BERLIN/BRÜSSEL (dpa) — Drei große Gipfel mit einem großen Thema: der Ukrai­ne-Krieg und seine Folgen. EU, G7 und Nato stellen ab Donners­tag wichti­ge Weichen für ihre Zukunft. Kanzler Scholz ist auf der ganzen Strecke dabei.

Es ist ein Gipfel­ma­ra­thon, wie man ihn selten erlebt hat.

Er startet am kommen­den Donners­tag in Brüssel mit den Staats- und Regie­rungs­chefs der Europäi­schen Union, wird dann in den bayeri­schen Alpen von der G7-Runde wirtschafts­star­ker Demokra­tien fortge­setzt und findet nach acht Tagen seinen Abschluss in der spani­schen Haupt­stadt Madrid, wo die Nato sich neu aufstel­len will.

Fast 50 Länder aller Konti­nen­te sind betei­ligt. Aber nur drei Chefs werden die komplet­te Strecke von Anfang bis Ende zurück­le­gen: Bundes­kanz­ler Olaf Scholz, der franzö­si­sche Präsi­dent Emmanu­el Macron und der italie­ni­sche Minis­ter­prä­si­dent Mario Draghi. Nur ihre Länder gehören sowohl EU und Nato als auch der G7 an.

Genau diese drei Spitzen­po­li­ti­ker waren vergan­ge­ne Woche auch zur Vorbe­rei­tung des Gipfel­ma­ra­thons im Sonder­zug nach Kiew gereist, um den ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj zu treffen. Auch er will nun bei allen drei Gipfeln dabei sein, aber nur per Video-Schalte.

Das zeigt schon, welches Thema bei den Gipfeln alles andere in den Schat­ten stellen wird: Der Ukrai­ne-Krieg und seine globa­len Folgen werden sich wie ein roter Faden durch alle drei Gipfel ziehen.

EU-Gipfel in Brüssel

Wenn Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin seinen Streit­kräf­ten nicht am 24. Febru­ar den Einmarsch in das Nachbar­land Ukrai­ne befoh­len hätte, wäre beim EU-Gipfel an diesem Donners­tag und Freitag vermut­lich der Klima­schutz das absolu­te Top-Thema gewesen. Ursprüng­lich war geplant gewesen, bei dem Treffen die notwen­di­gen Weichen­stel­lun­gen für das Errei­chen der europäi­schen Einspar­zie­le für Treib­haus­ga­se vorzu­neh­men. Angesichts des Ukrai­ne-Kriegs und seiner Folgen wird das Thema aber nun allen­falls am Rande angesprochen.

Zu groß ist nach Angaben von Diplo­ma­ten die Sorge, sich über das schwie­ri­ge Problem­feld Klima­schutz zu zerstrei­ten — vor allem, da durch den Ukrai­ne-Krieg die Kosten für Energie nochmals gestie­gen sind und viele Regie­run­gen ihren Bürgern keine großen Zusatz­kos­ten für den Klima­schutz zumuten wollen.

Statt­des­sen werden die Staats- und Regie­rungs­chefs nun über die weite­re Unter­stüt­zung für die von Russland angegrif­fe­ne Ukrai­ne beraten. Die EU-Kommis­si­on hat zu dem Treffen vorge­schla­gen, die Ukrai­ne und ihr kleines Nachbar­land Moldau offizi­ell als EU-Beitritts­kan­di­da­ten anzuer­ken­nen. Zudem soll nach einem Entwurf für die Gipfel­schluss­fol­ge­run­gen auch die militä­ri­sche Unter­stüt­zung für die Ukrai­ne weiter ausge­baut werden.

Dass die Vorschlä­ge die notwen­di­ge Zustim­mung aller Staats- und Regie­rungs­chefs finden, gilt als sehr wahrschein­lich. Scholz, Macron und Draghi hatten sich dazu bereits in Kiew klar positio­niert. Offen war bis zuletzt aller­dings noch, ob andere EU-Staaten wie Öster­reich ihre Zustim­mung zum EU-Kandi­da­ten­sta­tus für die Ukrai­ne und Moldau an Fortschrit­te bei der EU-Erwei­te­rung auf den Westbal­kan knüpfen. Mit den Kolle­gen der Balkan­staa­ten wollen die Staats- und Regie­rungs­chefs am Donners­tag­vor­mit­tag vor dem EU-Gipfel zusam­men­kom­men. Öster­reich fordert zum Beispiel, auch Bosni­en-Herze­go­wi­na den Status eines EU-Beitritts­kan­di­da­ten zu verleihen.

