BERLIN (dpa) — Drei Jahre nach einem wegwei­sen­den Urteil ging es um eine schwie­ri­ge ethische Frage: Welche Regeln soll der Staat suizid­wil­li­gen Menschen und Ärzten setzen? Zwei Vorschlä­ge dazu lagen vor — und fielen durch.

Für Angebo­te zur Sterbe­hil­fe in Deutsch­land gibt es vorerst keinen gesetz­li­chen Rahmen mit Vorga­ben zu Warte­zei­ten und verpflich­ten­den Beratun­gen. Im Bundes­tag verfehl­ten zwei Vorschlä­ge dazu am Donners­tag eine Mehrheit.

Das Parla­ment forder­te angesichts von jährlich rund 9000 Suizi­den aber einen Ausbau von Angebo­ten zur Vorbeu­gung. Hinter­grund der Initia­ti­ven zweier Abgeord­ne­ten­grup­pen war ein Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, das ein Verbot der geschäfts­mä­ßi­gen Sterbe­hil­fe im Straf­ge­setz­buch 2020 gekippt hatte — weil es das Recht auf selbst­be­stimm­tes Sterben verletz­te. Dabei hat geschäfts­mä­ßig nichts mit Geld zu tun, sondern meint auf Wieder­ho­lung angelegt. Regulie­rungs­mög­lich­kei­ten nutzte der Bundes­tag nun nicht.

In einer sachlich geführ­ten Debat­te hatten beide Abgeord­ne­ten­grup­pen um Unter­stüt­zung für ihre Vorschlä­ge gewor­ben. Die FDP-Politi­ke­rin Katrin Helling-Plahr sagte, es gebe so viele Menschen, die sich Sicher­heit wünsch­ten, selbst­be­stimmt gehen zu dürfen, wenn für sie der richti­ge Zeitpunkt gekom­men sei. Dabei dürfe man «nicht schon wieder mit dem Straf­recht drohen». Lars Castel­luc­ci (SPD) sagte für die andere Gruppe, es gelte, beglei­te­ten Suizid zu ermög­li­chen, aber nicht zu fördern. Wer dies organi­siert anbie­te und sich nicht an ein Schutz­kon­zept halte, mache sich dem Entwurf zufol­ge daher strafbar.

Mehrheit für gemein­sam getra­ge­nen Antrag

Für die strik­te­re Regelung der Gruppe um Castel­luc­ci und Ansgar Heveling (CDU) stimm­ten 304 Abgeord­ne­te, mit Nein votier­ten 363 und 23 enthiel­ten sich. Der andere Entwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Renate Künast (Grüne) bekam dann 287 Ja-Stimmen, es gab aber 375 Nein-Stimmen und 20 Enthal­tun­gen. Mit großer Mehrheit angenom­men wurde am Ende ein von beiden Gruppen getra­ge­ner Antrag für einen Ausbau der Suizid-Vorbeu­gung. Dafür stimm­ten 688 Abgeord­ne­te, es gab eine Nein-Stimme und vier Enthal­tun­gen. Gefor­dert wird unter anderem ein bundes­wei­ter Präven­ti­ons­dienst, der Menschen mit Suizid­ge­dan­ken und Angehö­ri­gen rund um die Uhr online und mit einer einheit­li­chen Telefon­num­mer Kontakt zu geschul­ten Ansprech­part­nern ermöglicht.

Beide abgelehn­ten Gesetz­ent­wür­fe sollten Voraus­set­zun­gen für eine Suizid­hil­fe nur für Volljäh­ri­ge festschrei­ben — auf unter­schied­li­che Weise. Der Vorschlag der Gruppe Castellucci/Heveling sah dazu ein grund­sätz­li­ches Verbot mit Sanktio­nen im Straf­ge­setz­buch vor, aber zugleich geregel­te Ausnah­men. So sollte festge­stellt werden müssen, dass die betrof­fe­ne Person keine «die autono­me Entschei­dungs­fin­dung beein­träch­ti­gen­de psychi­sche Erkran­kung» hat und das Sterbe­ver­lan­gen «freiwil­li­ger, ernst­haf­ter und dauer­haf­ter Natur ist». Einge­schätzt werden sollte dies von einem Facharzt für Psych­ia­trie und Psycho­the­ra­pie bei zwei Termi­nen im Abstand von drei Monaten.

