MOSKAU/KIEW (dpa) — Erneut wollen sich Unter­händ­ler Moskaus und Kiews treffen. Die deutschen Waffen sind in der Ukrai­ne angekom­men. Der Kreml meldet den Tod von fast 500 russi­schen Solda­ten. Neue Luftan­grif­fe in Kiew.

Russland erwar­tet nach eigenen Angaben eine Fortset­zung der Gesprä­che mit der Ukrai­ne an diesem Donners­tag. «Wir warten morgen auf sie», sagte der Leiter der russi­schen Delega­ti­on, Wladi­mir Medin­ski, nach einer Meldung der Agentur Inter­fax. Die Ukrai­ner seien auf der Anreise.

Zuvor hatte der ukrai­ni­sche Delega­ti­ons­lei­ter David Aracha­mi­ja nach einer Meldung der Agentur Unian neue Gesprä­che bestä­tigt. Er hatte zunächst von Beratun­gen am Mittwoch­abend gespro­chen. Es wären die zweiten Friedens­ge­sprä­che seit dem Einmarsch russi­scher Truppen in das Nachbar­land am Donners­tag voriger Woche.

Neue Luftan­grif­fe auf Kiew

In der ukrai­ni­schen Haupt­stadt ist es am Abend zu neuen Luftan­grif­fen gekom­men. Nach Angaben des staats­ei­ge­nen Bahnun­ter­neh­mens Ukrsa­lis­nyz­ja schlug ein Geschoss südlich des Haupt­bahn­hofs ein. «Das Bahnhofs­ge­bäu­de hielt stand und wurde leicht beschä­digt.» Zur Zeit des Angriffs sollten Tausen­de Kinder und Frauen mit Zügen in Sicher­heit gebracht werden.

Über mögli­che Opfer ist zunächst nichts bekannt. Ein in sozia­len Medien veröf­fent­lich­tes Video zeigte Rauch in der Nähe der Gleise aufstei­gen. Der Zugver­kehr gehe weiter, teilte Ukrsa­lis­nyz­ja mit. In der Nähe des Bahnhofs liegt das Verteidigungsministerium.

In Kiew wie auch in vielen anderen Städten des Landes wurde am Abend Luftalarm ausge­löst. Die Kiewer Bürger­meis­ter Vitali Klitsch­ko schrieb im Nachrich­ten­ka­nal Telegram: «Die Lage ist kompli­ziert.» In der Millio­nen­stadt seien mehre­re Explo­sio­nen zu hören gewesen. «Mehre­re Autos fingen Feuer.» Zudem sei eine Polizei­sta­ti­on beschä­digt worden. Kämpfe habe es in nördli­chen Voror­ten gegeben.

Moskau: 498 Russen getötet

Im Krieg in der Ukrai­ne sind nach Angaben des Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums in Moskau bisher 498 russi­sche Solda­ten getötet worden. Zudem seien 1597 Solda­ten verletzt worden, teilte das Minis­te­ri­um mit. Es sind die ersten offizi­el­len Zahlen dazu aus Russland seit Kriegs­be­ginn am Donners­tag voriger Woche. Die Ukrai­ne hatte bisher von rund 6000 getöte­ten russi­schen Solda­ten gesprochen.

Auf ukrai­ni­scher Seite habe es bislang 2870 getöte­te «Solda­ten und Natio­na­lis­ten» sowie etwa 3700 verletz­te Menschen gegeben, sagte der Sprecher des russi­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums, Igor Konaschen­kow. Diese Angaben sind nicht unabhän­gig zu überprü­fen. Die Ukrai­ne hat zu Verlus­ten in den eigenen Reihen keine aktuel­len Angaben gemacht.

Deutsche Waffen angekommen

Die von Deutsch­land bereit­ge­stell­ten Waffen für die Ukrai­ne sind überge­ben worden. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regie­rungs­krei­sen in Berlin.

Am Samstag hatte die Bundes­re­gie­rung angekün­digt, die ukrai­ni­schen Streit­kräf­te mit 1000 Panzer­ab­wehr­waf­fen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ «Stinger» unter­stüt­zen zu wollen.

