KASSEL/WIESBADEN (dpa) — Der Skandal um ein als antise­mi­tisch kriti­sier­tes Werk bei der documen­ta zieht größe­re Kreise — nun äußert sich auch Olaf Scholz. Nicht nur er lässt Forde­run­gen nach perso­nel­len Konse­quen­zen anklingen.

Nach dem Antise­mi­tis­mus-Eklat um ein großfor­ma­ti­ges Banner bei der documen­ta fifteen werden die Rufe nach Konse­quen­zen lauter.

Entspre­chen­de Überle­gun­gen äußer­te nicht nur der Zentral­rat der Juden — auch Bundes­kanz­ler Olaf Scholz melde­te sich über eine Regie­rungs­spre­che­rin zu Wort. Unter­des­sen gibt es erste Erklä­rungs­ver­su­che, welche Fehlpla­nun­gen dazu geführt haben könnten, dass das als antise­mi­tisch kriti­sier­te Werk des indone­si­schen Künst­ler­kol­lek­tivs Taring Padi instal­liert wurde.

Scholz bleibt documen­ta fern

Die Antise­mi­tis­mus-Vorwür­fe haben Scholz veran­lasst, auf einen Besuch der Kunst­aus­stel­lung zu verzich­ten, wie zunächst die «Jüdische Allge­mei­ne» berich­te­te. Eine Regie­rungs­spre­che­rin sagte der Deutschen Presse-Agentur, der SPD-Politi­ker habe «in den vergan­ge­nen 30 Jahren wohl keine documen­ta versäumt», werde dieses Mal aber nicht nach Kassel reisen.

Zur Erinne­rung: Die mittler­wei­le abgehäng­te Instal­la­ti­on des Künst­ler­kol­lek­tivs zeigte unter anderem einen Solda­ten mit Schweins­ge­sicht. Er trägt ein Halstuch mit einem David­stern und einen Helm mit der Aufschrift «Mossad» — die Bezeich­nung des israe­li­schen Auslandsgeheimdienstes.

Der Bundes­kanz­ler bezeich­ne­te diese Darstel­lung nach den Worten der Spreche­rin als «abscheu­lich». Es sei «völlig richtig und angemes­sen» gewesen, das Wandbild zu entfer­nen. Seiner Meinung nach sei «in Deutsch­land kein Platz für antise­mi­ti­sche Darstel­lun­gen, auch nicht auf einer Kunstausstellung».

«Die documen­ta-Leitung sollte sich nach Überzeu­gung des Bundes­kanz­lers ihrer Verant­wor­tung für diesen Vorgang stellen und sich prüfen», erklär­te die Regie­rungs­spre­che­rin. «Im Vorfeld dieser renom­mier­ten Ausstel­lung gab es eine ganze Reihe von Warnun­gen — umso irritie­ren­der ist es, dass es nun dennoch zu diesem Skandal gekom­men ist.»

Zentral­rats-Chef spricht von «Schaden» für Deutsch­lands Image

«Es ist richtig, dass das antise­mi­ti­sche Werk des indone­si­schen Künst­ler­kol­lek­tivs Taring Padi von der documen­ta entfernt wurde», sagte auch der Präsi­dent des Zentral­rats der Juden, Josef Schus­ter, in Berlin. Damit sei jedoch das Thema Antise­mi­tis­mus sowie die Debat­te über eine Nähe der diesjäh­ri­gen documen­ta zu BDS nicht abgehakt. BDS steht für «Boykott, Desin­ves­ti­tio­nen und Sanktio­nen». Die Bewegung will Israel wirtschaft­lich, kultu­rell und politisch isolieren.

«Es muss jetzt über perso­nel­le Konse­quen­zen nachge­dacht werden», sagte Schus­ter. Nähere Angaben machte er dazu nicht. Deutsch­lands Image in der Welt habe durch diesen Vorfall bereits Schaden genommen.

Auch die Deutsch-Israe­li­sche Gesell­schaft (DIG) fordert Konse­quen­zen. «Die General­di­rek­to­rin der documen­ta, Sabine Schor­mann, muss unver­züg­lich zurück­tre­ten oder vom Aufsichts­rat abberu­fen werden», sagte DIG-Präsi­dent Volker Beck dem «Kölner Stadt-Anzei­ger» (Donners­tag). Auch die Mitglie­der des vom Kasse­ler Oberbür­ger­meis­ter Chris­ti­an Gesel­le (SPD) gelei­te­ten Aufsichts­rats sollten ihre Posten zur Verfü­gung stellen, forder­te der ehema­li­ge Grünen-Bundestagsabgeordnete.