G7-Gipfel in Elmau

Ein halbes Jahr nach seiner Verei­di­gung als Kanzler ist Scholz erstmals Gastge­ber eines großen inter­na­tio­na­len Gipfel­tref­fens. Auch in Elmau sollte eigent­lich der Klima­schutz das Topthe­ma sein. Auch hier wird aber der Ukrai­ne-Krieg im Vorder­grund stehen. Es soll um die Sanktio­nen gegen Russland und langfris­ti­ge Hilfe für die Ukrai­ne gehen, die nach vier Monaten Krieg von erheb­li­cher Zerstö­rung gezeich­net ist. «Klar ist, und das werden wir dort nochmal als G7 zusichern, dass wir die Ukrai­ne so lange unter­stüt­zen, wie das nötig ist», sagt Scholz.

Zur Reduzie­rung der Erder­wär­mung will Scholz seine Idee des Klima­clubs voran­trei­ben, die noch aus seiner Zeit als Finanz­mi­nis­ter stammt. «Die Staaten, die sich gemein­sam auf den Weg machen für mehr Klima­schutz, sollten unter­ein­an­der so zusam­men­ar­bei­ten können, wie wir es uns für die ganze Welt vorstel­len», beschreibt er das Projekt selbst.

Ein beson­de­res Anlie­gen ist es dem Kanzler, den Zusam­men­halt der Demokra­tien weltweit zu stärken. Deswe­gen hat Scholz Indien, Indone­si­en, Südafri­ka, den Senegal und Argen­ti­ni­en als Gastlän­der nach Elmau einge­la­den. «Unser Verständ­nis von Demokra­tie greift zu kurz, wenn wir uns nur auf den klassi­schen Westen konzen­trie­ren», sagt er. Die mächti­gen Demokra­tien der Zukunft seien in Asien, Afrika und im Süden Ameri­kas zu finden, und mit denen müsse man sich besser vernet­zen. «Ein beson­de­rer Erfolg wäre es, wenn der Gipfel der Ausgangs­punkt für einen neuen Blick auf die Welt der Demokra­tie sein könnte», sagt Scholz.

Nato-Gipfel in Madrid

Den Abschluss des Gipfel­ma­ra­thons wird schließ­lich das Treffen der Staats- und Regie­rungs­chefs der 30 Nato-Staaten in Madrid bilden. Unklar war noch, ob von dem am Diens­tag begin­nen­den Treffen wirklich die erhoff­te Botschaft der Geschlos­sen­heit ausge­hen wird. Grund ist die bishe­ri­ge Weige­rung der Türkei, einem Start von Nato-Beitritts­ge­sprä­chen mit Finnland und Schwe­den zuzustimmen.

Die beiden Länder hatten bereits Mitte Mai die Aufnah­me in die Vertei­di­gungs­al­li­anz beantragt und darauf gehofft, als zum Beitritt einge­la­de­ne Staaten beim Gipfel in Madrid dabei sein zu können. Die Türkei blockiert bislang aber den Aufnah­me­pro­zess und begrün­det ihre Haltung damit, dass Finnland und Schwe­den «Terror­or­ga­ni­sa­tio­nen» wie die verbo­te­ne kurdi­sche Arbei­ter­par­tei PKK und die syrische Kurden­mi­liz YPG unter­stüt­zen würden — was beide Länder zurückweisen.

Offen war bis zuletzt auch noch, ob Frank­reich bereit sein wird, der geplan­ten Erhöhung der Nato-Gemein­schafts­aus­ga­ben zuzustim­men. Das Land argumen­tier­te bislang, dass es effek­ti­ver sei, wenn jedes Land seine natio­na­len Vertei­di­gungs­aus­ga­ben vernünf­tig steigere.

Als sicher gilt unter­des­sen, dass sich die Nato-Staaten angesichts des russi­schen Vorge­hens gegen die Ukrai­ne auf eine langfris­ti­ge Stärkung der Ostflan­ke verstän­di­gen werden. Zudem soll ein neues strate­gi­sches Konzept beschlos­sen werden. Die aktuel­le Fassung stammt aus dem Jahr 2010. Damals hatten die Alliier­ten beispiels­wei­se noch gehofft, dass die Zeit der großen Spannun­gen mit Russland vorbei sei und auf eine «echte strate­gi­sche Partner­schaft» mit dem Land gesetzt.

Von Micha­el Fischer und Ansgar Haase, dpa