BERLIN (dpa) — Neun Männer und acht Frauen sollen die erste Bundes­re­gie­rung von SPD, Grünen und FDP bilden. Am Mittwoch soll sie verei­digt werden — wenn nichts mehr schief geht.

Bei der FDP ging es geräusch­los, bei den Grünen gab es Ärger und die SPD nahm sich ziemlich viel Zeit. Aber jetzt haben alle drei Ampel-Partei­en ihr Perso­nal für die neue Bundes­re­gie­rung beisammen.

Das neue Kabinett, an dessen Spitze Olaf Scholz als Kanzler stehen soll, weist einige Beson­der­hei­ten auf.

Die Eckpunk­te im Überblick:

- Die neue Regie­rung ist größer als bisher. Durch das neu geschaf­fe­ne Baumi­nis­te­ri­um wächst sie von 16 auf 17 Mitglie­der. Davon sind nur vier bereits jetzt in der Regie­rung. Und nur einer von diesen Vieren bleibt auf seinem Posten.

- Das Durch­schnitts­al­ter des Kanzlers und seiner 16 Ressort­chefs liegt bei 50,4 Jahren. Damit ist die neue Regie­rung jünger als jede der vier Regie­run­gen unter Kanzle­rin Angela Merkel bei ihrem Amtsan­tritt. Ihre letzte Regie­rung war 2018 im Durch­schnitt 51,2 Jahre alt. Die jüngs­ten Minis­te­rin­nen sind Annale­na Baerbock und Anne Spiegel von den Grünen mit 40, der Senior im Kabinett ist der Chef Scholz selbst mit 63.

- Der Frauen­an­teil ist zwar so hoch wie noch nie zu Beginn einer Wahlpe­ri­ode. Trotz­dem hat Scholz es nicht geschafft, eine Regie­rung mit mindes­tens genau­so vielen Frauen wie Männer zu bilden. Unter den 17 Kabinetts­mit­glie­dern sind neun Männer und acht Frauen. «Ein von mir als Bundes­kanz­ler geführ­tes Kabinett ist mindes­tens zur Hälfte mit Frauen besetzt», hatte Scholz schon lange vor der Bundes­tags­wahl verspro­chen. Um auf die Parität zu kommen, zählt er sich nun selbst nicht mit. «Die Parität ist mir wichtig, deswe­gen werden von 16 Minis­te­rin­nen und Minis­tern acht Männer und acht Frauen sein», sagte er bei der Vorstel­lung des SPD-Minis­ter­teams. «Und selbst­ver­ständ­lich wird es dann noch einen Bundes­kanz­ler geben, der für alle gemein­sam zustän­dig ist.»

- Unter­re­prä­sen­tiert sind in der neuen Regie­rung auch die gebür­ti­gen Ostdeut­schen. Von den 17 Kabinetts­mit­glie­dern sind nur zwei in Ostdeutsch­land aufge­wach­sen: Steffi Lemke und Klara Geywitz. Es gibt aber auch noch zugezo­ge­ne Ostdeut­sche wie Scholz und die als Außen­mi­nis­te­rin nominier­te Annale­na Baerbock, die beide in Potsdam leben und dort ihren Wahlkreis haben.

- Mit Cem Özdemir soll es erstmals einen Minis­ter mit türki­schen Wurzeln geben.

Das Perso­nal

- Bundes­kanz­ler: Olaf Scholz (63, SPD)

Der bishe­ri­ge Finanz­mi­nis­ter und Vizekanz­ler Olaf Scholz wird beför­dert. Am Mittwoch soll er im Bundes­tag zum neunten Kanzler der Bundes­re­pu­blik gewählt werden — und zum vierten aus der SPD nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.

- Kanzler­amts­chef: Wolfgang Schmidt (51, SPD)

Dieser Posten wird in einer Ampel­ko­ali­ti­on noch wichti­ger sein als bisher. Denn der Kanzler­amts­chef koordi­niert die Regie­rungs­ar­beit und das dürfte bei drei Partnern kompli­zier­ter werden. Scholz bringt für die schwie­ri­ge Aufga­be mit Schmidt seinen vielleicht engsten Vertrau­ten aus dem Finanz­mi­nis­te­ri­um mit ins Kanzler­amt. Schmidt war dort Staatssekretär.

