BERLIN (dpa) — Vor allem in sozia­len Medien geistern Erzäh­lun­gen zur vermeint­li­chen Wunder­waf­fe Ivermec­tin gegen Covid-19 schon länger herum. Mit dem Präpa­rat werden eigent­lich Parasi­ten bekämpft — nicht Viren wie Sars-CoV‑2. Exper­ten warnen vor der eigen­mäch­ti­gen Einnahme.

«Sie sind kein Pferd. Sie sind keine Kuh», twittert im Spätsom­mer die US-Arznei­mit­tel­be­hör­de FDA. «Im Ernst, Leute, hört auf damit.» Was ist passiert? Seiner­zeit wächst das Inter­es­se an einem Arznei­stoff namens Ivermec­tin zur Covid-19-Behand­lung beim Menschen.

Der Hype hält in bestimm­ten Foren und Kanälen bis heute an. Genutzt wird das Mittel regulär zur Bekämp­fung von Würmern bei Tieren. Zudem wird es in gerin­ge­ren Dosen beim Menschen etwa bei bestimm­ten Krank­hei­ten eingesetzt.

Behaup­tung: Ivermec­tin ist ein effek­ti­ves Mittel gegen Covid-19.

Bewer­tung: Diese Einschät­zung gibt die Studi­en­la­ge bei weitem nicht her.

Fakten: Ivermec­tin kann beim Menschen etwa gegen bestimm­te Faden­wür­mer und Krätze­mil­ben einge­setzt werden. Gegen Covid-19 ist das Medika­ment weder zugelas­sen noch sehen Exper­ten eindeu­ti­ge Effek­te gegen Covid-19. Bei falscher Dosie­rung kann Ivermec­tin hochgif­tig sein.

Was die Exper­ten sagen:

Das Robert Koch-Insti­tut (RKI) sieht bisher keinen Hinweis auf eine Wirksam­keit von Ivermec­tin gegen Covid-19 in Bezug auf die Notwen­dig­keit künst­li­cher Sauer­stoff­zu­fuhr oder die Sterb­lich­keit nach einer Corona-Infek­ti­on. Dazu verweist die Behör­de auf eine übergrei­fen­de Analy­se von 14 klini­schen Studi­en vom Juli 2021.

In dieser schrei­ben Forsche­rin­nen und Wissen­schaft­ler unter anderem des Univer­si­täts­kli­ni­kums Würzburg, die von ihnen betrach­te­ten Studi­en seien klein und nur teilwei­se von hoher Quali­tät. «Wir sind unsicher in Bezug auf Wirksam­keit und Sicher­heit von Ivermec­tin bei der Behand­lung oder Vorbeu­gung von Covid-19.» Insge­samt sprächen die verfüg­ba­ren zuver­läs­si­gen Erkennt­nis­se nicht für die Verwen­dung zur Covid-19-Behand­lung oder ‑Vorbeu­gung außer­halb gut konzi­pier­ter Studien.

Genau­so empfiehlt die europäi­sche Arznei­mit­tel­agen­tur EMA eine Ivermec­tin-Anwen­dung nur im Rahmen klini­scher Unter­su­chun­gen. Sie schreibt im März über unein­heit­li­che Studi­en-Ergeb­nis­se: Einige hätten keinen Nutzen gezeigt, andere einen mögli­chen. «Die meisten von der EMA geprüf­ten Studi­en waren klein und wiesen zusätz­li­che Einschrän­kun­gen auf, darun­ter unter­schied­li­che Dosie­run­gen und die Verwen­dung von Begleit­me­di­ka­men­ten», begrün­det die EU-Behör­de ihre Entschei­dung gegen einen Einsatz in der Pandemie.

Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) hält ihre Einschät­zung vom März weiter aufrecht: «Die Auswir­kun­gen von Ivermec­tin auf Sterb­lich­keit, künst­li­che Beatmung, Hospi­ta­li­sie­rung, Dauer des Klinik­auf­ent­halts und Virus­be­sei­ti­gung bleiben ungewiss, da die Bewei­se für jedes dieser Ergeb­nis­se sehr unsicher sind», heißt es im Septem­ber. Die 16 unter­such­ten Studi­en mit insge­samt rund 2400 Teilneh­mern zeigten «ein hohes Risiko für Verzer­run­gen und eine hohe Ungenauigkeit».

Wofür Ivermec­tin eigent­lich einge­setzt wird:

Bei Tieren wird Ivermec­tin in Form von Injek­tio­nen oder Pasten zur Behand­lung bei Parasi­ten­be­fall verwen­det. Hochkon­zen­trier­te Dosen für große und schwe­re Lebewe­sen wie Kühe oder Pferde unter­schei­den sich stark von denen, die für Menschen gedacht sind. Für diese sind in ganz bestimm­ten Dosie­run­gen Ivermec­tin-Tablet­ten zur Behand­lung einiger parasi­tä­rer Würmer oder Hautkrank­hei­ten wie Rosazea zugelassen.

