STUTTGART (dpa/lsw) — «Politik beginnt mit dem Betrach­ten der Wirklich­keit.» Erwin Teufels Formel nehmen sich auch die angehen­den Koali­ti­ons­part­ner von Grünen und CDU wieder zu Herzen. Sie schau­en in die fast leere Landes­kas­se und müssen ihre Wunsch­lis­ten zusammenstreichen.

Grüne und CDU im Südwes­ten sind am Montag­abend in die letzte Phase ihrer Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen gestar­tet und haben erste haushalts­po­li­ti­sche Weichen gestellt. Es zeich­net sich deutlich ab, dass die künfti­ge Koali­ti­on wegen des corona-beding­ten Geldman­gels viele ihrer anvisier­ten Projek­te langsa­mer umset­zen kann als ursprüng­lich geplant.

Grün-Schwarz muss sich mit Stufen­plä­nen behelfen

Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann sagte am Abend der Deutschen Presse-Agentur, das hinde­re Grüne und CDU nicht daran, Pläne für die kommen­den fünf Jahre zu schmie­den. «Man kann die Dinge, die Geld kosten, eben nur machen, wenn man welches hat», erklär­te der Regie­rungs­chef am Rande der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen in der L‑Bank in Stutt­gart. «Wir machen ja einen Koali­ti­ons­ver­trag für fünf Jahre. Da kann man die Agenda auflis­ten, auch wenn man sie im Moment noch nicht umset­zen kann, weil wir im Moment die Mittel noch nicht haben.» Man müsse zum Beispiel mit Stufen­plä­nen arbeiten.

Keine Vorfest­le­gung bei Perso­nal und Hilfen für Kommunen

In der Verhand­lungs­run­de am Abend beschäf­tig­ten sich die Haupt­grup­pe unter Leitung von Kretsch­mann und CDU-Landes­chef Thomas Strobl mit den großen Ausga­ben­blö­cken im Landes­haus­halt: Das heißt, mit dem Perso­nal, also vor allem den Beamten, sowie den Landes­zu­schüs­sen für die Kommu­nen. Dem Verneh­men nach einig­te man sich darauf, vor Abschluss der Verhand­lun­gen am Wochen­en­de hier noch keine Vorfest­le­gung zu treffen. Das bedeu­tet zum einen, dass noch nicht klar ist, inwie­weit es beim öffent­li­chen Dienst etwa bei der Polizei oder bei den Lehrkräf­ten mehr Stellen geben soll. Zum anderen wollte man sich noch nicht darauf festle­gen, in welchem Maß das Land den ebenfalls durch Corona geplag­ten Kommu­nen finan­zi­ell unter die Arme greift.

Kretsch­mann will trotz­dem Projek­te aufsetzen

Zuvor hatte Kretsch­mann gesagt, alle Vorschlä­ge aus den zwölf Arbeits­grup­pen stünden unter einem «Haushalts­vor­be­halt». Wegen der Pande­mie und der wirtschaft­li­chen Folgen klaffen im Landes­haus­halt nach den bishe­ri­gen Vorher­sa­gen in den nächs­ten drei Jahren Löcher von jeweils etwa vier Milli­ar­den Euro. Die Lage könne sich aber schnell wieder ändern, wenn die Konjunk­tur wieder ansprin­ge, sagte der Grüne. «Das kann ja in zwei, drei Jahren anders sein, vielleicht auch schon in einem, dass die Steuer­quel­len wieder sprudeln.» Deshalb lasse man sich nicht beirren. «Das heißt: Das ist noch nicht ein Grund, jetzt nicht zu sagen, was man eigent­lich für notwen­dig befin­det, um dieses Land weiter zu entwickeln.»

Kostspie­li­ge Zukunfts­plä­ne — was ist nötig und was wünschenswert?

Die beiden Partei­en wollen unter anderem schnel­les Inter­net und den öffent­li­chen Nahver­kehr stark ausbau­en sowie mehr Polizei- und Lehrer­stel­len schaf­fen. Der Breit­band­aus­bau soll knapp 500 Millio­nen Euro im Jahr kosten. Bei ÖPNV wollen Grüne und CDU den Bus- und Bahnver­kehr attrak­ti­ver und günsti­ger machen. Das soll insge­samt mehr als eine Milli­ar­de Euro kosten, aber die Kommu­nen sollen dafür eine Nahver­kehrs­ab­ga­be einfüh­ren können, mit der das Programm zum Teil gegen­fi­nan­ziert werden soll.

Dem Verneh­men nach hat sich die Arbeits­grup­pe Inneres vor allem auf Wunsch der CDU darauf verstän­digt, jährlich 1400 neue Polizis­ten und zudem 200 weite­re Exper­ten für Cyber­kri­mi­na­li­tät und 200 neue Ermitt­lungs­as­sis­ten­ten einstel­len zu wollen. Die Bildungs-AG will die Quali­tät an den Schulen verbes­sern und sieht für unter­schied­li­che Projek­te den Bedarf von mehre­ren hundert neuen Lehrkräf­ten. Ziemlich sicher ist, dass Grün-Schwarz ein Sonder­pro­gramm in Höhe von mindes­tens 100 Millio­nen Euro aufle­gen will, um die Folgen der Corona-Pande­mie für Schüle­rin­nen und Schüler abzufedern.

Sowohl in der Grünen- als auch in der CDU-Spitze hieß es, die Arbeits­grup­pen hätten vor allem Wunsch­lis­ten erarbei­tet, aber sich weniger Gedan­ken über die Gegen­fi­nan­zie­rung der neuen Projek­te gemacht. Es sei offen­sicht­lich so, dass in den Arbeits­grup­pen Konflik­te auf diese Weise überdeckt worden seien. Nun müsse die Haupt­grup­pe die Priori­tä­ten setzen.

Maut ist «out» — CDU sperrt sich

Ziemlich sicher wird es die von den Grünen angestreb­te Mautpflicht für Lastwa­gen auf Landes- und Kommu­nal­stra­ßen nicht geben. Die Grünen hatten in der Verkehrs-Arbeits­grup­pe argumen­tiert, Lastwa­gen über 7,5 Tonnen verur­sach­ten große Schäden an den Straßen. Die CDU lehnte das schon in der AG ab und das wird sich dem Verneh­men nach auch in der Haupt­grup­pe nicht ändern. Laut «Stutt­gar­ter Zeitung» und «Stutt­gar­ter Nachrich­ten» sollte die Maut pro Jahr bis zu 200 Millio­nen Euro in die Landes­kas­se spülen. Die CDU findet aber, dass eine Lkw-Maut auf Landes- und Kommu­nal­stra­ßen die Südwest-Unter­neh­men zusätz­lich belas­te und benach­tei­li­ge. Denn in anderen Bundes­län­dern gebe es eine solche Maut nicht.

An diesem Diens­tag (09.30) gehen die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen weiter. Die Spitzen von Grünen und CDU gehen die einzel­nen Themen­fel­der durch und bewer­ten die Vorschlä­ge der Arbeits­grup­pen. Zunächst sind dem Verneh­men nach die Themen Europa, Wissen­schaft, Bauen und Landwirt­schaft an der Reihe.

Von Henning Otte, dpa