Putin telefo­niert mit Bennett

Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin hat erneut mit dem israe­li­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Nafta­li Bennett telefo­niert. Das teilte der Kreml in Moskau mit. Es sei um die von Russland geführ­te «Spezi­al-Militär­ope­ra­ti­on» gegan­gen. Putin habe die Positi­on Russlands darge­legt und erneut Bedin­gun­gen zur Lösung des Konflikts skizziert. Die Regie­rung in Kiew muss demnach die «Volks­re­pu­bli­ken» Luhansk und Donezk in der Ostukrai­ne sowie Russlands Anspruch auf die Schwarz­meer-Halbin­sel Krim anerken­nen. Zudem fordert Russland eine «Demili­ta­ri­sie­rung» der Ukraine.

Angriff auf Holocaust-Gedenk­stät­te Babyn Jar

Der ukrai­ni­sche Präsi­dent Wolodym­yr Selen­skyj verur­teil­te den russi­schen Angriff auf den Fernseh­turm in Kiew nahe der Holocaust-Gedenk­stät­te Babyn Jar. Am Diens­tag waren mutmaß­lich zwei Raketen in unmit­tel­ba­rer Nähe von Babyn Jar einge­schla­gen. Im Septem­ber 1941 hatten deutsche Truppen nach dem Einmarsch in Kiew in Babyn Jar mehr als 33.000 Juden erschos­sen. Selen­skyj hat jüdische Wurzeln. Putin bezeich­net die ukrai­ni­sche Führung als Nazis und recht­fer­tig­te seinen Angriff auch mit dem Ziel einer «Entna­zi­fi­zie­rung» der Ukraine.

Andau­ern­de Kämpfe

Die Ukrai­ne hat andau­ern­de Kämpfe in zahlrei­chen Städten, aber auch erste Rückerobe­run­gen gemel­det. So wurde Militär­an­ga­ben zufol­ge im Westen der Region Kiew die Siedlung Makariw zurück­ge­holt. Auch bei Horliw­ka im ostukrai­ni­schen Donbass sollen ukrai­ni­sche Solda­ten demnach Erfol­ge verbucht haben. Unabhän­gig überprü­fen ließen sich diese Angaben zunächst nicht.

Nach Luftan­grif­fen sprachen die Behör­den der südukrai­ni­schen Hafen­stadt Mariu­pol unter­des­sen mittler­wei­le von mehr als 130 Verletz­ten. In der Region Schyto­myr sollen bei einem Luftan­griff vier Menschen getötet und fünf verletzt worden sein.

In der ostukrai­ni­schen Millio­nen­stadt Charkiw, wo nach schwe­ren Angrif­fen ukrai­ni­schen Angaben zufol­ge mindes­tens 21 Menschen getötet wurden, soll auch die Univer­si­tät bei Einschlä­gen getrof­fen worden sein. Ukrai­ni­sche Medien veröf­fent­lich­ten Bilder von dichten Rauch­schwa­den, die in Charkiw aufge­nom­men worden sein sollen.

Ukrai­ne fordert Feuer­pau­se zur Evakuierung

Die Ukrai­ne fordert Russland zu einer Feuer­pau­se in den ostukrai­ni­schen Regio­nen Charkiw und Sumy auf, um Zivilis­ten in Sicher­heit bringen zu können. Die russi­sche Seite werde gebeten, «ihre Feind­se­lig­kei­ten in Charkiw und Sumy unver­züg­lich einzu­stel­len, damit wir die Evaku­ie­rung der Zivil­be­völ­ke­rung, einschließ­lich auslän­di­scher Studen­ten, in siche­re­re ukrai­ni­sche Städte arran­gie­ren können», heißt es in einer Mittei­lung des ukrai­ni­schen Außenministeriums.

Es hielten sich dort weiter Studen­ten aus Indien, Pakistan, China und anderen Ländern auf, die wegen russi­scher Raketen­an­grif­fe auf Wohnge­bie­te bislang nicht hätten fliehen können, hieß es weiter. Russland demen­tiert vehement, Zivilis­ten zu attackieren.