Nach Angaben auf dem Beipack­zet­tel kann die Verwen­dung des Medika­ments zu Leber­er­kran­kun­gen, Blut im Urin, Übelkeit, Erbre­chen, Zittern, Atembe­schwer­den, Hoden­schmer­zen, Gleich­ge­wichts­stö­run­gen oder Krampf­an­fäl­len kommen. Eine Überdo­sie­rung könne zu Koma oder Tod führen, schrei­ben die Exper­ten der FDA.

Wie es zum Hype um das Präpa­rat kam:

Impfgeg­ner sehen in dem Medika­ment schon länger ein Wunder­mit­tel in der Corona-Pande­mie. In Öster­reich zum Beispiel, wo etwa Politi­ker der rechts­po­pu­lis­ti­schen FPÖ Ivermec­tin immer wieder anprei­sen, wurde zeitwei­se von einem Run auf Apothe­ken berich­tet. Ende August wiesen Exper­ten der US-Gesund­heits­be­hör­de CDC auf immer mehr Anrufe bei Giftnot­ruf­zen­tra­len nach der Einnah­me von Ivermec­tin hin. Der Behör­de zufol­ge gibt es Daten, wonach die Zahl der Verschrei­bun­gen in US-Einzel­han­del­sapo­the­ken von im Schnitt 3900 pro Woche vor Beginn der Pande­mie auf knapp 90.000 Mitte August anstieg.

Angefeu­ert wird der Hype vor allem von unseriö­sen Seiten im Inter­net, die zuwei­len auf vermeint­lich vielver­spre­chen­de Studi­en­ergeb­nis­se im Zusam­men­hang mit Ivermec­tin verwei­sen. Vor allem positi­ve Ergeb­nis­se kleine­rer Studi­en veran­las­sen Lobby­grup­pen dazu, den Einsatz als Covid-Medika­ment zu fordern. Ja: Es stimmt, dass es einzel­ne Erhebun­gen gibt, die einen angeb­li­chen Nutzen zeigen. Dabei muss man die einzel­nen Unter­su­chun­gen aber genau­er betrachten.

Zum Beispiel hieß es im Juni etwa von der Univer­si­tät Oxford, Ivermec­tin habe in kleinen Labor­stu­di­en vielver­spre­chen­de Ergeb­nis­se erzielt. Eine frühe Verab­rei­chung reduzie­re die Virus­last und die Dauer der Sympto­me bei einigen Patien­ten mit leich­ter Erkran­kung, so die damali­ge Annah­me. Doch seiner­zeit wurde bereits einge­schränkt: Da es nur wenige Belege aus kontrol­lier­ten Studi­en gebe, solle Ivermec­tin in eine großan­ge­leg­te Erhebung einbe­zo­gen werden, um Aussa­ge­kraft zu erhal­ten. Soll heißen: Beweis­kraft eher überschaubar.

Bereits im April 2020 wieder­um wie eine austra­li­sche Labor­stu­die darauf hin, dass Ivermec­tin in Zellkul­tu­ren die Sars-CoV-2-Vermeh­rung hemmen könnte. Doch Forscher etwa der Donau-Univer­si­tät im öster­rei­chi­schen Krems ordne­ten die Ergeb­nis­se ein: «Die dabei verwen­de­te Dosis lag jedoch weit über jener, die für Menschen als unbedenk­lich gilt.»

Gerade wegen solch diffu­ser Lagen gibt es sogenann­te Meta-Analy­sen, die Einzel­un­ter­su­chun­gen zusam­men­fas­sen. Bisher kommt keine dieser zuver­läs­si­gen Übersichts­stu­di­en zu der Erkennt­nis, dass bei Ivermec­tin ein Nutzen gegen Covid-19 erkenn­bar ist. Und darauf bezie­hen sich die Festle­gun­gen unter anderem von RKI, WHO und EMA.

Angeb­lich gute Erfah­run­gen im Ausland:

Häufig verwei­sen Ivermec­tin-Anhän­ger auch auf Länder wie Indien oder Japan, wo das Mittel angeb­lich gehol­fen haben soll, die Pande­mie einzu­däm­men. Dabei hat die Regie­rung in Neu-Delhi schon längst wieder Abstand von dem Medika­ment genom­men, unter anderem wegen des «hohen Risikos der Einsei­tig­keit in vielen Studi­en». Auch die Behaup­tung, Tokio setze mittler­wei­le anstatt auf die Impfung auf Ivermec­tin, ist frei erfun­den. Auf der Liste der in Japan gegen Corona zugelas­se­nen Arznei taucht das Mittel gar nicht auf.

In Öster­reich spricht sich sogar der Herstel­ler MSD (Merck Sharp & Dohme) gegen eine eigen­mäch­ti­ge Einnah­me aus: «Es gibt keine aussa­ge­kräf­ti­ge Evidenz für die Anwen­dung von Ivermec­tin bei Sars-CoV‑2», teilte das Unter­neh­men jüngst mit.

Der Virolo­ge Chris­toph Steinin­ger von der Medizi­ni­schen Univer­si­tät Wien rät «dringend» von einer Covid-19-Behand­lung mit Ivermec­tin ab: «Zusätz­lich zur fehlen­den Zulas­sung und Wirkung [ist] die Möglich­keit schwe­rer Neben­wir­kun­gen zu bedenken.»

Von Sebas­ti­an Fischer, dpa