BRÜSSEL (dpa) — Ist Gentech­nik unnötig oder Baustein einer moder­nen Landwirt­schaft? Neue Metho­den erlau­ben präzi­se Züchtun­gen, die auch natür­lich entste­hen könnten. Manche sehen die geplan­te Deregu­lie­rung kritisch.

Viele gentech­nisch verän­der­te Lebens- und Futter­mit­tel sollen in der EU künftig einfa­cher erforscht und ohne spezi­el­le Kennzeich­nung verkauft werden können. Die EU-Kommis­si­on schlug in Brüssel vor, entspre­chen­de Züchtun­gen von den stren­gen Gentech­nik-Regeln auszu­neh­men, wenn die neuen Pflan­zen auch durch herkömm­li­che Züchtungs­me­tho­den hätten entste­hen können.

Für sie gelten aber weiter­hin diesel­ben Sicher­heits­vor­ga­ben wie für Züchtun­gen, die etwa durch Kreuzung und Ausle­se entstan­den sind. Im Zweifel kann eine etwa durch die Gen-Schere Crispr/Cas verän­der­te Pflan­ze nicht von einer natür­li­chen Züchtung unter­schie­den werden. Mit der Gen-Schere sind sowohl kleine als auch größe­re Eingrif­fe möglich. Für weitge­hen­de­re Eingrif­fe in Pflan­zen gelten auch in Zukunft die stren­gen EU-Gentech­nik-Regeln, etwa, wenn artfrem­de Gene in eine Pflan­ze einge­bracht werden, beispiels­wei­se Gene aus einem Bakte­ri­um in Mais.

Durch den siche­ren Einsatz der neuen Gentech­nik­ver­fah­ren hätten Landwir­te Zugang zu wider­stands­fä­hi­ge­ren Pflan­zen, die etwa weniger Pesti­zi­de benötig­ten, sagte EU-Kommis­si­ons­vi­ze Frans Timmer­mans. Zudem erhof­fen sich die Befür­wor­ter von locke­re­ren Regeln schnel­le­re Ergeb­nis­se bei der Zucht von Pflan­zen, die etwa mehr Nährstof­fe haben oder besser mit Trocken­heit zurecht­kom­men. Zahlrei­che Forschen­de und führen­de wissen­schaft­li­che Organi­sa­tio­nen drängen auf eine Deregu­lie­rung und sehen darin kein erhöh­tes Risiko für Menschen und Umwelt.

Verband: «Angriff auf die Bio-Wirtschaft»

Der Verband Lebens­mit­tel ohne Gentech­nik macht sich derweil Sorgen um sein Geschäfts­mo­dell: «Das ist ein Angriff auf die “Ohne Gentech­nik”- und die Bio-Wirtschaft, die zusam­men allein in Deutsch­land für über 30 Milli­ar­den Euro Umsatz stehen», sagte Bernhard Stoll, Vorstands­mit­glieds­mit­glied des Verbandes.

Kriti­ker befürch­ten zudem, dass Großkon­zer­ne etwa über Paten­te noch mehr Einfluss auf unsere Lebens­mit­tel bekom­men könnten. Matin Qaim von der Uni Bonn hält dem entge­gen: «Die Dominanz weniger Großkon­zer­ne im Bereich der Gentech­nik kommt vor allem dadurch zustan­de, dass die Zulas­sungs­ver­fah­ren so extrem langwie­rig und teuer sind.» Mit einer Deregu­lie­rung könnten auch kleine Firmen und öffent­li­che Einrich­tun­gen wieder mitspie­len, so der Profes­sor für Agrarökonomie.

Weite­re­re Kritik­punk­te bestehen darin, dass Verbrau­che­rin­nen und Verbrau­cher sich künftig schwie­ri­ger bewusst gegen Gentech­nik in Lebens­mit­teln entschei­den könnten und die Bioland­wirt­schaft leiden könnte. Die neuen Gentech­nik­ver­fah­ren sollen jedoch bei Öko-Lebens­mit­teln nicht einge­setzt werden dürfen. Um eine Koexis­tenz sicher­zu­stel­len, sollen die EU-Länder laut Kommis­si­on Maßnah­men beschlie­ßen, beispiels­wei­se einen gewis­sen Abstand zwischen Feldern.

Bevor die Vorschlä­ge Reali­tät werden können, müssen die EU-Staaten und das Europa­par­la­ment noch einen Kompro­miss aushan­deln. Aus den Ampel-Partei­en waren bislang unter­schied­li­che Töne zu hören. Politi­ke­rin­nen und Politi­ker der Grünen und SPD sehen Locke­run­gen kritisch, während Vertre­te­rin­nen und Vertre­ter der FDP eher die erwar­te­ten Vortei­le der locke­re­ren Regeln betonen.