«Nach den Antise­mi­tis­mus-Vorwür­fen schon im Vorfeld hätte der Aufsichts­rat tätig werden und sicher­stel­len müssen, dass Antise­mi­tis­mus auf der documen­ta keinen Platz hat», sagte Beck. «Statt­des­sen hat gerade Gesel­le immer alles gesundgebetet.»

In einer E‑Mail an Roth warf Beck nach Infor­ma­tio­nen des «Kölner Stadt­an­zei­gers» der Leitung wie dem Aufsichts­rat vollstän­di­ges Versa­gen vor. Neben dem inzwi­schen abgehäng­ten Wandbild der indone­si­schen Künst­ler­grup­pe Taring Padi verwies er auf das Werk «Guerni­ca Gaza» der Künst­ler­grup­pe Eltiqa aus dem Gazastrei­fen und auf eine «terro­ris­mus­af­fi­ne, antiis­rae­li­sche Filmse­rie» des Kollek­tivs Subver­si­ve Films aus Brüssel und Ramal­lah. Beck forder­te, die Förde­rung der documen­ta sofort einzustellen.

Kritik an den Verantwortlichen

FDP-General­se­kre­tär Bijan Djir-Sarai sagte, jetzt gelte es, «schonungs­los aufzu­klä­ren, wie es zu diesem beschä­men­den Vorfall kommen konnte und wer wann für welche Entschei­dun­gen konkret Verant­wor­tung getra­gen hat». Das Wichtigs­te sei, dass daraus auch Konse­quen­zen gezogen würden. «Wer diese menschen­ver­ach­ten­den Ausfäl­le gutheißt, darf in Deutsch­land nicht die Verant­wor­tung für ein inter­na­tio­nal bekann­tes Kultur­event tragen», forder­te der FDP-Politiker.

Das Problem des fehlen­den Kurators

Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Hessens Kunst­mi­nis­te­rin Angela Dorn (Grüne) sieht das Problem teils in einem fehlen­den verant­wort­li­chen Kurator begrün­det. «Die Verant­wor­tung für die gezeig­te Kunst liegt in erster Linie bei der künst­le­ri­schen Leitung. Dass diese von der Findungs­kom­mis­si­on diesmal einem Kollek­tiv übertra­gen wurde, nicht einem einzel­nen Kurator oder einer einzel­nen Kurato­rin, hat offen­bar dazu geführt, dass die Sorgfalt und die Verant­wor­tung des Kuratie­rens gelit­ten haben», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Dorn beton­te, ihr sei auf mehrfa­che Nachfra­ge bei der documen­ta gGmbH immer versi­chert worden, es gebe keine Hinwei­se auf antise­mi­ti­sche Bildspra­che auf der Ausstel­lung. «Warum nicht alle Werke gerade im Licht der Debat­te im Vorfeld der Eröff­nung einge­hend betrach­tet wurden und welchen Beitrag eine besse­re Kommu­ni­ka­ti­on durch die Gesell­schaft hätte leisten können, wird zu klären sein.» Die Gesell­schaf­ter hätten der documen­ta den klaren Auftrag erteilt, alle gezeig­ten Werke «im Sinne eines verant­wor­tungs­vol­len Kuratie­rens» zu überprüfen.

Blick nach vorn: Treffen mit der Bildungs­stät­te Anne Frank

Der Leiter der Bildungs­stät­te Anne Frank, Meron Mendel, plädier­te unter­des­sen für einen Blick nach vorn: «Noch ist nicht alles verlo­ren, jetzt muss diese Krise als Chance genutzt werden, um wirklich ins Gespräch zu kommen», sagte Mendel der dpa. Ohne Dialog werde die Debat­te weiter eskalie­ren. Die Bildungs­stät­te Anne Frank wolle in Kassel mit Bildungs­an­ge­bo­ten zur Aufklä­rung über Antise­mi­tis­mus und Rassis­mus unter­stüt­zen. Darüber sei die Bildungs­stät­te in Kontakt mit der documen­ta. Für kommen­de Woche Mittwoch ist demnach eine Veran­stal­tung zusam­men mit Minis­te­rin Dorn geplant. Die documen­ta äußer­te sich am Mittwoch zunächst nicht zu dem weite­ren Verlauf der Debatte.

Von Carolin Ecken­fels, Peter Zschun­ke und Gerd Roth, dpa