Zum Jahres­en­de verlässt Großbri­tan­ni­en nach dem EU-Austritt auch den Binnen­markt und die Zolluni­on. Schaf­fen es London und Brüssel, mit einem Handels­pakt Chaos abzuwen­den? Die Hoffnung schwin­det — aber noch ist es nicht vorbei.

An diesem Montag wird die EU-Kommis­si­on Großbri­tan­ni­en abermals drängen, das gülti­ge Austritts­ab­kom­men einzu­hal­ten. Am Diens­tag dann beginnt die vorerst letzte Verhand­lungs­run­de über den Folge­ver­trag, der die Handels­be­zie­hun­gen künftig regeln soll. Die wichtigs­ten Infor­ma­tio­nen zum Stand der Dinge:

Warum wird über den Austritts­ver­trag gestritten?

Die briti­sche Regie­rung will mit ihrem sogenann­ten Binnen­markt­ge­setz einige Klauseln des Austritts­ver­trags kassie­ren, der vor dem Brexit Ende Januar in Kraft gesetzt wurde. Dabei geht es um Sonder­re­geln für Nordir­land, die eine feste Grenze zum EU-Staat Irland verhin­dern sollen: Die briti­sche Provinz bleibt enger an die EU-Zolluni­on und den EU-Binnen­markt gebun­den als der Rest des Landes. Das würde das Verei­nig­te König­reich spalten, beklagt Premier­mi­nis­ter Boris Johnson. Die EU kontert, Johnson habe den Vertrag persön­lich ausge­han­delt und vom Parla­ment ratifi­zie­ren lassen. Die Klauseln seien nötig, um den Frieden auf der irischen Insel zu wahren.

Was bedeu­tet der Streit für die künfti­gen Beziehungen?

Für Anfang 2021 ist ein Handels­ver­trag geplant. Dann endet die Brexit-Übergangs­pha­se, und Großbri­tan­ni­en schei­det auch aus der Zolluni­on und dem Binnen­markt aus. Doch die EU sagt: Warum einen neuen Vertrag schlie­ßen mit einem Partner, der den alten nicht einhält? Sie hat London ultima­tiv aufge­for­dert, die Pläne zum Verstoß gegen das Austritts­ab­kom­men bis Mittwoch zurück­zu­neh­men. An diesem Montag geht es darum im sogenann­ten Gemein­sa­men Ausschuss, einem Schlich­tungs­gre­mi­um. London hält bisher an seinen Plänen fest. Bleibt es dabei, werde es kein Anschluss­ab­kom­men geben, sagen EU-Diplomaten.

Was sind die Knackpunkte?

Die EU bietet ihrem Ex-Mitglied eine sehr enge Handels­part­ner­schaft: einen unbegrenz­ten Waren­ver­kehr ohne Zölle. Doch fordert sie dafür gleiche Umwelt‑, Sozial- und Subven­ti­ons­re­geln. Kurz: gleiche Wettbe­werbs­be­din­gun­gen unter dem Stich­wort «Level Playing Field». Großbri­tan­ni­en will sich aber bei seinen künfti­gen Standards von der EU nicht reinre­den lassen — Brexit-Haupt­ziel sei ja die Selbst­be­stim­mung. Zudem sieht sich London am länge­ren Hebel beim zweiten Knack­punkt: dem Zugang für EU-Fischer zu den reichen briti­schen Fisch­grün­den. Acht Verhand­lungs­run­den brach­ten keine greif­ba­ren Ergeb­nis­se, aber hörba­ren Frust bei EU-Unter­händ­ler Michel Barnier. Bis Freitag läuft Runde neun. Johnson hat den 15. Oktober als Frist gesetzt.

Wie stehen die Chancen, dass es doch noch klappt?

Der Brexit-Exper­te des European Policy Centre in Brüssel, Fabian Zuleeg, sieht schwarz. «Wir steuern klar auf einen No-Deal zu», sagte er vergan­ge­ne Woche. Ähnlich äußer­te sich Elvire Fabry vom Jacques Delors Insti­tu­te: «Das Binnen­markt­ge­setz war natür­lich ein Schock für alle.» Sie sei jetzt noch pessi­mis­ti­scher. Es gibt aber auch andere Stimmen. Von «konstruk­ti­ven Diskus­sio­nen» sprach ein briti­scher Regie­rungs­spre­cher vorige Woche nach Treffen von EU-Unter­händ­ler Barnier mit seinem briti­schen Kolle­gen David Frost. «Beide Seiten sehen einen breiten Handels­pakt immer noch als reale Möglich­keit», orakel­te die Nachrich­ten­agen­tur Bloom­berg. Der briti­sche Brexit-Exper­te Anand Menon von der Denkfa­brik UK in a Changing Europe kriti­siert Johnsons Politik zwar als planlos, meint aber: «Ich glaube, der Premier­mi­nis­ter will lieber einen Deal als keinen Deal.»

Was passiert ohne Vertrag?

Ein wirtschaft­li­cher Bruch ohne Abkom­men bedeu­tet vor allem, dass beide Seiten Zölle erheben müssten. Das würde Waren teurer machen und die Abwick­lung an der Grenze zäh und zeitauf­wen­dig. Dutzen­de Rechts­fra­gen wären nicht geregelt, von der Lizenz für Lokfüh­rer bis zu Reise­do­ku­men­ten für Haustie­re. Der Verband Business Europe warnt vor «verhee­ren­den Folgen für Unter­neh­men». Forscher des Londo­ner King’s College schät­zen, dass ein Brexit ohne Abkom­men die briti­sche Wirtschaft dreimal so hart treffen könnte wie die Covid-19-Krise. Auch der briti­sche Staats­mi­nis­ter Micha­el Gove melde­te sich mit einem «Worst-Case»-Szenario: Im Januar könnte es Staus mit 7000 Lastwa­gen an der Grenze zu Frank­reich geben. Das gelte aber auch mit Vertrag, denn stärker kontrol­liert werden soll auch ohne Zölle.