BIBERACH — „Stutt­gart – mitten im Leben“: Mit diesem Slogan wirbt die Landes­haupt­stadt auf ihrer Inter­net­sei­te. Ein angeneh­mer, leben­di­ger und attrak­ti­ver Ort will sie sein, sowohl für Händler, Gewer­be­trei­ben­de und Kultur­schaf­fen­de sowie für einhei­mi­sche Besucher oder Gäste von Außer­halb. So beschreibt es die City-Initia­ti­ve Stutt­gart e.V., die sich als privat getra­ge­ner Verein dafür einsetzt, die Aufent­halts­qua­li­tät und die Leistungs­fä­hig­keit der Stutt­gar­ter City zu erhal­ten und weiter zu verbes­sern. Viele Veran­stal­tun­gen haben sie dafür in den vergan­ge­nen Jahren ins Leben gerufen. Dann legte die Corona-Pande­mie das urbane Leben nahezu lahm. Nach Monaten der Schlie­ßun­gen dürfen Einzel­han­del, Gastro­no­mie und Kultur­ein­rich­tun­gen nun nach und nach wieder öffnen – noch nur begrenzt und unter Aufla­gen durch passen­de Hygie­ne­kon­zep­te. Unter der Ausnah­me­si­tua­ti­on Corona hat das gesam­te gesell­schaft­li­che Mitein­an­der gelit­ten – leere Innen­städ­te nicht nur in Stutt­gart oder Deutsch­land stehen symbo­lisch dafür.

Bleibt die Frage: Wie bringen kleine und große Städte ihre darben­den Zentren wieder zum Erblü­hen? Welche Konzep­te helfen, die Attrak­ti­vi­tät von Innen­städ­ten wieder­her­zu­stel­len oder gar zu verbes­sern? Schließ­lich steht der Einzel­han­del nicht erst seit Corona etwa in Konkur­renz zum Online-Geschäft. Hier setzt die Hochschu­le Biber­ach (HBC) an. Die Profes­so­rIn­nen Jochen Weilepp, Henri­ke Mattheis und Isabell Osann haben ein studen­ti­sches Projekt zur Stärkung inner­städ­ti­scher Gewer­be­trei­ben­der nach der Corona-Pande­mie ausge­schrie­ben. Service Learning heißt das Format, das gesell­schaft­li­ches Engage­ment mit fachli­chem Lernen verbin­det. In diese Sommer­se­mes­ter geht es um die Stutt­gar­ter Innen­stadt bzw. konkret: das Fachge­schäft Leder­wa­ren Acker.

In einem von der Hochschu­le beglei­te­ten Prozess entwi­ckeln die Studie­ren­den neue Geschäfts­mo­del­le, mit dem der Einzel­händ­ler gestärkt aus der Pande­mie hervor­ge­hen kann. Das Projekt wird im Rahmen des Kurses Entre­pre­neur­ship im Studi­en­gang BWL angebo­ten. Dazu arbei­ten Studie­ren­de in Teams und angelei­tet durch die drei Profes­so­rIn­nenen, den Business­plan für eine neue Geschäfts­idee oder eine Auswei­tung des bestehen­den Geschäf­tes aus. Am Ende des Semes­ters werden sie ihre Ideen präsen­tie­ren – und eine Jury die beste prämieren.

Die Ausgangs­fra­ge­stel­lung lautet: „Wie können wir das Innen­stadt­ge­schäft unterstützen, sein Geschäfts­mo­dell so anzupas­sen, dass es auch angesichts des coronabe­ding­ten / nach Corona verän­der­ten Kaufver­hal­tens der Kunden wirtschaft­lich erfolg­reich bleibt und so zur Attrak­ti­vi­tät der Innen­stadt beiträgt?“ Wie also nähern sich die Studie­ren­den einer tragfä­hi­gen Idee? Indem sie einen bestimm­ten Prozess durch­lau­fen, der in engem Kontakt mit dem Einzel­händ­ler aufge­setzt ist. Schließ­lich sollen die Konzep­te zu Ort und Art passen. So ist das Stutt­gar­ter Geschäft Leder­wa­ren Acker in 1‑A-Lage positio­niert: zentral in der Stadt­mit­te, im Königs­bau am Schloss­platz. „Die Kunden fehlten in den vergan­ge­nen Monaten dennoch, online oder per click and collect bedien­ten wir wenige Anfra­gen“, berich­tet Chris­toph Achen­bach, der Geschäfts­füh­rer des inhaber­ge­führ­ten Einzel­han­dels-Geschäfts. Für alle drei studen­ti­schen Teams hat er sich ausführ­lich Zeit genom­men. „Vielleicht“, so hofft er, „blicken jungen Menschen mit anderen Augen auf die Situa­ti­on und finden so andere Ansät­ze“. Derweil hat er selbst bereits einiges ausge­tes­tet, den Online­shop gerelauncht, einen Social-Media-Kanal eröff­net und selbst auf Klopf­zei­chen reagier­ten seine Mitar­bei­ten­den, wenn jemand spontan etwas im Schau­fens­ter entdeckt hat. Gerade die Ausla­ge, so erzählt er, habe in Corona-Zeiten eine wahre Renais­sance erlebt. So legt er Wert darauf, dass regel­mä­ßig neu dekoriert wird und stets beleuch­tet ist. „Die Passan­ten, die durch die Stadt gehen, sollten nicht den Eindruck haben, dass hier Schicht im Schacht ist“, sagt er.