Das russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um teilte mit, gegen Geheim­dienst-Einrich­tun­gen in Kiew seien «hochprä­zi­se Waffen» einge­setzt worden. Der Fernseh­turm sei deakti­viert. Seit Beginn des Krieges seien mehr als 1500 ukrai­ni­sche Militär­ob­jek­te zerstört worden.

Das russi­sche Militär gab an, Kontrol­le über die seit Tagen umkämpf­te südukrai­ni­sche Großstadt Cherson zu haben — die Ukrai­ne weist das zurück. Die Kämpfe dauer­ten noch an, sagte der Berater des Bürolei­ters im ukrai­ni­schen Präsi­di­al­amt, Olexij Aresto­witsch. Mit der Einnah­me Chersons könnte Russland den ukrai­ni­schen Nachschub zwischen dem Westen und dem Osten des Landes schwer treffen. Auch die ostukrai­ni­sche Millio­nen­stadt Charkiw erleb­te erneut schwe­re Angriffe.

Mehr als als 400 Brände, die «durch Feind­be­schuss» entstan­den, seien nach Angaben aus Kiew seit vergan­ge­nen Donners­tag gelöscht worden. Den Angaben zufol­ge wurden 500 Menschen in Sicher­heit gebracht. Mit Blick auf die andau­ern­den Angrif­fe hieß es: «Jede Stunde kostet das Leben unserer Kinder, Frauen und Verteidiger.»

Die militä­ri­sche Einschätzung

Eine langfris­ti­ge Besat­zung der Ukrai­ne wäre nach Ansicht des briti­schen Vertei­di­gungs­mi­nis­ters Ben Wallace eine große Heraus­for­de­rung. Russland müsse sich auf «Jahre des Wider­stands» einstel­len. Der Vorsit­zen­de des Bundes­wehr­ver­bands, André Wüstner, rechnet mit einem Gueril­la­krieg in den ukrai­ni­schen Städten.

USA kündi­gen weite­re Sanktio­nen an

Die US-Regie­rung hat weite­re Sanktio­nen gegen Russland und die Einfüh­rung strik­ter Kontrol­len für den Export von Hightech-Produk­ten nach Belarus angekün­digt. Die neuen Sanktio­nen richten sich gegen 22 russi­sche Rüstungs­un­ter­neh­men, wie das Weiße Haus erklär­te. Zudem würden Export­kon­trol­len für Techno­lo­gien einge­führt, die Russland langfris­tig für die Raffi­ne­rien zur Verar­bei­tung von Öl und Gas brauche. Die USA und ihre Verbün­de­ten teilten ein «großes Inter­es­se daran, Russlands Status als führen­der Energie­lie­fe­rant zu schwä­chen», erklär­te das Weiße Haus weiter. Damit greife man «Russlands größte Einnah­me­quel­le» an.

Die bereits gegen Russland einge­führ­ten strik­ten Export­kon­trol­len für Hightech-Produk­te wie Halblei­ter, Software und für Teile der Luftfahrt­in­dus­trie würden in Kürze auch für Belarus gelten, hieß es weiter. Dies werde verhin­dern, dass Moskau die Partner in Minsk nutze, um US-Export­kon­trol­len zu umgehen. Zudem werde es «die Fähig­keit beider Länder, ihre militä­ri­sche Aggres­si­on beizu­be­hal­ten», deutlich schwä­chen, erklär­te das Weiße Haus.

Sanktio­nen zu Krypto­wäh­run­gen geplant

«Insbe­son­de­re werden wir Maßnah­men zu Krypto­wäh­run­gen ergrei­fen, die nicht dafür verwen­det werden dürfen, um die von der Europäi­schen Union beschlos­se­nen Finanz­sank­tio­nen zu umgehen», kündig­te der franzö­si­sche Finanz­mi­nis­ter Bruno Le Maire nach einem Online-Sonder­tref­fen der EU-Finanz- und Wirtschafts­mi­nis­ter an. Le Maire sagte, die beschlos­se­nen finan­zi­el­len Sanktio­nen gegen Russland seien bereits sehr effizi­ent und hätten zu einer «Desor­ga­ni­sa­ti­on» des russi­schen Finanz­sys­tems geführt.

