BERLIN (dpa) — Noch ist unklar, wer nach dem Rücktritt von Anne Spiegel künftig am Kabinetts­tisch Platz nimmt. Ein Mann stand schon lange nicht mehr an der Spitze des Familienministeriums.

Gut vier Monate nach Amtsan­tritt der Ampel­ko­ali­ti­on müssen die Grünen für das Famili­en­res­sort eine neue Minis­te­rin oder einen neuen Minis­ter benennen.

Die Grünen-Spitze hatte am Montag angekün­digt, nach dem Rücktritt von Ressort­che­fin Anne Spiegel zeitnah einen Vorschlag zur Nachfol­ge zu machen. In Husum in Schles­wig-Holstein setzt der Grünen-Bundes­vor­stand heute seine Klausur mit dem Fokus Energie fort. Doch dürfte auch die Perso­nal­fra­ge bei den Beratun­gen eine Rolle spielen.

Spiegel hatte gestern ihren Rücktritt vom Amt der Minis­te­rin für Familie, Senio­ren, Frauen und Jugend erklärt. «Ich habe mich heute aufgrund des politi­schen Drucks entschie­den, das Amt der Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin zur Verfü­gung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwen­den, das vor großen politi­schen Heraus­for­de­run­gen steht», hatte die Grünen-Politi­ke­rin erklärt.

Erster Rücktritt in Scholz-Regierung

Am Wochen­en­de war bekannt gewor­den, dass sie als damali­ge rhein­land-pfälzi­sche Umwelt­mi­nis­te­rin zehn Tage nach der Flut zu einem vierwö­chi­gen Famili­en­ur­laub nach Frank­reich aufge­bro­chen war und diesen nur einmal für einen Ortster­min im Ahrtal unter­bro­chen hatte. Bei der Flutka­ta­stro­phe Mitte Juli 2021 waren in Rhein­land-Pfalz und Nordrhein-Westfa­len mehr als 180 Menschen ums Leben gekom­men, davon 134 im Ahrtal.

Bei einem emotio­na­len Auftritt hatte Spiegel den Urlaub am Sonntag­abend als Fehler bezeich­net und sich dafür entschul­digt. Sie begrün­de­te ihre damali­ge Entschei­dung unter anderem mit dem Gesund­heits­zu­stand ihres Mannes, der 2019 einen Schlag­an­fall erlit­ten habe. Auch die Belas­tung ihrer vier Kinder in der Corona-Pande­mie führte Spiegel an. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht.

Die Partei­chefs der Ampel­part­ner hatten Spiegel Respekt für ihren Schritt gezollt. Für Scholz und seine Regie­rung war es der erste Minis­ter­rück­tritt. «Ich habe mit Bundes­mi­nis­te­rin Anne Spiegel gut und gerne zusam­men­ge­ar­bei­tet», sagte der Kanzler in Berlin am Montag­abend. Es habe ihn «sehr berührt», was die 41-Jähri­ge über ihre Lebens­si­tua­ti­on gesagt habe. «Deshalb hat ihre Entschei­dung höchs­ten Respekt verdient, meinen hat sie jedenfalls.»

Zum Amtsan­tritt als Famili­en­mi­nis­te­rin hatte sie im vergan­ge­nen Dezem­ber den Kampf gegen Kinder­ar­mut und die Einfüh­rung der sogenann­ten Kinder­grund­si­che­rung als vorran­gi­ge politi­sche Ziele genannt. Erst vor Kurzem war Spiegel mit ihrer Familie nach Berlin umgezo­gen. Ein Bundes­tags­man­dat hat sie nicht.

In den vergan­ge­nen Jahrzehn­ten war das Famili­en­mi­nis­te­ri­um von Frauen geführt worden. Letzter Mann an der Spitze war Heiner Geißler (CDU) von 1982 bis 1985. Ihm folgten Rita Süssmuth, Ursula Lehr, Hanne­lo­re Rönsch, Claudia Nolte, Chris­ti­ne Bergmann, Renate Schmidt, Ursula von der Leyen, Kristi­na Schrö­der, Manue­la Schwe­sig, Katari­na Barley, Franzis­ka Giffey, Chris­ti­ne Lambrecht und zuletzt Anne Spiegel. Die späte­re Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel (CDU) war von 1991 bis 1994 Frauen- und Jugend­mi­nis­te­rin, heute gehört dieser Teil zum Familienressort.

Verein­bar­keit von Familie und Politik

Der nordrhein-westfä­li­sche Minis­ter­prä­si­dent Hendrik Wüst regte an, über eine besse­re Verein­bar­keit von Familie und politi­schen Ämtern zu sprechen. Er könne den Schritt von Spiegel nachvoll­zie­hen. «Aber wichtig ist, glaube ich, in dieser Diskus­si­on, dass wir möglich machen, dass auch in Zukunft Menschen mit Kindern, Menschen mit Familie politi­sche Spitzen­äm­ter haben», sagte der CDU-Politi­ker dem TV-Sender «Welt»-Fernsehen. «Das ist ein Spannungs­feld, man ist da oft hin- und herge­ris­sen zwischen Familie und Amt», machte Wüst deutlich.

Linken-Frakti­ons­chef Dietmar Bartsch sagte der «Rheini­schen Post», es sollte alle nachdenk­lich machen, dass Spiegel ihre familiä­re Situa­ti­on «offen­sicht­lich nicht einmal ihrer Grünen Partei mit den sonst so hohen Moral­an­sprü­chen erzäh­len» konnte. Der SPD-Linke Sebas­ti­an Roloff sagte dem «Handels­blatt», er sehe nach dem Rücktritt Spiegels keinen Grund an der Handlungs­fä­hig­keit der Ampel­ko­ali­ti­on zu zweifeln. «Ich gehe von einer schnel­len Nachbe­set­zung aus, wie von der Grünen-Spitze angekün­digt, und bin mir sicher, dass die Bundes­re­gie­rung immer handlungs­fä­hig ist.»