BERLIN (dpa) — Na endlich: Die vierte Corona-Welle scheint sich zumin­dest etwas abzuschwä­chen, die Inzidenz liegt deutlich unter 400. Doch Omikron könnte die Entwick­lung schon bald wieder umkehren.

Zehn Tage vor Heilig­abend stehen mit Blick auf Corona die Zeichen zumin­dest etwas auf Entspan­nung. Offen­bar stecken sich in Deutsch­land inzwi­schen wieder weniger Menschen mit dem Virus an.

Noch vor kurzem wurde vor allem mit überfor­der­ten Behör­den in Verbin­dung gebracht, dass die gemel­de­ten Werte nicht weiter stiegen. Nun sinken die Fallzah­len wohl tatsäch­lich. Auch die Zahl der Menschen, die ins Kranken­haus kommt, steigt nicht mehr. Doch zum Durch­at­men bleibt wohl kaum Zeit, warnen Experten.

Die Zahlen

Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) melde­te zuletzt einen deutli­chen Rückgang der Fallzah­len. Die 7‑Tage-Inzidenz — also die Zahl der Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner und Woche — sank von mehr als 450 Ende Novem­ber auf zuletzt unter 400. Das geht auf Rückgän­ge in den meisten, wenn auch nicht allen Bundes­län­dern zurück. Beson­ders deutlich war der Effekt in einigen schwer betrof­fe­nen Bundesländern.

Flaschen­hals Gesundheitsamt

Zunächst gab es Anhalts­punk­te, dass der Rückgang bei den offizi­ell gemel­de­ten Zahlen eher an überlas­te­ten Gesund­heits­äm­tern und Laboren lag als an einer tatsäch­li­chen Entspan­nung der Lage. Nun kommen die Ämter aber wieder etwas besser mit dem Übermit­teln von Corona-Nachwei­sen hinter­her, wie Ute Teichert, Vorstands­vor­sit­zen­de des Bundes­ver­bands der Ärztin­nen und Ärzte des Öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes (BVÖGD), sagt. In vielen Ämtern werde das Perso­nal nun nur noch dafür einge­setzt, einge­hen­de Meldun­gen zu bearbei­ten, dafür gebe es weniger Kontakt­nach­ver­fol­gung. Auch die Unter­stüt­zung durch Bundes­wehr­sol­da­ten habe geholfen.

So inter­pre­tie­ren Exper­ten die aktuel­len Zahlen

Der Epide­mio­lo­ge Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum für Infek­ti­ons­for­schung (HZI) in Braun­schweig geht von einer tatsäch­li­chen Entspan­nung der Lage aus. Sein Kolle­ge Hajo Zeeb vom Leibniz-Insti­tut für Präven­ti­ons­for­schung und Epide­mio­lo­gie in Bremen spricht von einer «erfreu­li­chen Entwick­lung, auch wenn Unsicher­hei­ten bestehen». Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach schrieb am Montag auf Twitter: «Die Lage stabi­li­siert sich langsam, und der Rückgang der Fallzah­len ist echt.»

Amtsärz­te-Verbands­che­fin Teichert drückt es vorsich­ti­ger aus: Es sei nach wie vor schwie­rig zu beurtei­len, ob es einen echten Rückgang bei den Neuin­fek­tio­nen gebe oder ob die Werte weiter­hin stark von einer Unter­er­fas­sung der nachge­wie­se­nen Infek­tio­nen geprägt seien. «Vermut­lich ist beides der Fall.» Das RKI wollte sich auf dpa-Anfra­ge nicht äußern und verwies auf seinen nächs­ten Wochen­be­richt, der am Donners­tag­abend erscheint.

Die Gründe für den Rückgang

«Das liegt haupt­säch­lich an Fortschrit­ten beim Impfen und an 2G», sagt HZI-Forscher Krause. 2G-Regeln seien einer­seits ein Anreiz für Ungeimpf­te, sich immuni­sie­ren zu lassen. Anderer­seits kämen durch diese Regel nicht-immuni­sier­te Menschen selte­ner mit dem Virus in Kontakt. Mittler­wei­le sind in Deutsch­land Ungeimpf­te aufgrund von 2G-Regeln von vielen Berei­chen ausgeschlossen.

