MOSKAU/LUBMIN (dpa) — Durch die Ostsse-Pipeline fließt seit dem Morgen erneut kein russi­sches Gas mehr. Die große Frage ist, ob nach der angekün­dig­ten dreitä­gi­gen Wartung die Liefe­run­gen wieder aufge­nom­men werden.

Russland hat die schon seit Monaten stark gedros­sel­te Gaslie­fe­rung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 am frühen Mittwoch­mor­gen wie angekün­digt gestoppt. Nach Angaben auf der Website der Nord Stream AG ist in der Zeit zwischen 03.00 bis 04.00 Uhr keine nennens­wer­te Menge mehr geflos­sen. Bereits in der Stunde davor war sie demnach gesun­ken. Der russi­sche Staats­kon­zern Gazprom hatte angekün­digt, dass die Pipeline vom 31. August bis zum 2. Septem­ber wegen Wartungs­ar­bei­ten geschlos­sen werde. Am Mittwoch­mor­gen teilte Gazprom im Nachrich­ten­ka­nal Telegram mit, «die Versor­gung über Nord Stream wurde komplett einge­stellt». Es begän­nen planmä­ßi­ge Wartungs­ar­bei­ten an einer Kompressorstation.

Zweifel an Grund für Liefer­stopp — Gazprom mit Rekordgewinn

Laut Gazprom muss die einzig noch verblie­be­ne Turbi­ne in der Kompres­sor­sta­ti­on Porto­wa­ja, die der Pipeline vorge­la­gert ist, gewar­tet werden. Der Chef der Bundes­netz­agen­tur, Klaus Müller, hatte hinge­gen gesagt, die Wartungs­ar­bei­ten seien technisch nicht nachvoll­zieh­bar. Er halte Verwei­se auf Turbi­nen von Siemens Energy für vorge­scho­ben. Russland hatte auch im Zusam­men­hang mit der Drosse­lung der über die Leitung gelie­fer­ten Menge auf fehlen­de Turbi­nen verwie­sen. Zuletzt kamen nur noch etwa 20 Prozent der maximal mögli­chen Menge über die Pipeline. Zweifel an der Begrün­dung für die Drosse­lung kommen etwa von der Bundesregierung.

Trotz westli­cher Sanktio­nen hat Gazprom im ersten Halbjahr nach eigenen Angaben einen Rekord­ge­winn einge­fah­ren. Es sei ein Reinge­winn von 2,5 Billio­nen Rubel erzielt worden — das sind umgerech­net 46,5 Milli­ar­den Euro. Der Staats­kon­zern verwies via Telegram darauf, dass das Ergeb­nis trotz Straf­maß­nah­men wegen des Ukrai­ne-Kriegs gegen Russland und eines «ungüns­ti­gen Umfelds» erzielt worden sei. Gazprom werde nun jedem Aktio­när pro Anteils­schein 51,03 Rubel zahlen. Noch im Frühjahr hatte der Energie­rie­se die Erwar­tun­gen für 2022 gedämpft.

Eine Wieder­auf­nah­me der Liefe­rung gilt durch­aus als möglich

Kreml­spre­cher Dmitri Peskow hat am Diens­tag noch einmal versi­chert, dass Russland ein zuver­läs­si­ger Liefe­rant und gewillt sei, seinen Verpflich­tun­gen nachzu­kom­men. Er begrün­de­te die derzei­ti­gen Liefer­kür­zun­gen mit techni­schen Proble­men, die der Westen durch seine Sanktio­nen selbst verur­sacht habe. Einen politi­schen Hinter­grund der anste­hen­den Liefer­pau­se demen­tier­te er damit.

Es gilt zumin­dest als wahrschein­lich, dass das Gas ab dem 3. Septem­ber wieder fließt. Nach der letzten Abschal­tung wegen Wartungs­ar­bei­ten im Juli hat Gazprom anschlie­ßend auch den Transit wieder aufge­nom­men. Das unabhän­gi­ge Inter­net-Medium «The Bell» erklär­te schon damals die dahin­ter stehen­de Logik damit, dass der Kreml sich anderen­falls der eigenen Flexi­bi­li­tät berau­ben würde. Auch bei gedros­sel­ter Liefe­rung könne Russland immer noch mit einer weite­ren Kürzung der Liefe­run­gen drohen. Beim Liefer­stopp sei das Drohpo­ten­zi­al passé.