«Wir werden den Druck verstär­ken, sollte die russi­sche Führung nicht einlen­ken», sagte Bundes­fi­nanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner. Man sollte daher Maßnah­men ergrei­fen, um zu unter­bin­den, dass bereits sanktio­nier­te Perso­nen und Insti­tu­tio­nen auf unregu­lier­te Kryptower­te auswei­chen könnten, so Lindner.

Die Europäi­sche Union hat zudem neue Sanktio­nen gegen Russlands Verbün­de­ten Belarus verhängt. Die Straf­maß­nah­men sollen unter anderem die belarus­si­sche Holz‑, Kali,- und Stahl­in­dus­trie treffen. Zudem wurden 22 weite­re hohe belarus­si­sche Offizie­re mit Vermö­gens- und Reise­sper­ren belegt, weil sie die russi­sche Invasi­on unter­stützt hätten. Die Maßnah­men wurden im EU-Amtsblatt veröf­fent­licht und sind ab sofort gültig.

Lawrow nennt Sanktio­nen «Diebstahl»

Russlands Außen­mi­nis­ter Sergej Lawrow hat das Einfrie­ren russi­scher Vermö­gens­wer­te im Ausland durch westli­che Länder als «Diebstahl» kriti­siert. «Sie spucken auf alle ihre Prinzi­pi­en, die sie auf der inter­na­tio­na­len Bühne veran­kert haben», sagte Lawrow in einem Inter­view dem TV-Sender Al-Dscha­si­ra, aus dem die russi­sche Agentur Inter­fax zitier­te. Der Westen habe begon­nen, die Vermö­gens­wer­te der russi­schen Zentral­bank und priva­ter Unter­neh­mer zu beschlag­nah­men, so Lawrow. «Das ist Diebstahl.»

Als Reakti­on auf Russlands Krieg gegen die Ukrai­ne hatte etwa die EU auch Vermö­gens­wer­te von russi­schen Oligar­chen und Perso­nen aus dem Umfeld von Präsi­dent Wladi­mir Putin einge­fro­ren und ihre Reise­frei­heit einge­schränkt. Betrof­fen sind etwa Kreml­spre­cher Dmitri Peskow oder Tui-Großak­tio­när Alexej Mordaschow.

USA verschie­ben Raketentest

Die US-Regie­rung verschiebt als Zeichen der Deeska­la­ti­on im Konflikt mit Russland den geplan­ten Test einer Langstre­cken­ra­ke­te. Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Lloyd Austin habe angeord­net, dass der für diese Woche vorge­se­he­ne Test einer ballis­ti­schen Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­te vom Typ Minuteman III vorerst nicht statt­fin­de, erklär­te Penta­gon-Sprecher John Kirby. Damit wolle man zeigen, dass die USA nicht die Absicht hätten, sich an Aktio­nen zu betei­li­gen, «die missver­stan­den oder falsch inter­pre­tiert» werden könnten. «Wir haben diese Entschei­dung nicht leicht­fer­tig getrof­fen, sondern um zu zeigen, dass wir eine verant­wor­tungs­vol­le Atommacht sind.»

Die Ankün­di­gung von Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin, Abschre­ckungs­waf­fen in erhöh­te Alarm­be­reit­schaft zu setzen, sei «gefähr­lich», «unnötig» und «inakzep­ta­bel», sagte Kirby. Sowohl die Verei­nig­ten Staaten als auch Russland seien sich eigent­lich seit langem einig, dass der Einsatz von Atomwaf­fen verhee­ren­de Folgen haben könnte, sagte Kirby. Ein Atomkrieg könne nicht gewon­nen und dürfe niemals geführt werden. Der verscho­be­ne Raketen­test habe keinen Einfluss auf die «strate­gi­sche Nukle­ar­po­si­ti­on» der USA. Kirby beton­te außer­dem, dass der Test keines­falls abgesagt sei, es gebe aber noch keinen neuen Termin.

Von Martin Roman­c­zyk, dpa