Chris­ti­ne Helbig wird als einer der ersten Menschen im Südwes­ten gegen das Corona­vi­rus geimpft. Die 30-Jähri­ge freut sich über den Piks. Denn sie erlebt jeden Tag, wie tödlich die Pande­mie sein kann.

Plötz­lich ist der Moment da, auf den alle so lange gewar­tet haben. Und deshalb wird es auch ganz still. Alle Kameras richten sich auf Chris­ti­ne Helbig. Die Pflege­rin sitzt in grüner Schwes­tern­kluft in der Stutt­gar­ter Lieder­hal­le in Impfka­bi­ne 7 auf einem Hocker. Helbig wartet auf den Piks, der Millio­nen Menschen im Land nun bevor­steht. Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) beobach­tet das Gesche­hen ohne Regung. Als die Sprit­ze sich in Helbigs Oberarm bohrt, blickt die 30-Jähri­ge nur ganz kurz nach unten — kein Zucken, kein Murren, kein Wegdre­hen. Danach noch ein Tupfer und fertig. «Klein, aber fein», kommen­tiert sie die Sprit­ze. Kretsch­mann spendet spontan Beifall. Und Gesund­heits­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) ist ganz außer sich. «Das ist ja wie Weihnach­ten», ruft er.

Knapp ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pande­mie in Deutsch­land hat das Impfen gegen das gefähr­li­che Virus auch im Südwes­ten begon­nen. Am Sonntag wurden landes­weit Menschen über 80 sowie Pflege­kräf­te und beson­ders gefähr­de­tes Kranken­haus­per­so­nal geimpft. Die Impfzen­tren nahmen ihren Betrieb auf, mobile Teams fuhren zudem Pflege- und Senio­ren­hei­me ab. Kretsch­mann sprach beim offizi­el­len Auftakt in der Stutt­gar­ter Lieder­hal­le vom «Beginn vom Ende der Pandemie».

In der Lieder­hal­le hat die Pflege­rin Helbig am Sonntag die erste Sprit­ze bekom­men — im Beisein von Dutzen­den Vertre­tern aus Politik, Medien und Medizin. Dabei steht die junge Frau gar nicht gern im Mittel­punkt. «Ich bin nicht gewohnt vor Kameras zu stehen», sagt sie. Aber sie sei eben gefragt worden. «Eine muss ja die Erste sein.» Dass sie gerade dieje­ni­ge ist, die im Rampen­licht gespritzt wird, hat dennoch viel Symbol­kraft. Seit Monaten kämpft sie an vorders­ter Front gegen das Virus. Chris­ti­ne Helbig arbei­tet im Klini­kum Stutt­gart auf einer Isola­ti­ons­sta­ti­on mit Covid-19-Patienten.

Direkt von der Frühschicht kommt sie am Sonntag­mit­tag in die Lieder­hal­le. Wegen ihres Jobs gehört sie zu den Menschen, die mit höchs­ter Priori­tät geimpft werden dürfen. Sie habe sich auf die Sprit­ze gefreut, sagt sie. Denn sie muss jeden Tag aus nächs­ter Nähe mit ansehen, wie tödlich das Virus sein kann. «Ich möchte kein Corona bekom­men, weil ich die Patien­ten sehe.» Corona sei unbere­chen­bar, oft nehme eine Erkran­kung ganz schnell und unerwar­tet einen schwe­ren Verlauf. Der Tod gehöre zum Alltag, sagt Helbig. Täglich telefo­nie­re sie mit den Famili­en der Erkrank­ten. «Es ist traurig, wenn an Weihnach­ten Angehö­ri­ge die Sachen der Verstor­be­nen abholen müssen.»

Helbig hofft, dass der Impfstoff die Pande­mie in den Griff bekommt. Sie kommt ursprüng­lich aus Sachsen-Anhalt, seit 2010 arbei­tet sie am Klini­kum Stutt­gart. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen, Holger Helbig, 32. Die beiden sind frisch vermählt. Erst vor wenigen Wochen haben sie gehei­ra­tet — coronabe­dingt nur mit den Eltern im Standes­amt. Auch Holger Helbig hat sich am Sonntag in der Lieder­hal­le gleich impfen lassen.

Für Regie­rungs­chef Kretsch­mann ist der Sonntag ein Tag der Hoffnung und Freude. Der Impfstoff sei der Schlüs­sel für die Rückkehr zum gewohn­ten Leben, sagt er. Er lässt sich vom Leiter des Impfzen­trums, Markus Rose, durch das neue Impfzen­trum in der Lieder­hal­le führen und zeigt sich begeis­tert von der Organi­sa­ti­on. «Jetzt betre­ten wir das Aller­hei­ligs­te — das schöns­te Impfzen­trum Deutsch­lands», sagt Rose stolz, als er mit dem Minis­ter­prä­si­den­ten den Hegel-Saal betritt. In dem sieben­ecki­gen Raum finden sonst Konzer­te statt. Nun wurde dort ein Impfzen­trum mit vielen weißen Kabinen aus dem Boden gestampft. Athen, Amster­dam, Wien — die Räume tragen Städte­na­men, damit die Orien­tie­rung leich­ter fällt. Kretsch­mann bedankt sich bei Ärzten und Pflegern — auch bei denen, die als mobile Impfteams ausschwir­ren, um den Impfstoff in Alten- und Pflege­hei­men unter die Leute zu bringen. «Die Menschen werden sehr froh sein, wenn sie kommen», sagt er.

Und Chris­ti­ne Helbig? Die steht rund eine halbe Stunde nach der Sprit­ze mit einem roten Blumen­strauß vor der Lieder­hal­le und fühlt sich präch­tig. Helbig trägt eine Maske, aber das Lächeln kann man ihr von den Augen ablesen. «Der Arm tut nicht weh, ich hab auch keine Kreis­lauf­pro­ble­me», sagt sie. «Das war wie jede andere Impfung auch. Kein großes Hexen­werk.» Den Termin für die zweite Sprit­ze in drei Wochen hat sie auch schon. Für ihre Arbeit auf der Corona-Stati­on ändere das aber erstmal nichts. «Ich muss mich trotz­dem weiter schützen.»