­geld im kommen­den Jahr werden konkreter.

Bundes­so­zi­al­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) präsen­tier­te Einzel­hei­ten. Ein Gesetz­ent­wurf aus seinem Haus ist demnach fertig und wird nun inner­halb der Regie­rung abgestimmt. Heils Pläne sehen einen milde­ren Umgang des Staates mit Empfän­gern des Bürger­gel­des vor, als das bei Hartz IV der Fall war. Wie milde und wie viel Geld es für Bedürf­ti­ge geben soll, das ist in der Koali­ti­on aber längst nicht ausge­macht. Die FDP trat am Mittwoch auf die Bremse.

Karenz­zeit für Vermögen

Konkret sehen Heils Pläne Karenz­zei­ten für Menschen vor, die nach einem Jahr Arbeits­lo­sig­keit ins Bürger­geld (das heuti­ge Arbeits­lo­sen­geld II) rutschen. Vorhan­de­nes Vermö­gen soll demnach in den ersten beiden Jahren erst ab einer Grenze von 60 000 Euro angerech­net werden, für jede weite­re Person im Haushalt steigt die Grenze um 30.000 Euro. «Es soll so sein, dass die Menschen, die in das neue Bürger­geld kommen, (…) sich nicht die Sorge machen müssen, dass ihr kleines Erspar­tes oder Vermö­gen wegge­sä­belt wird», sagte Heil. Nach den zwei Jahren soll das Schon­ver­mö­gen bei 15.000 Euro liegen.

Wohnung erstmal behalten

Heil will nach eigenen Worten Betrof­fe­ne in einer existen­zi­el­len Situa­ti­on ein Stück «entstres­sen». Deshalb plant er für die ersten beiden Jahre im Bürger­geld-Bezug auch eine Anerken­nung der tatsäch­li­chen Kosten für die Wohnung, auch wenn diese größer und teurer ist und über dem als «angemes­sen» einge­stuf­ten Niveau liegt. Der Druck, sich schnell eine kleine­re Wohnung zu suchen, wäre damit weg. Geplant ist auch eine «Vertrau­ens­zeit» von sechs Monaten. In dieser Phase sollen keine Leistun­gen gekürzt werden, wenn sogenann­te Pflicht­ver­let­zun­gen vorlie­gen, also zum Beispiel Termi­ne nicht wahrge­nom­men werden.

Weniger Bürokra­tie, mehr Weiterbildung

Die Reform sieht auch bürokra­ti­sche Entlas­tun­gen der Jobcen­ter vor. Sie sollen sich nicht mehr mit Rückfor­de­rungs­be­schei­den herum­schla­gen müssen, wenn jemand zu viel Geld erhal­ten hat. Eine Bagatell­gren­ze von 50 Euro ist hier geplant. Ein starker Fokus liegt zudem auf der Weiter­bil­dung, weil überall Arbeits­kräf­te fehlen. Bürger­geld-Empfän­ger, die einen Berufs­ab­schluss nachho­len, sollen mehr Zeit dafür bekom­men und ein monat­li­ches «Weiter­bil­dungs­geld» in Höhe von 150 Euro. Geplant sind auch höhere Hinzu­ver­dienst­gren­zen für Schüler, Studie­ren­de und Azubis.

Die große Frage nach dem «Wie viel?»

Eine wesent­li­che Frage bleibt noch unbeant­wor­tet: Wie viel Bürger­geld soll es eigent­lich geben? Der Hartz-IV-Regel­satz für allein­ste­hen­de Erwach­se­ne liegt im Moment bei 449 Euro im Monat. Wie es beim Bürger­geld ausse­hen könnte, wird sich laut Heil im Septem­ber zeigen, wenn Daten zur Lohn- und Preis­ent­wick­lung vom Statis­ti­schen Bundes­amt vorlie­gen, anhand derer die Sätze jährlich fortge­schrie­ben werden.

Sozial­ver­bän­de fordern aber schon lange deutli­che­re Erhöhun­gen. Auch Heil ist für neue Berech­nungs­me­tho­den, so dass die Leistun­gen nicht mehr der Infla­ti­on hinter­her­hink­ten, wie er am Mittwoch sagte. Er bekräf­tig­te seine Wunsch­grö­ßen­ord­nung von rund 40 bis 50 Euro mehr im Monat.

Gegen­wind vom Koali­ti­ons­part­ner FDP

Hier wird es aber noch schwie­ri­ge Verhand­lun­gen mit der FDP geben. Er sei nicht dafür, die Regel­sät­ze über die Anpas­sung an die Infla­ti­on hinaus pauschal zu erhöhen, sagte Partei­chef und Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner am Mittwoch bei «ntv.de». «Statt­des­sen müssen wir die Zuver­dienst­mög­lich­kei­ten verbes­sern. Aus dem Bürger­geld darf kein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men werden.» Auch eine Debat­te über andere Berech­nungs­me­tho­den wird in der FDP abgelehnt. Statt­des­sen ist sie für Leistungs­kür­zun­gen, wenn Empfän­ger Arbeits- oder Weiter­bil­dungs­an­ge­bo­te nicht anneh­men oder Termi­ne versäumen.

SPD-Chefin Saskia Esken pocht trotz Wider­stands der FDP darauf, die Regel­sät­ze durch die neue Berech­nungs­me­tho­de zu erhöhen. «Wir dürfen die Menschen mit gerin­gen Einkom­men mit den anhal­ten­den Preis­stei­ge­run­gen nicht allei­ne lassen», sagte Esken dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). So wie der Mindest­lohn müssten auch die Regel­sät­ze in der Grund­si­che­rung «kräftig steigen».

«Ich bin mir sicher, dass auch unsere Koali­ti­ons­part­ner bereit sind, die Menschen in dieser schwie­ri­gen Lage zu unter­stüt­zen, so dass wir im Herbst gemein­sam zu einem guten Ergeb­nis kommen werden», sagte die SPD-Vorsitzende.

Grund­sätz­lich sind sich die Ampel-Partei­en aber einig: Nach 18 Jahren soll Hartz IV Geschich­te sein. Die Bezeich­nung geht zurück auf eine Kommis­si­on unter der Leitung des frühe­ren VW-Managers Peter Hartz. Sie erarbei­te­te wegen der damals sehr hohen Arbeits­lo­sen­zah­len für die Regie­rung von Bundes­kanz­ler Gerhard Schrö­der (SPD) Vorschlä­ge für Arbeits­markt- und Sozial­re­for­men. Die Folge war unter anderem mehr Druck auf arbeits­fä­hi­ge Erwerbslose.

Für die SPD ist die Reform bis heute eine Art Trauma. Es folgten Protes­te und später die Verei­ni­gung der weitge­hend im Osten veran­ker­ten PDS mit der Wahlal­ter­na­ti­ve Arbeit und Sozia­le Gerech­tig­keit (WASG) zur Links­par­tei. Die Sozial­de­mo­kra­ten hatten schon 2019 auf einem Partei­tag die Abkehr von Hartz IV beschlos­sen. In der großen Koali­ti­on war Heil als Arbeits­mi­nis­ter damit aber chancenlos.

Von Jörg Ratzsch, dpa