Und welche Ideen haben die Studie­ren­den? Klar setzen auch sie auf Insta­gram und Online­shop, aber auch andere Konzep­te haben sie entwi­ckelt. Etwa spezi­el­le Marken für eine jünge­re Zielgrup­pe zu etablie­ren oder Second-Hand-Ware anzubie­ten. Ein anderer Ansatz ist es, mit lokalen Kultur­schaf­fen­den zusam­men­zu­ar­bei­ten und so das Leder­wa­ren­ge­schäft zum Treff­punkt von Menschen werden zu lassen, die Inter­es­se an werti­gen Materia­li­en und schönen Dingen haben. Lea Reuter, Marian Sehon und Pascal Reichert sind die Projekt­lei­te­rIn­nen der drei Teams. Sie alle haben densel­ben Prozess durch­lau­fen, haben Ideen gesam­melt, den Geschäfts­füh­rer Chris­toph Achen­bach inter­viewt, die Situa­ti­on vor Ort unter Augen­schein genom­men und vor allem: Befra­gun­gen durch­ge­führt. „Dieser Arbeits­schritt ist in der Design Thinking Metho­de beson­ders wichtig“, erläu­tert Profes­so­rin Isabell Osann, die an der HBC das Design-Thinking-Lab aufge­baut hat. Anhand von Proto­ty­pen – also Model­len – wird überprüft, wie die Idee tatsäch­lich ankommt. 

Das Team von Lea Reuter hat in den Inter­views positi­ve Rückmel­dun­gen erhal­ten. „Wir arbei­ten unser Konzept jetzt aus und machen uns an den Business­plan“. Die beiden anderen Gruppen haben in den Nutzer­ge­sprä­chen heraus­ge­fun­den, dass ihre Überle­gun­gen noch nicht ganz stimmig sind und gehen nochmal einen Schritt zurück: „Ansät­ze, die als gut bewer­tet wurden, arbei­ten wir nun stärker heraus, anderes werden wir vernach­läs­si­gen“, berich­ten Pascal Reichert und Marian Sehon. „Ein wichti­ger Step in den sechs Phasen des Design Thinkings, das den Menschen und dessen Bedürf­nis­se klar in den Mittel­punkt stellt“, erläu­tert Isabell Osann. Verste­hen – beobach­ten – Sicht­wei­se definie­ren – Ideen generie­ren – Proto­typ entwi­ckeln – Testen: „Das sind die immer gleichen Arbeits­schrit­te der Metho­de zur Lösung von komple­xen Aufga­ben­stel­lun­gen“, ergänzt Profes­so­rin Henri­ke Mattheis, Didak­tik­be­auf­trag­te der HBC. Und die führen, da sich die Kolle­gin­nen zuver­sicht­lich, bestimmt zu einem guten Ergeb­nis. Ende Juni werden die drei Teams ihre Geschäfts­mo­del­le präsen­tie­ren – der Jury wird u.a. Chris­toph Achen­bach angehören.

Im nächs­ten Winter­se­mes­ter will Jochen Weilepp das Projekt in die nächs­te Phase überfüh­ren: die Übertra­gung der Design Chall­enge auf Innen­städ­te. Welche Konzep­te finden Studie­ren­de, um nicht einen Einzel­händ­ler, sondern den Einzel­han­del zu beleben? Als Modell soll dann die Stadt Biber­ach dienen. Erste Gesprä­che mit der Stadt­spit­ze wurden bereits geführt – die Idee ist willkommen.