BERLIN (dpa) — Wie ernst wird es, wenn Russland tatsäch­lich kein Erdgas mehr nach Deutsch­land liefern sollte? Eine Energie­ex­per­tin sieht nicht so schwarz wie der Präsi­dent eines wichti­gen Indus­trie­ver­bands. Dafür gebe es jedoch einige Bedingungen.

Eine Gasman­gel­la­ge muss aus Sicht der Energie­öko­no­min Claudia Kemfert selbst dann nicht zwingend eintre­ten, wenn Russland sämtli­che Gaslie­fe­run­gen nach Deutsch­land einstel­len sollte.

«Ob es wirklich zu einem Gasman­gel kommt, hängt an verschie­de­nen Aspek­ten», sagte die Energie­ex­per­tin vom Deutschen Insti­tut für Wirtschafts­for­schung (DIW) der Deutschen Presse-Agentur. Dazu zählten vor allem der Aufbau von Gaslie­fer­be­zie­hun­gen mit anderen Ländern als Russland, das stete Befül­len der Speicher und das Einspa­ren von Gas.

Daneben gebe es weite­re Möglich­kei­ten. «Aber wenn zumin­dest die ersten drei Kompo­nen­ten gut geschafft sind, sehe ich nicht, dass wir tatsäch­lich eine Gasman­gel­la­ge bekom­men müssen», sagte Kemfert. Deutsch­land habe mit diesen Maßnah­men begon­nen oder sei bereits auf einem guten Weg.

Alter­na­tiv­quel­len in Europa

Bei herkömm­li­chem Erdgas zählen bisher vor allem die Nieder­lan­de und Norwe­gen zu Deutsch­lands Alter­na­tiv­quel­len. Bei Flüssig­gas bemüh­te sich Wirtschafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) auf einer Katar-Reise im Frühjahr um neue Liefer­be­zie­hun­gen. Ob, wann und wie viel mehr Gas wirklich aus dem Emirat kommt, ist noch offen. Der Füllstand der deutschen Gasspei­cher steigt langsam, aber stetig. Derzeit liegt er bei rund 65 Prozent.

Zum Energie­spa­ren haben Bundes­re­gie­rung und Bundes­netz­agen­tur Verbrau­cher und Indus­trie schon mehrmals aufge­ru­fen. Der Präsi­dent des Deutschen Indus­trie- und Handels­kam­mer­tags, Peter Adrian, bat priva­te Verbrau­cher und die weniger energie­in­ten­si­ven Unter­neh­men, aus Solida­ri­tät mit der Indus­trie ab sofort konse­quent Energie einzu­spa­ren. «Es drohen echte Versor­gungs­eng­päs­se und unserer gesam­ten Wirtschaft eine Krise in unbekann­tem Ausmaß. Die Folge­wir­kun­gen von Abschal­tun­gen einzel­ner Branchen oder Betrie­be sind nicht zu überbli­cken», sagte Adrian der «Rheini­schen Post».

Esken für «Schutz­schirm»

Die SPD-Vorsit­zen­de Saskia Esken sprach sich in dersel­ben Zeitung für einen «Schutz­schirm» für Verbrau­cher aus, die sich die hohen Energie­prei­se nicht mehr leisten könnten. Dieser solle garan­tie­ren, «dass die Wohnung warm und Energie bezahl­bar bleibt». Wie dieser Schutz­schirm verwirk­licht werden soll, sagte Esken nicht.

Der Linken-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Sören Pellmann forder­te angesichts der Kosten­stei­ge­run­gen, die Mehrwert­steu­er auf Gas und Strom zumin­dest bis Ende 2023 auszu­set­zen. Außer­dem sollten die Preise «wie in anderen EU-Staaten gedeckelt werden», sagte er der «Neuen Osnabrü­cker Zeitung». Auf Strom und Gas werden 19 Prozent Mehrwert­steu­er fällig. Erhöhen sich die Energie­prei­se, ist auch entspre­chend mehr Steuer zu zahlen.

Bafin-Chef: Banken könnten Proble­me bekommen

Der Chef der Bundes­an­stalt für Finanz­dienst­leis­tungs­auf­sicht (Bafin), Mark Branson, sieht bei einer Gasman­gel­la­ge auch mögli­che Folgen für Banken und Sparkas­sen. Durch die Corona-Krise sei die Branche noch gut gekom­men, weil der Staat seinen Rettungs­schirm breit aufge­spannt habe, sagte Branson der «Süddeut­schen Zeitung».

Bei einer Energie­kri­se sei fast die gesam­te Wirtschaft betrof­fen, der Staat könne das nicht alles auffan­gen. «Was passiert, wenn eine tiefe Rezes­si­on vielleicht kombi­niert mit einem Zinsschock kommt? Dann kann man nicht ausschlie­ßen, dass Banken Proble­me bekom­men, zumal einige Insti­tu­te ja viele Immobi­li­en­ri­si­ken oder Zinsän­de­rungs­ri­si­ken in der Bilanz haben», sagte der Bafin-Chef.