STUTTGART/TÜBINGEN (dpa) — Tübin­gens OB Boris Palmer ist für Provo­ka­tio­nen bekannt — nun hat er einen rassis­ti­schen Begriff benutzt. Die Südwest-Grünen wollen ihn aus der Partei werfen. Doch Palmer sieht sich missverstanden.

Nach einem erneu­ten Skandal um Äußerun­gen des Tübin­ger Oberbür­ger­meis­ters Boris Palmer wollen die Grünen ihn aus der Partei ausschließen.

Beim Landes­par­tei­tag in Baden-Württem­berg stimm­ten am Samstag 161 Delegier­te für ein Ausschluss­ver­fah­ren, 44 dagegen, und 8 enthiel­ten sich. «Die Zeit ist reif dafür. Denn das Maß ist voll», sagte Grünen-Landes­chef Oliver Hilden­brand in Stutt­gart. Der Tübin­ger OB sorge mit «insze­nier­ten Tabubrü­chen» für eine Polari­sie­rung der öffent­li­chen Debatte.

Palmer hatte zuvor auf Facebook mit Aussa­gen über den frühe­ren Fußball-Natio­nal­spie­ler Dennis Aogo für Empörung gesorgt. Im Zuge der Diskus­si­on benutz­te Palmer am Freitag einen rassis­ti­schen und obszö­nen Begriff aus einem Aogo zugeschrie­be­nen Zitat und kommen­tier­te, offen­sicht­lich ironisch: «Der Aogo ist ein schlim­mer Rassist.» Zur Begrün­dung verwies er auf einen nicht-verifi­zier­ten Facebook-Kommen­tar, in dem ohne jeden Beleg behaup­tet worden war, Aogo habe für sich selbst das N‑Wort benutzt. Mit dem Begriff N‑Wort wird heute eine früher gebräuch­li­che rassis­ti­sche Bezeich­nung für Schwar­ze umschrieben.

Baden-Württem­bergs Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann kriti­sier­te Palmer hart. «Solche Äußerun­gen kann man einfach nicht machen. Das geht einfach nicht», sagte der grüne Regie­rungs­chef am Samstag am Rande des Landes­par­tei­tags in Stutt­gart. «Ich finde es auch eines Oberbür­ger­meis­ters unwür­dig, dauernd mit Provo­ka­tio­nen zu polari­sie­ren.» Der Tübin­ger OB sei doch ein «Profi», der wissen müsse: «Ironie funktio­niert nie in der Politik.»

Palmer selbst erklär­te am Samstag in einem langen Facebook-State­ment, er habe eine Debat­te mit dem Stilmit­tel der Ironie ins Grotes­ke überzeich­net. Der Tübin­ger OB ließ sich vor der Abstim­mung für eine Gegen­re­de zum Partei­tag schal­ten und erklär­te, es hande­le sich um «haltlo­se und absur­de Vorwür­fe». Hier gehe es darum, abwei­chen­de Stimmen zum Verstum­men zu bringen. «Daher kann und will ich nicht wider­ru­fen.» Aller­dings empfahl er dem Partei­tag, dem Antrag für ein Ausschluss­ver­fah­ren zuzustim­men. Dann habe er endlich die Gelegen­heit, sich gegen die Anwür­fe zu vertei­di­gen. In einem Beitrag für die «Welt am Sonntag» schrieb Palmer: «Ich kann Ächtung und Existenz­ver­nich­tung wegen angeb­lich falscher Wortwahl niemals akzep­tie­ren. Das beschä­digt den Kern der libera­len Demokratie.»

Die Landes­par­tei hatte Palmer schon im Mai 2020 den Austritt nahege­legt und ihm ein Ausschluss­ver­fah­ren angedroht. Schon damals hatte Palmer mehrfach mit provo­ka­ti­ven Äußerun­gen für Empörung gesorgt, unter anderem mit einem Satz zum Umgang mit Corona-Patien­ten. «Wir retten in Deutsch­land mögli­cher­wei­se Menschen, die in einem halben Jahr sowie­so tot wären», hatte er damals in einem Inter­view gesagt.

Nach Palmers jüngs­ten Äußerun­gen wurden erneut Forde­run­gen laut, Konse­quen­zen zu ziehen. SPD-General­se­kre­tär Lars Kling­beil forder­te die Grünen am Samstag auf, Palmer aus der Partei auszu­schlie­ßen. Er sei mit seinen Ausfäl­len längst Wieder­ho­lungs­tä­ter, sagte Kling­beil der Deutschen Presse-Agentur. «Sein Verhal­ten kann nicht ohne Konse­quen­zen durch Frau Baerbock und die grüne Partei­füh­rung bleiben.»

Grünen-Kanzler­kan­di­da­tin Annale­na Baerbock erklär­te am Samstag­vor­mit­tag via Twitter: «Die Äußerung von Boris #Palmer ist rassis­tisch und absto­ßend. Sich nachträg­lich auf Ironie zu berufen, macht es nicht ungesche­hen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provo­ka­tio­nen, die Menschen ausgren­zen und verlet­zen. Boris Palmer hat deshalb unsere politi­sche Unter­stüt­zung verlo­ren. Nach dem erneu­ten Vorfall beraten unsere Landes- und Bundes­gre­mi­en über die entspre­chen­den Konse­quen­zen, inklu­si­ve Ausschlussverfahren.»

Am Freitag hatte Palmer unter der Überschrift «@Cancel Cultu­re» zunächst bedau­ert, dass der frühe­re Natio­nal­spie­ler Aogo nach einem verba­len Fehltritt vorerst nicht mehr als Exper­te beim Fernseh­sen­der Sky auftre­ten wird. Zuvor hatte Ex-Natio­nal­tor­wart Jens Lehmann in einer Kurznach­richt gefragt, ob Dennis Aogo wohl ein «Quoten-Schwar­zer» sei und war darauf­hin bei Hertha BSC rausge­flo­gen. Palmer schrieb dazu: «Lehmann weg. Aogo weg. Ist die Welt jetzt besser? Eine priva­te Nachricht und eine unbedach­te Formu­lie­rung, schon verschwin­den zwei Sport­ler von der Bildflä­che.» In den Kommen­ta­ren entspann sich die Diskus­si­on, in der Palmer eine vulgä­re Varian­te des N‑Worts aus einem unbeleg­ten angeb­li­chen Zitat Aogos nutzte.

«Meine Kritik am Auftritts­ver­bot von Aogo und Lehmann mit Rassis­mus in Verbin­dung zu bringen, ist so absurd, wie Dennis Aogo zu einem «schlim­men Rassis­ten» zu erklä­ren, weil ihm im Inter­net rassis­ti­sche Aussa­gen in den Mund gelegt werden», erklär­te Palmer am Samstag. Der «Bild» sagte er, er habe selbst Zweifel an der Echtheit des angeb­li­chen Aogo-Zitats gehabt, in dem das N‑Wort ursprüng­lich verwen­det wurde. «Mir war natür­lich klar, dass es sich bei den Facebook-Vorwür­fen gegen Aogo, auf die ich angespielt habe, sehr wahrschein­lich um ein Fake handelt.»
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