Die Blocka­de auf einer der wichtigs­ten Handels­rou­ten der Welt ist nach fast einer Woche aufge­löst. Es dürfte aber noch Tage dauern, bis alle warten­den Schif­fe wieder durch den Suezka­nal fahren können.

KAIRO (dpa) — Nach tagelan­ger Blocka­de durch ein riesi­ges Contai­ner­schiff ist der Suezka­nal wieder frei. Die «Ever Given» wurde am Montag­nach­mit­tag wieder vollstän­dig flott­ge­macht, wie das Bergungs­un­ter­neh­men Boska­lis am Montag mitteilte.

Die nieder­län­di­sche Firma hatte Ägypten bei der Freile­gung unter­stützt. Helfer bagger­ten dafür rund 30.000 Kubik­me­ter Sand weg. Bis sich der Verkehr auf der wichti­gen Handels­rou­te norma­li­siert, dürften aber noch Tage vergehen.

Auch der Schiff­fahrts­dienst­leis­ter Leth Agenci­es berich­te­te von der erfolg­rei­chen Bergung des riesi­gen Frach­ters, der sich nach einem Sandsturm auf der Seestra­ße querge­stellt hatte. Das 400 Meter lange Schiff beweg­te sich nach der Bergung erstmals wieder aus eigener Kraft auf dem Kanal, wie ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur beobach­te­te. Sirenen beglei­te­ten die Fahrt.

Obwohl das Schiff wieder frei ist, könnte es nach Einschät­zung von Reede­rei­en Tage dauern, bis sich der Verkehr auf beiden Seiten des Kanal norma­li­siert. Der Kanal­be­hör­de zufol­ge warte­ten zuletzt rund 370 Schif­fe auf Durch­fahrt. Der Finanz­nach­rich­ten­dienst Bloom­berg berich­te­te sogar von 450 Schif­fen im Stau. Mehre­re Reede­rei­en hatten bereits begon­nen, ihre Schif­fe über das Kap der Guten Hoffnung in Afrika zu schicken, was einen Umweg von Tausen­den Kilome­tern bedeutet.

Wann die «Ever Given» ihre Fahrt in nördli­cher Richtung auf dem Weg nach Rotter­dam im Kanal fortset­zen kann, war zunächst unklar. Der Kanal­be­hör­de zufol­ge soll das Schiff zunächst am Großen Bitter­see, einer breiten Stelle auf dem Weg nach Norden, unter­sucht werden. Zudem soll die Ursache für den Unfall geklärt werden. Der Frach­ter, der etwa die Größe des Empire State Buildings in New York hat, war am Diens­tag auf Grund gelau­fen. Bagger und Schlep­per hatten seitdem versucht, ihn freizulegen.

Das Flott­ma­chen der «Ever Given» sorgt in der deutschen Wirtschaft für Aufat­men. «Ohne die zeiti­ge Freile­gung wären die Proble­me im Seever­kehr zwischen Europa und Asien mit jedem weite­ren Tag exponen­ti­ell gewach­sen», erklär­te der Bundes­ver­band der Deutschen Indus­trie. Er erwar­tet, dass sich der Stau nun in die Häfen verla­gert, womit zusätz­li­cher Druck auf die bereits strapa­zier­ten Liefer­ket­ten ausge­übt wird. «Es kann nicht mit einer Entspan­nung der mariti­men Liefer­ket­ten vor dem dritten Quartal gerech­net werden», sagte der stell­ver­tre­ten­de BDI-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Holger Lösch.

Von der Blocka­de waren in Deutsch­land beson­ders die Chemie- und Autoin­dus­trie sowie der maschi­nen- und Anlagen­bau betrof­fen. Die Branchen bekom­men Teile für ihre Produk­ti­on aus Asien, die über den Suezka­nal trans­por­tiert werden, wie es vom Deutschen Indus­trie- und Handels­kam­mer­tag hieß.

«Schon die Corona-Krise hat für Verwer­fun­gen im mariti­men Handel gesorgt und die Preise für den Contai­ner-Trans­port explo­die­ren lassen», sagte Vincent Stamer, Exper­te für den mariti­men Handel beim Insti­tut für Weltwirt­schaft (IfW). Die Havarie und ihre Nachwir­kun­gen seien hinzugekommen.

Die deutsche Chemie- und Pharma­in­dus­trie warnte vor langen Folgen. Die Norma­li­sie­rung des Verkehrs von und nach Asien werde nur langsam voran­ge­hen. «Die Liefer­ket­ten waren schon vor dem Ereig­nis unter Druck und werden es auch noch mehre­re Wochen bleiben, auch weil der bestehen­de Engpass an Contai­nern sich durch den Rückstau vor dem Kanal zunächst vergrö­ßert», sagte Henrik Meincke, Chefvolks­wirt des Branchen­ver­bands VCI, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Suezka­nal hat für die deutsche Wirtschaft eine große Bedeu­tung. So kommen rund 16 Prozent der Chemie­im­por­te aus Asien per Schiff durch den Suezka­nal. Zugleich gehen 18 Prozent der Chemie­ex­por­te durch die Wasser­stra­ße nach Asien. Darun­ter sind laut VCI Chemie­pro­duk­te wie Indus­trie­ga­se, Dünge­mit­tel, Farben, Kunst­stof­fe, Chemie­fa­sern, Pflan­zen­schutz­mit­tel oder Klebstoffe.

Die Ölprei­se sanken unter­des­sen unter anderem wegen der Fortschrit­te im Kanal. Der Suezka­nal ist auch eine wichti­ge Route für den Trans­port von Erdöl.

Der Verband Deutscher Reeder forder­te unter­des­sen eine rasche und gründ­li­che Aufklä­rung der Havarie. «Der Zwischen­fall am Suezka­nal hat schlag­licht­ar­tig klar gemacht, welch elemen­ta­re Bedeu­tung der Schiff­fahrt als Treiber des Welthan­dels zukommt», sagte das geschäfts­füh­ren­de Präsi­di­ums­mit­glied Ralf Nagel. Er würde sich freuen, wenn den Seeleu­ten an Bord der Schif­fe diesel­be Sorge wie den Waren zuteil würde. «Auch ein Jahr nach Ausbruch der Pande­mie haben weltweit immer noch 200.000 Seeleu­te große Proble­me, an oder von Bord ihres Schif­fes zu kommen, weil sie in Häfen nicht ausstei­gen dürfen, es keine Flüge in die Heimat gibt oder ihre Länder sie nicht einrei­sen lassen.»

Bereits nach der teilwei­sen Freile­gung der «Ever Given» am Montag­mor­gen kursier­ten im Inter­net Videos von erleich­ter­ten Crewmit­glie­dern anderer Schif­fe im Kanal. «Das Boot schwimmt», sagte ein Mann an Bord eines Schiffs und streck­te seinen Daumen nach oben. Auf einem der Videos ist immer wieder der Ausspruch «Alham­dul­il­lah» (Gott sei Dank) zu hören.

Der Suezka­nal verbin­det das Mittel­meer mit dem Roten Meer und bietet damit den kürzes­ten Weg zwischen Asien und Europa. 2020 durch­fuh­ren nach Angaben der Kanal­be­hör­de fast 19.000 Schif­fe die Wasser­stra­ße. Die Blocka­de führte zunächst zu tägli­chen Einnah­me­ver­lus­ten von rund 13 bis 14 Millio­nen Dollar.