- Wirtschaft und Klima­schutz: Robert Habeck (52, Grüne)

Für die Grünen ist es das zentra­le Minis­te­ri­um, in dem nun die Fäden im Kampf gegen den Klima­wan­del zusam­men­lau­fen sollen. Habeck wird es als Vizekanz­ler leiten. Er kann auf Erfah­run­gen unter anderem aus sechs Jahren als Minis­ter für Energie­wen­de, Umwelt, Landwirt­schaft und Digita­li­sie­rung in Schles­wig-Holstein zurückgreifen.

- Finan­zen: Chris­ti­an Lindner (42, FDP)

Das Finanz­mi­nis­te­ri­um ist die vielleicht wichtigs­te Trophäe der FDP aus den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen. Auch Habeck hätte es gerne gehabt, die Libera­len setzten sich aber durch. Minis­ter wird mit Lindner der Partei­chef, aber ohne den Status des Vizekanz­lers. Das Grund­ge­setz sieht diesen Posten nur einmal vor. Er geht an die Grünen, weil sie bei der Wahl besser abschnitten.

- Auswär­ti­ges Amt:Annalena Baerbock (40, Grüne)

Sie wollte Angela Merkel als Kanzle­rin ablösen und wird nun statt­des­sen als erste Frau das Auswär­ti­ge Amt leiten. Dabei könnte es zum einen oder anderen Konflikt mit Kanzler Scholz kommen. Gegen­über China und Russland will Baerbock zum Beispiel einen härte­ren Kurs fahren und würde die Gas-Pipeline Nord Stream 2 am liebs­ten stoppen.

- Verkehr und Digita­les: Volker Wissing (51, FDP)

Das Verkehrs­mi­nis­te­ri­um hatten viele eher bei den Grünen gesehen. Nun soll es der FDP-General­se­kre­tär leiten. Für viele Grüne ist das schwer verkraft­bar, nachdem schon in den Sondie­run­gen das Tempo­li­mit auf Autobah­nen an der FDP geschei­tert war. Wissing soll zudem die Großbau­stel­le Digita­li­sie­rung angehen. Dazu gehören der Ausbau der Infra­struk­tur und die Frage, wie staat­li­che Daten für neue Anwen­dun­gen verfüg­bar gemacht werden sollten.

- Justiz: Marco Busch­mann (44, FDP)

Dieses Ressort übernimmt der Erste Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der FDP-Frakti­on im Bundes­tag. Er hat Rechts­wis­sen­schaf­ten in Bonn studiert und arbei­te­te bis 2009 als Anwalt in Düssel­dorf. Der gebür­ti­ge Gelsen­kir­che­ner war lange Zeit ein unermüd­li­cher Kriti­ker von Corona-Maßnah­men, die am Bundes­tag vorbei verfügt wurden.

- Bildung und Forschung: Betti­na Stark-Watzin­ger (53, FDP)

Die bishe­ri­ge Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­re­rin ist die einzi­ge Frau in der FDP-Minis­ter­rie­ge und bundes­weit das wohl am wenigs­ten bekann­te Gesicht. In Mai wurde sie mit 91 Prozent als Beisit­ze­rin in das FDP-Präsi­di­um gewählt — mit nur knapp weniger Zustim­mung als Partei­chef Lindner.

- Familie, Senio­ren, Frauen und Jugend: Anne Spiegel (40, Grüne)

Zusam­men mit Baerbock ist sie die jüngs­te Minis­te­rin. Beide werden am 15. Dezem­ber 41. Spiegel hat Erfah­rung sowohl mit Ampel-Regie­run­gen als auch mit ihrem Zustän­dig­keits­be­reich. Sie war schon in Rhein­land-Pfalz fünf Jahre lang Famili­en­mi­nis­te­rin, seit diesem Jahr dann Minis­te­rin für Klima­schutz, Umwelt, Energie und Mobili­tät. Die langjäh­ri­ge Vegeta­rie­rin pflegt nach eigenen Angaben seit ihrer Kindheit eine Faszi­na­ti­on für Pinguine.

- Umwelt, Natur­schutz, nuklea­re Sicher­heit und Verbrau­cher­schutz: Steffi Lemke (53, Grüne)

Sie hat als Bundes­ge­schäfts­füh­re­rin elf Jahre lang die Geschi­cke der Grünen gelenkt — schnör­kel­los, unkom­pli­ziert und gerade heraus. Die Ostdeut­sche aus Sachsen-Anhalt trat nach der verlo­re­nen Wahl 2015 mit dem gesam­ten Bundes­vor­stand zurück und kehrte in den Bundes­tag zurück. Dort widme­te sie sich vor allem dem Umwelt- und Natur­schutz, einer ihrer Schwer­punk­te war der Kampf gegen die Zerstö­rung des Lebens­raums Meer.