Der Entwurf der Gruppe Künas­t/Hel­ling-Plahr sah vor: «Jeder, der aus autonom gebil­de­tem, freiem Willen sein Leben eigen­hän­dig beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen.» Ärzte und Ärztin­nen dürften dann tödli­che Arznei­mit­tel dafür verschrei­ben — aber unter Bedin­gun­gen außer­halb des Straf­rechts. So sollten solche Mittel frühes­tens drei Wochen und höchs­tens zwölf Wochen nach einer vorge­ge­be­nen ergeb­nis­of­fe­nen Beratung verord­net werden dürfen.

Lauter­bach bedau­ert «gewis­se Rechtsunsicherheit»

Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach bedau­er­te, dass keiner der Anträ­ge eine Mehrheit fand. Die jetzi­ge Situa­ti­on hinter­las­se «natür­lich eine gewis­se Rechts­un­si­cher­heit». So werde es nun auch auf das eine oder andere Gerichts­ur­teil ankom­men, wie der Rahmen für Suizid-Hilfe auszu­le­gen sei. Lauter­bach begrüß­te einen vom Bundes­tag gefor­der­ten Suizid-Präven­ti­ons­plan, an dem schon gearbei­tet werde.

Der FDP-Abgeord­ne­te Benja­min Stras­ser, der zur Gruppe Castel­luc­ci gehör­te, sagte, man werde mit etwas Abstand beraten, ob und wie ein neuer Anlauf unter­nom­men werden könnte. Nach der «Nicht-Entschei­dung des Bundes­tags» finde assis­tier­ter Suizid leider weiter in einem unregu­lier­ten Zustand statt. Die Linke-Abgeord­ne­te Petra Sitte, die zur anderen Gruppe gehör­te, bedau­er­te ebenfalls, dass die Suizid­hil­fe nun in einem «recht­li­chen und medizi­ni­schen Graube­reich» verblei­be. Sie werde aber weiter statt­fin­den. Gut sei, dass Suizid­hil­fe nicht wieder in den Bereich des Straf­rechts gestellt worden sei.

Vor ethischem Dilem­ma bewahrt?

Die Deutsche Stiftung Patien­ten­schutz begrüß­te es, dass sich der Bundes­tag gegen beide Entwür­fe entschied. «So wird Deutsch­land vor einem ethischen Dilem­ma bewahrt», sagte Vorstand Eugen Brysch. Die Bundes­ärz­te­kam­mer nannte es richtig, dass in der dicht gedräng­ten letzten Sitzungs­wo­che vor der Sommer­pau­se keine Entschei­dung gefal­len sei. «Nun haben wir Zeit für die noch nicht ausrei­chend geführ­te gesamt­ge­sell­schaft­li­che Debat­te», sagte Präsi­dent Klaus Reinhardt. Als ersten Schritt brauche es ein Gesetz zur Vorbeu­gung von Suiziden.

Unabhän­gig von den geschei­ter­ten Initia­ti­ven bestehen recht­li­che Regeln. So ist Ärztin­nen und Ärzten eine «Tötung auf Verlan­gen» auch auf ausdrück­li­chen und ernst­li­chen Wunsch hin verbo­ten, wie es in einer grund­sätz­li­chen Erläu­te­rung der Bundes­ärz­te­kam­mer heißt. Indes könnten in bestimm­ten Situa­tio­nen «Behand­lungs­be­gren­zun­gen» geboten sein. So solle ein «offen­sicht­li­cher Sterbe­vor­gang» nicht durch Thera­pien künst­lich in die Länge gezogen werden. Zudem dürfe ein Sterben durch Unter­las­sen, Begren­zen oder Beenden einer Behand­lung ermög­licht werden, wenn dies dem Patien­ten­wil­len entspreche.

Von Sascha Meyer, dpa