BIBERACH – Es soll der große Wurf werden in Sachen Klimaschutz und Energieeffizienz: der Bau eines neuen dreistufigen Nahwärmenetzes in der Stadt Biberach. In diesem Zusammenhang entwickeln die Stadtverwaltung und die Enegieagentur Ravensburg gemeinsam ein Konzept „Altstadtquartier Biberach“. Wie das erreicht werden soll und welche Vorteile das für die Stadt und die Hauseigentümer bringt, beantwortet Baubürgermeister Christian Kuhlmann im Interview.
Herr Kuhlmann, es gibt Stimmen, die sagen, mit der Umsetzung des Nahwärmekonzeptes beginne für Biberach eine neue Zeit, was Energieeffizienz und Wärmeversorgung betrifft. Sehen Sie das auch so?
Wenn sich diese Stimmen auf den Ausbau von Nahwärmenetzen in Bestandsgebieten, hier Teile der Innenstadt, beziehen, dann beginnt für Biberach tatsächlich eine neue Zeit in Sachen Wärmeversorgung und Klimaschutz. Wir kennen den Bau von Wärmenetzen im Zusammenhang mit Neubaugebieten wie der Rißegger Steige oder dem Gebiet Hochvogelstraße. Ein weiteres Beispiel ist die Wärmeversorgung in Rißegg, an die, ausgehend vom Biomassehof Zell, das Schulzentrum, der Kindergarten und das Dorfgemeinschaftshaus angeschlossen sind.
Jetzt aber geht es um die Innenstadt.
Genau. Der Schritt jetzt in die dicht bebaute Innenstadt, dann auch in die historische Altstadt mit dem Ziel, auch private Hauseigentümer anzuschließen, ist neu, zukunftsorientiert und herausfordernd. Damit erhalten Hauseigentümer die Chance, regenerativ erzeugte Wärme zu nutzen, was ihnen aufgrund der dichten Bauweise und rechtlicher Vorgaben kaum möglich wäre. Die Kombination aus Großabnehmern – gemeint sind hier die Stadt und der Landkreis mit ihren Gebäuden – und privaten Hauseigentümern im Einzugsbereich des Netzes ermöglicht es, wirtschaftlich attraktive Angebote zu machen.
In einem ersten Schritt geht es um eine Bestandsaufnahme, bei der Sie auf die Mitarbeit der Gebäudeeigentümer in der Altstadt hoffen. Warum sollte ich mich als Altstadtbewohner auf dieses Projekt einlassen? Anders gefragt: Was bringt es mir als Privatmann?
Aktuelle rechtliche Anforderungen wie das Gebäudeenergiegesetz können Sie als Hauseigentümer in der historischen Altstadt beim notwendigen Austausch eine Heizung vor ein unlösbares Problem stellen. Die neue Wärmeerzeugung muss einen regenerativen Anteil haben. Wie soll dieser aber realisiert werden, wenn Holzpelletheizungen, Wärmepumpen (Luft oder Wasser), Solarkollektoren oder Photovoltaikanlagen nicht möglich sind. Hier bietet der Anschluss an ein Nahwärmenetz mit regenerativ erzeugter Wärme eine ideale Lösung. Sie benötigen einen Hausanschluss und einen Wärmetauscher – die Wärmeerzeugung erfolgt an einem anderen Ort. Wenn dann der Anschluss- und Verbrauchspreis mit einer herkömmlichen, regenerativ gespeisten Heizungsanlage vergleichbar ist, wird dieses Angebot überzeugen.
Große Baumaßnahmen kosten bekanntlich sehr viel Geld. Wie sieht es mit Zuschüssen von Bund und Land aus?
Tatsächlich. Ohne Zuschüsse wird dieses Projekt keine wirtschaftlich akzeptablen Anschlusskosten erreichen. Noch nicht entschieden ist über unseren Antrag beim Land Baden-Württemberg zu einer Förderung im Programm „Klimaschutz mit System“. Hier erwarten wir in Kombination mit anderen Programmen einen Gesamtzuschuss in Höhe von rund 3,45 Mio. Euro. Falls dieser Zuschuss nicht kommt, besteht die Möglichkeit, durch Kombination verschiedener anderer Programme eine Gesamtförderung von rund 2,16 Mio. Euro zu erhalten. Bei einer Gesamtinvestition von 8,42 Mio. Euro sind das entscheidende Beiträge.
Welche Rolle spielt bei diesem Projekt die Energieagentur?
Die Energieagentur spielt für uns, nicht nur bei diesem Projekt, eine zentrale Rolle. Unsere Berater verfügen über eine große Expertise und Übersicht über mögliche, sich ständig verändernde Zuschussprogramme und technische Lösungen. Mit ihrer Unterstützung konnten wir ein Konzept erarbeiten, das große Chancen auf bedeutende Zuschüsse hat. In Kombination mit dem von uns beauftragten Ingenieurbüro konnte ein schlüssiges, unter Nutzung von Fördermitteln wirtschaftliches Konzept erarbeitet werden.
Hat die Energieagentur Ravensburg bereits Erfahrungen mit solchen Projekten?
Die Energieagentur Baden-Württemberg ist in vielen Kommunen aktiv und anerkannter Partner und Berater auch in Fragen einer nachhaltigen Wärmeversorgung. Die Stadt Bad Waldsee ist für uns bei diesem Projekt ein Vorbild, beraten durch die Energieagentur.
Das konzipierte Projekt umfasst drei Stufen des Ausbaus. Was sind denn die nächsten konkreten Schritte und was folgt noch im Lauf der Jahre?
Der Gemeinderat hat den Grundsatzbeschluss gefasst, dieses Konzept weiter auszuarbeiten und konkrete Maßnahmen zur erneuten Beschlussfassung vorzulegen. Im Rahmen der Entwurfsplanung für den ersten Bauabschnitt wird eine Kostenberechnung erstellt. Auf Grundlage dieser Kostenberechnung ist die Wirtschaftlichkeitsberechnung zu überprüfen.
Kann man das zeitlich etwas konkreter fassen?
Noch vor der Sommerpause soll durch den Gemeinderat der Umsetzungsbeschluss für Bauabschnitt eins und die Freigabe der weiteren Planung für Bauabschnitt zwei und drei erfolgen. Parallel sind die notwendigen, umfangreichen Fragen zur Umsatzsteuer und zum Standort der Heizzentrale in der Breslaustraße zu klären.
Angebote für die Ausschreibung des Betriebs des Nahwärmenetzes sind einzuholen. Unser Ziel ist es, in den Jahren 2022 bis 2024 im südöstlichen Teil der Innenstadt das Nahwärmenetz auszubauen.
Und was ist jetzt mit den Anliegern?
Die Befragung der Anlieger ist für uns von großer Bedeutung; die wird in den nächsten Wochen durchgeführt. Je mehr Interesse und Bereitschaft besteht, sich an das Netz anzuschließen, umso wirtschaftlicher wird die Gesamtlösung.