Darüber hinaus würde die vollstän­di­ge Abkap­se­lung vom europäi­schen Markt auch empfind­lich auf den russi­schen Haushalt durch­schla­gen. Derzeit ist Moskau in der beque­men Lage, dass es trotz physisch gerin­ge­rer Liefer­men­gen wegen hoher Preise finan­zi­ell mehr aus dem Export heraus­schlägt. Ein weite­rer Grund, der für die Beibe­hal­tung des Transits — zumin­dest in gerin­gem Umfang — spricht: Ansons­ten müsste Gazprom seine Förder­ka­pa­zi­tä­ten still­le­gen und konser­vie­ren. Eine Umlei­tung der Gasströ­me nach Asien in großem Umfang ist nicht möglich, da das Pipeline­sys­tem in diese Richtung noch kaum entwi­ckelt ist. Von den 720 Milli­ar­den Kubik­me­ter, die Russland fördert, gehen gut 200 in den Export, davon 130 in den EU-Raum.

China etwa nimmt hinge­gen nur gut zehn Milli­ar­den Kubik­me­ter ab, auch wenn die Umsät­ze in die Richtung steigen. Auch deswe­gen fackelt Russland die Gasmen­gen ab, die es nicht nach Europa liefern kann.

Nächs­ter Liefer­stopp im Oktober möglich — Speicher füllen sich

Zwar hat Gazprom bislang noch keinen neuen Termin für die nächs­te Abschal­tung genannt. Doch laut dem Konzern muss die letzte verblie­be­ne Turbi­ne in der Kompres­sor­sta­ti­on Porto­wa­ja alle 1000 Arbeits­stun­den gewar­tet werden. Damit dürfte Mitte Oktober der nächs­te Stopp anstehen.

Die Speicher­be­trei­ber rechnen damit, dass auch ohne russi­sches Gas weiter­hin Erdgas in Deutsch­land einge­spei­chert werden kann, gegebe­nen­falls in leicht reduzier­tem Umfang. Der Branchen­ver­band Initia­ti­ve Energien Speichern (INES) verweist dazu auf die tägli­che Speicher­men­ge: Sie beträgt derzeit ein Mehrfa­ches dessen, was zuletzt durch die Ostsee­pipe­line nach Deutsch­land kam.

Die Speicher waren zuletzt zu über 83 Prozent gefüllt. In den kommen­den Tagen dürfte die 85-Prozent-Marke erreicht werden, rund vier Wochen vor dem Stich­tag 1. Oktober. Am 1. Novem­ber sollen die Speicher dann zu mindes­tens 95 Prozent gefüllt sein. Der Speicher­ver­band nennt dieses Ziel «heraus­for­dernd». Und: «Bei einem komplet­ten Ausfall von Nord Stream wäre es noch ein bisschen schwe­rer, das zu errei­chen», sagt Verbands­ge­schäfts­füh­rer Sebas­ti­an Bleschke.

Weite­re Entwick­lung der Gas-Großhan­dels­prei­se offen

Gasmarkt­ex­per­te Heiko Lohmann vom Energie­in­for­ma­ti­ons­dienst Energa­te rechnet nicht damit, dass sich die Wartungs­ar­bei­ten noch groß auswir­ken werden. Als die Wartung angekün­digt wurde, seien die Preise nach oben gegan­gen. Daher sei die Wartung schon «einge­preist». «Die spannen­de Frage ist, was nach den drei Tagen passie­ren wird», sagt Lohmann. Er geht davon aus, dass die Preise wieder nach oben gehen, wenn die Liefe­run­gen nicht wieder­auf­ge­nom­men werden. Umgekehrt sieht er noch «Luft nach unten», sollten die Liefe­run­gen nach der Wartung fortge­setzt werden.

Von «Vertrags­bruch» wollen wichti­ge Akteu­re nicht reden

Noch im Mai war die Pipeline nahezu jeden Tag ausge­las­tet. Anfang Juni gingen die Liefer­men­gen schritt­wei­se zurück. Vom 17. Juni an lagen sie bei 40 Prozent der Maximal­ka­pa­zi­tät. Nach der zehntä­gi­gen Wartung im Juli lag die Liefer­men­ge für ein paar Tage wieder bei 40 Prozent, um dann vom 28. Juli an auf rund 20 Prozent gedros­selt zu werden.

Das Wort «Vertrags­bruch» mögen wichti­ge Akteu­re nicht in den Mund nehmen. So berich­te­te Uniper als Deutsch­lands größter Impor­teur von russi­schem Erdgas jüngst: «Seit dem 14. Juni erhält Uniper nur einen Teil der vertrag­li­chen Gaslie­fer­men­gen aus Russland.» Es würden mittler­wei­le 80 Prozent weniger gelie­fert. Und das Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um teilt auf Anfra­ge mit: «Es bestehen Verträ­ge der Unter­neh­men mit Gazprom über die volle Kapazi­tät, die werden derzeit nur bedingt einge­hal­ten. Aus unserer Sicht besteht kein Anlass, auch nicht technisch, die Nord Stream 1 nicht höher auszulasten.»

Von den dpa-Korrespondenten