- Ernäh­rung und Landwirt­schaft: Cem Özdemir (55, Grüne)

Der frühe­re Grünen-Chef ist der erste Bundes­mi­nis­ter mit türki­schen Wurzeln. Der Posten fiel ihm erst nach langem Geran­gel zu. Der linke Flügel der Grünen hätte sich auch Frakti­ons­chef Anton Hofrei­ter auf dem Posten vorstel­len können. Özdemir war bis 2018 Bundes­vor­sit­zen­der und bei der Bundes­tags­wahl 2017 mit Katrin Göring-Eckardt grüner Spitzen­kan­di­dat. Bei der Wahl 2021 wurde er mit 40 Prozent in seinem Stutt­gar­ter Wahlkreis grüner Erststimmenkönig.

- Arbeit und Sozia­les: Huber­tus Heil (49, SPD)

Das Arbeits­mi­nis­te­ri­um ist das einzi­ge, das keinen neuen Chef bekommt. Huber­tus Heil bleibt dort im Sattel. Er galt bereits in der vergan­ge­nen Wahlpe­ri­ode als durch­set­zungs­stark und fleißig — und zwar bei Themen wie Rente, Arbeits­markt und Hartz IV, die für seine SPD beson­ders wichtig sind.

- Innen und Heimat: Nancy Faeser (51, SPD)

Die Juris­tin soll die erste Frau an der Spitze des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums werden. Derzeit ist sie Frakti­ons- und Landes­vor­sit­zen­de der hessi­schen SPD. Sie kündig­te bei ihrer Vorstel­lung an, einen Schwer­punkt auf die Bekämp­fung des Rechts­extre­mis­mus legen zu wollen. Dies sei derzeit die größte Bedro­hung der Demokra­tie in Deutschland.

- Vertei­di­gung: Chris­ti­ne Lambrecht (56, SPD)

Früher war das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um eine Männer­do­mä­ne, seit 2013 ist es aber in Frauen­hand. Lambrecht ist die dritte Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin in Folge nach Ursula von Leyen und Annegret Kramp-Karren­bau­er (beide CDU). Regie­rungs­er­fah­rung hat sie in den vergan­ge­nen zwei Jahren im Justiz­mi­nis­te­ri­um gesammelt.

- Gesund­heit: Karl Lauter­bach (58, SPD)

Diese Perso­na­lie ist mit großer Spannung erwar­tet worden. In den vergan­ge­nen zwei Jahren kommen­tier­te der Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te und Epide­mio­lo­ge als einer der häufigs­ten Talk-Show-Gäste der Republik die Corona-Politik der Bundes­re­gie­rung von der Seiten­li­nie. Jetzt kann er selbst die Entschei­dun­gen treffen. Lauter­bach hat viele Sympa­thien auf seiner Seite, bei Scholz gilt er aber nicht als beson­ders beliebt.

- Bauen: Klara Geywitz (45, SPD)

Die Potsda­me­rin wurde bundes­weit bekannt, als sie 2019 im Duo mit Scholz für den SPD-Vorsitz kandi­dier­te. Die beiden verlo­ren, doch seitdem zählt die ausge­wie­se­ne Strate­gin als Partei­vi­ze zu den wichti­gen Köpfen der Bundes-SPD. Sie gilt als Kenne­rin der ostdeut­schen Länder — will im Kabinett aber sicher mehr als die Quoten­frau aus dem Osten sein. Geywitz gilt als schonungs­los ehrlich, aber auch konflikt­fä­hig. Offene Emotio­nen sind nicht ihr Ding.

- Wirtschaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Entwick­lung: Svenja Schul­ze (53, SPD)

Die Rhein­län­de­rin war seit März 2018 Umwelt­mi­nis­te­rin und wäre auch gerne in diesem Amt geblie­ben. Nun soll sie statt­des­sen die weltwei­te Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit stärken. Ihre bishe­ri­ge Tätig­keit dürfte ihr dabei zugute­kom­men: Bei den globa­len und oftmals sehr zähen Klima­ver­hand­lun­gen saß Schul­ze in den vergan­ge­nen Jahren mehrmals mit am Tisch und bewies dabei einen langen Atem.

Von Micha­el Fischer, There­sa Münch, Carsten Hoffmann, Marti­na Herzog, Fatima Abbas, dpa