Chillen im Park: Das warme Frühlings­wet­ter lässt Appel­le zum Abstand­hal­ten oft verhal­len. Wissen­schaft­ler mahnen, die Lage sei ernst — und fordern den «Holzham­mer» zum Senken der Infektionszahlen.

Der Druck auf die Politik wächst: Aus der Wissen­schaft mehren sich nach ersten Locke­run­gen und Test-Projek­ten Forde­run­gen nach einem neuen harten Lockdown.

Die Situa­ti­on in der dritten Pande­mie­wel­le sei leider «sehr ernst und sehr kompli­ziert», sagte der Chari­té-Virolo­ge Chris­ti­an Drosten im NDR-Podcast «Corona­vi­rus-Update». Für ihn bleibe nur noch der «Holzham­mer». Auch Amtsärz­te fordern einen konse­quen­ten Lockdown.

Markus Söder (CSU) und Winfried Kretsch­mann (Grüne) fordern in einem gemein­sa­men Brief an ihre 14 Minis­ter­prä­si­den­ten-Kolle­gin­nen und ‑Kolle­gen eine strik­te Anti-Corona-Politik mit einer konse­quen­ten Umset­zung der Notbrem­se in Hotspots, auch mit nächt­li­chen Ausgangs­be­schrän­kun­gen. Zudem plädie­ren die Regie­rungs­chefs von Bayern und Baden-Württem­berg für eine Corona-Testpflicht an den Schulen nach den Osterferien.

«Die dritte Welle rollt seit einigen Wochen unerbitt­lich über das Land. Die Lage ist ernst, ernster als viele glauben», heißt es in dem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zuvor hatte die «Süddeut­sche Zeitung» darüber berich­tet. «Wir müssen daher unsere Verant­wor­tung jetzt wahrneh­men und dürfen nicht länger disku­tie­ren. Das Virus verzeiht keine Verzö­ge­run­gen», mahnen Söder und Kretschmann.

Inner­halb von drei Wochen hat sich die bundes­wei­te Sieben-Tage-Inzidenz — also die Zahl der Neuin­fek­tio­nen pro 100.000 Einwoh­ner und Woche — verdop­pelt. Hatte der Wert am 10. März noch bei 65 gelegen, gab ihn das Robert Koch-Insti­tut (RKI) am Mittwoch mit 132 an. Auch die Zahl der Covid-Patien­ten auf Inten­siv­sta­ti­on war zuletzt wieder gestiegen.

«Getra­gen von einem einheit­li­chen Geist gilt es jetzt, die Notbrem­se ohne weite­res Überle­gen und Zögern konse­quent umzuset­zen. Hierzu gehören nächt­li­che Ausgangs­be­schrän­kun­gen und adäqua­te Kontakt­be­schrän­kun­gen bei einer Inzidenz über 100 sowie eine konse­quen­te FFP2-Masken­pflicht und Tests», sagten Söder und Kretschmann.

Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel hat nach eigenen Angaben noch nicht entschie­den, wie ein schär­fe­rer bundes­ein­heit­li­cher Kurs zur Bekämp­fung der Corona-Pande­mie ausse­hen könnte. «Der Prozess des Nachden­kens ist noch nicht abgeschlos­sen», sagte die CDU-Politi­ke­rin am Diens­tag­abend. «Ich weiß nur, dass es wichtig ist, angesichts der dritten Welle, in der wir sind, alles zu tun, um diese Welle möglichst schnell zu brechen.»

Die Kanzle­rin hatte am Sonntag­abend in der ARD-Sendung «Anne Will» einen Teil der Länder dafür kriti­siert, dass sie die verein­bar­ten Beschlüs­se gegen die Pande­mie nicht umsetz­ten. Wenn das nicht «in sehr abseh­ba­rer Zeit» gesche­he, müsse sie sich überle­gen, wie sich das vielleicht auch bundes­ein­heit­lich regeln lasse.

«Ich glaube, es wird nicht ohne einen neuen Lockdown gehen, um diese Dynamik, die sich jetzt ohne jeden Zweifel einge­stellt hat, noch einmal zu verzö­gern», sagte nun Drosten. «Es ist klar, es müssen die Kontak­te reduziert werden.» Die Vorher­sa­ge der Model­le für die dritte Corona-Welle sei leider noch überschrit­ten worden. Noch in dieser Woche werde die Zahl der Nachwei­se der briti­schen Varian­te B.1.1.7 über 90 Prozent errei­chen. Sie sei eindeu­tig krank­ma­chen­der und tödli­cher als das Ursprungs­vi­rus, sagte der Virologe.

«Locke­run­gen führen dazu, dass die Menschen zu viele Kontak­te haben», sagte die Vorsit­zen­de des Bundes­ver­ban­des der Ärztin­nen und Ärzte des Öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes, Ute Teichert, der «Rheini­schen Post». Verbun­den mit hohen Fallzah­len werde die Nachver­folg­bar­keit für die Gesund­heits­äm­ter «schwie­rig bis unmög­lich». Ließen sich Kontak­te von Infizier­ten nicht nachver­fol­gen, gerate die Pande­mie vollends außer Kontrolle.

Impfun­gen könnten die dritte Welle noch nicht brechen. Erst recht nicht, wenn das Vakzin des Herstel­lers Astra­ze­ne­ca nun erst einmal für Menschen unter 60 ausfal­le, um die Ursache sehr selte­ner Hirnve­nen­throm­bo­sen bei Geimpf­ten zu klären.

Die Fallzah­len zu senken sei daher entschei­dend, ergänz­te Teichert. «Dies ist nur mit einem konse­quen­ten Lockdown machbar.» Paral­lel dazu müssten Konzep­te entwi­ckelt werden, wie mit einer Test- und Impfstra­te­gie sowie mit Apps zur digita­len Nachver­fol­gung Locke­run­gen möglich seien — «aber erst, wenn die Fallzah­len unten sind».

Bisher zeigt sich in Ländern und Kommu­nen eher ein Flicken­tep­pich von Maßnah­men — vom Auspro­bie­ren weitrei­chen­der Teststra­te­gien wie zum Beispiel in Tübin­gen bis hin zu nächt­li­chen Ausgangs­be­schrän­kun­gen wie in Branden­burg oder Mainz.