Zudem wurden zum Teil Weihnachts­märk­te verbo­ten, Kneipen und Clubs geschlos­sen. Im schwer getrof­fe­nen Sachsen gelten rigide Kontakt­be­schrän­kun­gen für Ungeimpf­te. Zeeb weist noch auf einen anderen Punkt hin. Es sei in der Vergan­gen­heit öfter zu sehen gewesen, dass schon vorab Menschen ihr Verhal­ten wieder vorsich­ti­ger gestal­tet haben. «Das könnte nun auch zu dieser Entwick­lung noch vor Weihnach­ten beitragen.»

Auch weniger schwe­re Verläufe

Nicht nur die Zahl der nachge­wie­se­nen Infek­tio­nen sinkt. Auch die bundes­wei­te Zahl erwach­se­ner Corona-Patien­ten auf Inten­siv­sta­ti­on hat sich in den vergan­ge­nen Tagen bei knapp 5000 stabi­li­siert. Noch ist es aber laut Inten­siv­me­di­zi­ner­ver­ei­ni­gung DIVI zu früh, um diese Entwick­lung zu beurtei­len. «Dazu können wir jetzt und aktuell noch keiner­lei valide Aussa­gen treffen», teilte eine Spreche­rin auf Anfra­ge mit. Auch die allge­mei­ne Zahl an Klinik­ein­wei­sun­gen von Corona-Infizier­ten stieg laut RKI-Zahlen zuletzt nicht weiter.

Omikron-Alarm

Die erfreu­li­che Entwick­lung könnte ohnehin von kurzer Dauer sein. Die neue Corona-Varian­te Omikron habe bislang noch nicht nennens­wert in Deutsch­land Fuß gefasst, sagt HZI-Forscher Krause. Er geht aber mit Blick auf andere Ländern davon aus, dass sich das bald ändert. «Ich befürch­te, dass Omikron in spätes­tens zwei bis drei Wochen wieder zu einem Anstieg bei den Infek­ti­ons­zah­len führt, vermut­lich auch bei den Klinikeinweisungen.»

Exper­te Zeeb schlägt in eine ähnli­che Kerbe: «Es bleibt abzuwar­ten, wie sich Omikron auswirkt.» Noch seien die absolu­ten bekann­ten Fallzah­len sehr klein. «Das kann sich aber schnell ändern.» Omikron hat den bisher vorlie­gen­den Daten nach eine deutlich höhere Übertra­gungs­ra­te als die zuvor dominie­ren­de Delta-Varian­te — wahrschein­lich, weil sie stärker auch Genese­ne und Geimpf­te infiziert. Zur Schwe­re der Erkran­kun­gen durch Omikron gibt es laut RKI noch keine gesicher­ten Erkenntnisse.

Worauf es nun ankommt

Um Deutsch­land gegen Omikron zu wappnen, sollten sich so viele Menschen wie möglich impfen und boostern lassen, sagt Krause. «Eine hohe Immuni­tät senkt einer­seits das Risiko, sich anzuste­cken und schwer zu erkran­ken, anderer­seits aber auch die Wahrschein­lich­keit, das Virus weiterzugeben.»

Zudem plädiert Krause dafür, die aktuell gelten­den Maßnah­men umfas­sen­der umzuset­zen, statt diese in zu kurzfris­ti­gen Inter­val­len anzupas­sen oder zu hinter­fra­gen. «Das ist wichtig für die Akzep­tanz.» Die sich aktuell abzeich­nen­de Entspan­nung sollte nicht zur vorei­li­gen Aufhe­bung von Maßnah­men verlei­ten. «Es sollten jetzt rigoros und lücken­los die 2G-Regeln länger­fris­tig durch­ge­setzt werden, bis dass wir erken­nen können, welche Anpas­sun­gen durch Omikron nötig werden», sagt Krause. Epide­mio­lo­ge Zeeb betont, dass die bewähr­ten Maßnah­men — «Boostern, Kontakt­re­du­zie­rung, Masken etc.» — auch gegen Omikron das Richti­ge seien.

Von Valen­tin Frimmer, dpa